Digitale Arena

Die Kandidaten und Kandidatinnen setzen im französischen Wahlkampf besonders auf das Internet, um Wähler zu überzeugen und zu gewinnen. Ob auf der eigenen Homepage, auf YouTube, Facebook oder Twitter … für den Stimmenfang im Netz lassen sich Kampagnenstrategen einiges einfallen. Doch nicht immer nützt den Anwärtern auf das Präsidentenamt die digitale Wahlkampfarena, denn Shitstorms der Gegner und Blamagen lauern online überall. 

Donald Trump hat es vorgemacht. Politik passt heute auf 140 Zeichen. Ein Königreich für einen Tweet, ein Hoch auf den erhobenen Daumen bei Facebook, ein Buzz mit einem Video, ein gezielter Angriff mittels Hashtag … Das Internet ist zu einem unverzichtbaren Werkzeug eines jeden Wahlkampfstrategen geworden. Und es ist auch ein unverzichtbarer Gradmesser der Popularität der Kandidaten und Kandidatinnen. In Frankreich nutzen 88 % der Bevölkerung das Internet, viele beteiligen sich über soziale Netzwerke an Debatten, und nicht zuletzt spielen investigative Online-Medien wie Mediapart eine wichtige Rolle in der öffentlichen Debatte. Stimmungen lassen sich in sozialen Medien schneller erfassen, ebenso die Wirkung eines sogenannten „Buzz“. Dieser Begriff aus dem Marketing steht für ein digitales „Gerede“, eine sich schnell verbreitende Information, mitunter auch eine Falschmeldung, die intensiv geteilt und kommentiert wird.   

Solche Phänomene können von klassischen Methoden der Meinungsforschung nur zeitversetzt wahrgenommen werden, zumal sich viele klassische Prognosen bei wichtigen Entscheidungen der jüngsten Zeit, wie dem Brexit oder den US-Wahlen, als fehleranfällig herausgestellt haben. Hingegen hat das Echo in den sozialen Netzwerken zwischen beiden Urnengängen der Vorwahlen bereits den Sieg von François Fillon auf Seiten der Konservativen, und von Benoît Hamon auf Seiten der Sozialisten angekündigt. Deswegen müssen Meinungsforscher in ihren Erhebungen die sozialen Netzwerke heute unbedingt mit einbeziehen. Es fehlen allerdings Erfahrungswerte, weil die Technologien sich ständig weiterentwickeln, und so ist die Messung des wirklichen Einflusses des Internets kein leichtes Unterfangen. Der politische Journalist Guillaume Erner vom Radiosenders France Culture zeigt sich skeptisch über die Rolle des Internets: „Ob die Internetstrategien der Kandidaten wirklich von Erfolg gekrönt sein werden, können wir eigentlich erst beurteilen, wenn wir den Wahlausgang kennen. Zudem wissen wir nicht, ob es, wie bei den US-Wahlen, externe Störfaktoren geben wird, wie einen Hacker-Angriff von russischer Seite.“

Le Pen und Mélenchon schon Sieger …zumindest im Netz

Im Internet, so lehren es Kommunikationsberater, zählen drei Dinge. Erstens: Wie viele Follower kann ein Kandidat oder eine Kandidatin für sich gewinnen, also die Reichweite ihrer Internetpräsenz? Zweitens: Wie viel eigene Aktivität zeigen sie in den Netzwerken? Und drittens: Welches Echo rufen seine oder ihre Beiträge hervor, welches Engagement zeigen die Anhänger, also in welchem Maße teilen und kommentieren sie Beiträge der Politiker(-innen)? 

Betrachtet man zunächst ausschließlich die Zahl der Menschen, die den Kandidaten „folgen“, so liegt Marine Le Pen weit vor allen anderen Kandidaten und kann 1,3 Mio „Gefällt-mir Angaben“ auf Facebook (FB) und ebenso viele Follower auf Twitter verbuchen (selbst der amtierende Präsident François Hollande schafft es gerade mal auf 1 Million FB-Abonnenten). Von den anderen Kandidaten versammelt Jean-Luc Mélenchon knapp 900.000 FB-Follower, weit abgeschlagen dagegen François Fillon (ca. 340.000) und Benoît Hamon (165.000). Allerdings haben Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon schon seit Jahren eine starke Präsenz im digitalen Politikbetrieb, während Fillon und Hamon erst nach dem Ausgang der Vorwahlen, also ihrer Kandidatenkür, massiver auf Twitter & Co gesetzt haben. Nun werden Analysten im Auge behalten, ob die Anwärter auf den Einzug in den Elysee-Palast noch neue Likes generieren können, umso näher der Wahlsonntag rückt. Denn das könnte bedeuten, dass unentschlossene Wähler auch Plattformen wie Facebook und YouTube nutzen, um sich über Kandidaten und Programme zu informieren. 

Der Shooting-Star dieser Präsidentschaftswahlen ist zweifelsohne Emmanuel Macron, der als parteiloser Kandidat mit seiner Bewegung En Marche großes Interesse im Internet hervorgerufen hat. Mit der Gründung seiner Bewegung En Marche schaltete er noch am selben Tag die dazugehörige Webseite frei, für die bereits Werbevideos vorbereitet worden waren. Neu war auch, dass man mit wenigen Klicks der Bewegung sofort beitreten oder für sie spenden kann. Das moderne Layout soll sein junges, unkonventionelles Profil unterstreichen und auch in  sozialen Netzwerken konnte er in kurzer Zeit viele (junge) Anhänger erreichen. Allerdings sind seine Positionen und seine Rhetorik weitaus weniger radikal als die der extrem rechten oder linken Politiker und lösen folglich weit weniger polemische Reaktionen aus. Nur dass sich ebensolche Polemiken sofort in Netzwerken niederschlagen. Bestes Beispiel war die Fernsehdebatte und der freche Auftritt des Gewerkschafters und Kandidaten der antikapitalistischen Partei, Philippe Poutou, der im Frontalangriff die etablierten Politiker satirisch verurteilte und einen regelrechten Hype im Internet auslöste. Häufig werden die Inhalte traditioneller Medien, wie Fernsehen und Zeitungen, auch schnell ans Internet „weitergereicht“. Was aber sind die „richtigen, funktionierenden Inhalte” und wieviel davon nützen den Kandidatinnen und Kandidaten wirklich in der digitalen Arena?  

Viel gepostet, halb gewonnen? 

Die „Aktivität“ eines Kandidaten oder einer Kandidatin in den sozialen Netzwerken bezeichnet wie bereits erwähnt, wie viele Posts, Tweets, Videos vom selbigen eingestellt werden, wie umfassend also das Angebot an eigenen Inhalten ist. Dabei hat sich besonders YouTube als ein kostengünstiges Wahlkampfwerkzeug herausgestellt, denn sogenannte Video-Blogs können heute selbst mit geringem Budget professionell produziert werden. Besonders Jean-Luc Mélenchon, der seinem Ruf als volksnahe Ikone der Linken gerecht werden will, nutzt seinen YouTube Channel, um ausführlich über Themen wie den Klimawandel, die Sozialpolitik, den Brexit aber auch über seine Gegner zu parlieren. Jede Woche dreht er eine Folge seiner „Revue de la semaine“ (Wochenrückblick) mit einer Länge zwischen 20 und 30 Minuten, die jeweils mehrere zehntausend Zuschauer hat. Auch Wahlkampfauftritte, Fernsehinterviews und Debatten mit Experten zu spezifischen Fragen wie der Zukunft der Weltmeere, in der er selbst die Fragen stellt, bietet seine Videoplattform, mit insgesamt 278.000 Abonnenten. Er versucht dabei, sein politisches Projekt vorzustellen, das nahezu religiöse und revolutionäre Züge trägt. Folglich polarisieren seine Positionen mehr als die der gemäßigteren Kandidaten, werden also häufiger geteilt und kommentiert. 

Ein wenig ungelenk wirkt dagegen das Kampagnen-Tagebuch (Parlons-en, dt. Sprechen wir darüber) des Front National, das die Kulissen des Wahlkampfes zeigen soll. Der geschickteste Redner, Partei-Vize Florian Philippot, schlüpft in die Rolle des vermeintlich „sympathischen Strippenziehers“, der den Zuschauern den Teamgeist und Siegeswillen der Penisten zu erklären versucht. Zwischen 10.000 bis 20.000 Zuschauer werden pro Folge erreicht, was auch daran liegen könnte, das die Qualität von Ton und Bild amateurhaft wirken, ganz im Gegensatz zu den Videobotschaften von Marine Le Pen selbst, die professioneller gedreht und geschnitten sind. 

François Fillon spart seinerseits nicht mit Tweets, sein Social Media Team musste aber wegen der Skandale um die Scheinbeschäftigung seiner Frau und seiner Kinder vor allem Digitales Krisenmanagement übernehmen, denn Fillon tauchte vor allem mit negativen Schlagwörtern auf, mit Hashtags wie #penelopegate (der Name seiner Frau) oder auch #JeSuisUnEmploiFictif (Ich bin eine Scheinbeschäftigung). Solche Fallen lauern überall und auch andere Kandidaten mussten Schlagwörter aushalten, die sie ins Lächerliche ziehen. So wie Macron, der in vielen Tweets von extrem Rechten unter dem Schlagwort  #LeVraiMacron (Der wahre Macron)  verunglimpft wird. In diesem Wahlkampf sind alle Mittel recht und das Internet eignet sich besonders für die schnelle Verbreitung von negativen Informationen, die nicht immer verifiziert sind. 

Liken-Teilen-Kommentieren 

Das Verhalten der eigenen Anhängerschaft in Folge von positiven wie negativen Inhalten im Netz führt zum dritten und entscheidenden Punkt für den Stimmenfang, das „Engagement“. Es bezeichnet die wirkliche Beteiligung, das eigene Handeln der User, wie oft sie etwas geliked oder geteilt haben, wie viele Kommentare sie hinterlassen und welche Schlagwörter sie verbreiten, die nach dem Schneeballprinzip weitere Reaktionen auslösen sollen. „In gezielten Aktionen, bei denen Anhänger sich verabreden zur gleichen Zeit einen Shitstorm zu lancieren, wird versucht, den Gegner zu schaden“, erläutert Guillaume Erner. Die sei sehr genau kalkuliert und organisiert: „Die laufenden Kampagne hat uns gezeigt, dass das Verbreiten von Meinungen und Emotionen im Wahlkampf Fluch und Segen gleichermaßen sein kann. Gelingt es einem Kandidaten zum Beispiel, seine Anhänger zum Engagement gegen einen der anderen Kandidaten zu motivieren, muss dieser eine Welle von Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Gerüchte verbreiten sich in Windeseile aber die Richtigstellungen oder Gegenreaktionen werden im Anschluss weit weniger verbreitet.“ Die berüchtigten alternativen Fakten kommen insbesondere jenen Kandidaten gelegen, die sich systemfeindlich geben und die etablierten Politiker, aber auch die traditionellen Medien, angreifen. Die Verschwörungstheorien florieren und neue mediale Player tauchen online auf, deren journalistischer Background nicht immer klar wird. Bestes Beispiel ist der Online-Kanal "TV Libertés". 

Alternative Fakten im Online-TV

Donalds Trump hatte in seinem Wahlkampf auf „alternative“ Medien gesetzt – und damit bekanntlich gesiegt. In Frankreich mischt der neue Sender TV Libertés im digitalen Wahlkampf mit. Er bezieht allerdings eindeutig Stellung, indem er die Skandale um Fillon ausspart oder kleinredet, sich gegenüber Marine Le Pen zweideutig äußert und eine heftige Kampagne gegen Emmanuel Macron führt, mit Berichten, die vorgeben, das vermeintlich „wahre Gesicht des ehemaligen Rothschild-Bankers“ zu zeigen . Martial Bild, Chefredakteur und Mitbegründer des Senders, erklärt: „Wir verteidigen die französische Kultur (…), es ist selbstverständlich, dass wir uns einem Kandidaten (Macron) in den Weg stellen, der erklärt, es gebe weder französische Kultur noch Kunst und unser koloniales Vorgehen in Nordafrika sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen.“ Gehostet wird der Sender auf Youtube, pro Monat zählt er insgesamt zwei Millionen Aufrufe. „Wir stehen erst am Anfang“, versichert Bild. „Donald Trump hat als erster die Bedeutung der alternativen Medien erkannt. Und damit ist er bisher nicht allzu schlecht gefahren“, so der Senderchef. 

Wieviele Zuschauer aus Neugier bei TV Libertés vorbeischauen, wieviele sich wirklich in ihrer Wahl beeinflussen lassen, auch das wird sich mit Gewissheit erst nach den Wahlen sagen lassen. Derzeit kritisiert Guillaume Erner vor allem, dass das Internet die ganze Kampagne abflache. Weil sich Anhänger einer bestimmten politischen Meinung nahezu ausschließlich mit Gleichgesinnten austauschen würden und weil wichtige Informationen in der virtuellen Gerüchteküche untergingen. „Wenn ein einziger Satz eines Kandidaten oder einer Kandidatin aus dem Kontext gerissen im Netz kursiert, dann entfernen wir uns von der argumentativen Ebene, von den Programmen der Kandidaten. Jeder französische Bürger sollte sich vielmehr der Verantwortung bewusst sein, die er an der Wahlurne haben wird“, mahnt er. Die Option, den Daumen nach oben oder unten anzukreuzen, ist auf den Wahlzetteln jedenfalls noch nicht vorgesehen…