Die Gelbwesten - ein Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau

Kommentar

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist mit seinem Latein am Ende. Vor allem der Konflikt mit den „Gelbwesten“ zeigt, wie groß seine Probleme sind.

 

Zweimal Aachen, zweimal Emmanuel Macron: Im Mai des letzten Jahres hielt ein strahlender Hoffnungsträger zur Verleihung des Karlspreises eine leidenschaftliche und entschlossene Europa-Rede. Jetzt im Januar stand er wieder dort, zur Unterzeichnung des neuen Élysée-Vertrages. Diesmal war es ein sichtbar angestrengter Regierungschef, der mit einer Kanzlerin auf Abruf einen weitgehend ambitionslosen Vertrag unterzeichnete, der entscheidende Zukunftsfragen vermeidet.

Zur ökologischen Transformation gibt es nur unverbindliche Leerformeln, keine konkreten gemeinsamen Projekte. Das Thema Asyl und Immigration wird nicht einmal erwähnt. Wie es hier zu einer stärkeren europäischen Zusammenarbeit kommen soll, wenn selbst Frankreich und Deutschland dazu nicht einmal ein paar Halbsätze vereinbaren können, bleibt schleierhaft. So wird aus dem deutsch-französischen Tandem keine zugkräftige Lokomotive für Europa.

Nicht nur in Bezug auf Europa ist der französische Präsident mit seinem Latein weitgehend am Ende. Dazu hat die zögerliche und bremsende Haltung der deutschen Regierung im vergangenen Jahr kräftig beigetragen.

Im eigenen Land ist der Macronismus nach nun fast drei Monaten Gelbwesten-Bewegung schlicht erledigt. Der Wahlkampf des Jungstars war gegen die etablierten Parteienstrukturen, die „alte Politik“ gerichtet, die von einer tiefen Vertrauenskrise gebeutelt sind. Alles sollte neu und besser werden. Er wollte mehr Transparenz statt Mauscheleien. Und die Politik sollte wieder stärker mit der Gesellschaft verknüpft werden.

Handlungsfähigkeit sollte Vertrauen schaffen. Das Lagerdenken zwischen rechts und links mit einer Politik des „Sowohl als auch“ überwunden werden. Mit „Revolution“ war sein Programm überschrieben. Zehntausende machten für die neue Bewegung „En Marche“ begeistert Wahlkampf auf der Straße, darunter viele junge Menschen.

Macron brachte so das französische Parteiensystem erfolgreich zu Fall. Nur baute er im Anschluss keine neue Organisation mit echter innerparteilicher Demokratie und lokaler Verankerung auf, die als Seismograph für Sorgen und Stimmungen bei den Menschen funktioniert und deren Vertreter vor Ort Reformen erklären und verteidigen können.

Reformprogramm von oben durchgesetzt

Vielmehr setzte er sein Reformprogramm eisern von oben durch. Die eigene Mehrheitsfraktion im Parlament durfte sie nur abnicken. Mit Erfolg schwächte er die Gewerkschaften, deren Machtlosigkeit er demonstrierte. Macron belebte den in der Verfassung der V. Republik angelegten Hyper-Präsidentialismus wieder. Womit sich Hoffnungen und Erwartungen wie schließlich Enttäuschungen nur auf den Hausherrn des Élysée fokussieren.

Statt neuer Transparenz und Moral kam die Affäre um das fragwürdige Verhalten und die Privilegien seines früheren stellvertretenden Büroleiters Alexandre Benalla. Von dem Anspruch, Politik neu, partizipativer und glaubwürdiger zu gestalten, blieb nicht viel.

Nach der Kaltstellung gesellschaftlicher Mittlerorganisationen ist es fast schon eine logische Konsequenz, dass es eine heterogene und teilweise anarchische Protestbewegung selbst in die Hand genommen hat, ihre Anliegen zu Gehör zu bringen – und sich gegen die offenkundige soziale Schieflage des Reformkurses zu stemmen. Die in Teilen dann allerdings so weit geht, die Legitimität repräsentativer Institutionen infrage zu stellen und etablierte Medien zu attackieren.

Es ist vor diesem Hintergrund eine gute Nachricht, dass ein gemäßigter Teil der Gelbwesten nun zur Europawahl antreten will. Denn eine Lehre aus Frankreich ist: Lokal verwurzelte intermediäre Strukturen wie Parteien, Gewerkschaften, Verbände und Vereine sind vielleicht doch nicht so blöd, wie manche schon glauben wollten.

Monsieur le Président umwirbt sogar neuerdings eine der letzten verbliebenen Mittlerinstanzen: Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Sie sollen eine „nationale Debatte“ zu sehr allgemein gehaltenen Fragen und Themen im ganzen Land zum Erfolg machen. Offen ist, was daraus folgt. Bislang versucht Macron noch, seine Politik zu erklären und zu verteidigen.

Auffällig ist, dass er immer mehr einen klassischen Mitte-Rechts-Kurs einschlägt und mit Symbolen der „alten Kräfte“ wie dem konservativen Alain Juppé für den Europawahlkampf zusammenarbeiten will. Nur könnte die „nationale Debatte“, in die Macron auch ohne Not eine Frage zu einer Obergrenze für Immigration eingebracht hat, zu einer Büchse der Pandora werden, die den rechtspopulistischen Kräften von Marine Le Pen über Nicolas Dupont-Aignan bis zu Florian Philippot einen Boulevard bietet. In Umfragen kommen diese auf bis zu 30 Prozent.

Dieser Artikel erschien am 28.01.2019 in der Frankfurter Rundschau.