Energiepolitik in Frankreich „Worte und Taten gehen weit auseinander“

Präsidentschaftswahl 2022

Energiepolitik in Frankreich: Experteninterview mit Zélie Victor, Referentin Energiewende bei Réseau Action Climat und Yves Marignac, Leiter des Fachbereichs Atom und fossilenergie bei der Association négaWatt – Réussir la transition énergétique

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Romy Strassenburg: Nach 5 Jahren Präsident Emmanuel Macron: Wie fällt Ihre Bilanz in Bezug auf Klimaschutz und auf die Energiewende in Frankreich aus?

Zélie Victor:  In Macrons erster Amtszeit wurde sehr viel Zeit verloren. Wir sind in Europa das einzige Land, das seine Klimaziele nicht erreicht hat. Auch bei der Renovierung von Gebäuden haben wir enormen Nachholbedarf. Wir sind weit entfernt von einer Umsetzung der Energiewende. Die nun anstehenden Schließungen der letzten Kohlekraftwerke sind wiederum ein positiver Punkt. Aber im Prinzip ist es eine verlorene Amtszeit.

Yves Marignac: Das sehe ich ganz genauso. Wir haben eine große Desillusionierung erlebt, denn Macrons Worte und Taten gehen weit auseinander. Seine Reden sind gut. Es stellte sich als Klima-Präsident dar. Auf diesem Gebiet hat er versucht, sich auf internationaler Ebene zu profilieren. Aber dahinter den Kulissen gab es nichts. Es gab kaum nennenswerte Schritte. Doch wenn man sich in einer Notlage befindet, dann reichen kleine Schritte nicht aus, dann muss man rennen. Im Grunde glaubt Präsident Macron überhaupt nicht an die Energiewende. Bei seiner Rede in Belfort hat er kürzlich ja unterstrichen, Frankreich müsse mehr produzieren, es müsse mehr Ressourcen auftreiben. Das zeigt, dass die politische Elite noch immer die Augen vor der Dringlichkeit der Energiewende verschließt.

 

 

Was sind Gründe dafür, dass es nicht vorangeht?

Zélie Victor: Wir haben gesehen, dass die „Convention citoyenne pour le climat“, also der Klima-Bürgerrat, echte Vorschläge auf den Tisch gelegt hat. Dort wurden von der Politik Veränderung gefordert. Die geforderten Maßnahmen waren wirklich ambitioniert und durchdacht. Also anscheinend sind die Menschen durchaus bereit, diesen Systemwechsel mitzumachen. Doch die Politik ist es nicht.

Yves Marignac:Hier hat sich gezeigt, dass es neben dem Einfluss der Lobbyverbände, ein ganz grundsätzliches Problem gibt: Es fehlt den Eliten an einem tiefgreifenden kulturellen Verständnis für die Zukunft von Energie und Klima. Der Präsident verfolgt noch immer die Vorstellung, dass Fortschritt nur durch materielles Wachstum hervorzubringen ist. Er sagt, wenn wir nicht weiter unsere Produktion steigern, wie es der Kapitalismus eben vorsieht, dann können wir das bestehende Sozialsystem nicht mehr aufrechterhalten. Die Gesellschaft kann also nur durch mehr Produktion weiterbestehen. Doch die Energiewende ist ja gerade die Gelegenheit, dieses Modell zu überdenken. 

Zélie Victor: Zumal es immer noch den Glauben gibt, dass hauptsächlich technische Lösungen den Durchbruch bringen könnten; sei es in der Landwirtschaft oder in der Energiegewinnung. Das heißt, der Ausweg bestehe vor allem darin, neue Technologien zu erfinden. Es geht aber vielmehr darum, wirkliche, strukturelle Veränderungen auf den Weg zu bringen, nicht nur die Technologien für ein Weiter-So auszutauschen.

 

Macron hat angekündigt, wieder verstärkt auf Atomkraft setzen zu wollen. Wie schätzen Sie diese Entscheidung ein?

Yves Marignac: Hier besteht eindeutig ein Problem, bereits während der Ausbildung unserer Eliten. Sie wurden geprägt von der Vision einer starken französischen Nuklearindustrie. Sie haben eine rückwärtsgewandte Sicht, was die Zukunft der Energiegewinnung angeht. Dabei bauen wir schon seit Jahren keine neuen Atomkraftwerke mehr. Die Gelegenheiten, die sich durch die Energiewende bieten, werden überhaupt nicht in Betracht gezogen. So sind wir in die Sackgasse geraten, in der wir uns jetzt befinden. Wir haben gedacht, wir hätten diese Veränderungen, die andere Länder angestoßen haben, nicht nötig.

Wenn man sich die Bedeutung der Energiefrage anschaut, dann gehört sie ganz oben auf die politische Agenda. Genauso die internationale Sicherheit in der aktuellen geopolitischen Lage. Beide Fragen hängen sogar eng zusammen. Atomkraft wird derzeit dazu herangezogen, um zu behaupten, es wäre nicht nötig, weniger zu produzieren. Dabei machen wir Frankreich immer abhängiger von einer einzigen Technologie, die zudem große Risiken birgt. Das kann also keine Lösung sein. Aber auch hier spielt wieder eine Rolle, wie unsere Eliten gepolt sind. Es gibt eine enge Verbindung zwischen der militärischen und der zivilen Nutzung der Atomkraft. Das eine gehe nicht ohne das andere, hat Macron gesagt. Um die atomare Abschreckung aufrecht zu erhalten, muss Atomkraft also auch weiterhin zivil genutzt werden. Und wenn wir jetzt schauen, was in der Ukraine passiert und welche Antworten herangezogen werden, gehen wir eher noch düsteren Zeiten in diesen Fragen entgegen. Das führt uns immer weiter weg von den eigentlichen Prioritäten.

 

Aber war es nicht vielleicht ein Fehler der Deutschen, zu schnell aus der Atomkraft auszusteigen und sich damit noch abhängiger vom russischen Gas zu machen?

Zélie Victor: Das macht die französische Fokussierung auf Kernkraft nicht zur besseren Lösung. Wir sind auch nicht völlig unabhängig von Gas. Weit weniger abhängig als Deutschland, das stimmt. Dennoch ist es Deutschland gelungen, trotz des Ausstiegs aus der Atomkraft seine Emissionen zu reduzieren, während uns dies trotz Atomkraft nicht gelungen ist. Dazu kommt auch noch die Stimmungsmache gegen Windkraft von einigen politischen Kräften. Dabei heißt es in allen Szenarien, Windkraft sei ein entscheidender Teil der Lösung. Wenn man sich jetzt den Wahlkampf anschaut, und wie dort über nachhaltige Energiegewinnung gesprochen wird, zeigt es nur einmal mehr, wie wenig die Dringlichkeit angekommen ist. Dies ist in Deutschland anders. Dabei ist diese Frage entscheidend auch für Zukunftsfragen, entscheidend für die Wirtschaft, für die Gesundheit, für soziale Fragen. Es ist daher dramatisch, dass dieses Thema in Frankreich kein zentrales Wahlkampfthema geworden ist.

Yves Marignac: Gerade die Ukraine-Krise zeigt ja, welche Gefahr Atomkraftwerke bergen, wenn sie zu Zielen militärischer Angriffe werden. Dieses Sicherheitsrisiko geht Frankreich ein und bringt sich damit auch in eine heikle Situation. Stattdessen behauptet man, Frankreich sei unabhängiger als Deutschland, aber es ist eine sehr fragwürdige Unabhängigkeit, wenn man die Sicherheitsrisiken bedenkt.

 

Wie kommt es, dass das Klima-Thema so aus dem Wahlkampf verdrängt werden konnte?

Yves Marignac: Die Situation ist paradox, denn in den letzten Monaten gab es ausreichend Berichte, ausreichend Szenarien wurden vorhergesagt, was die Folgen des Klimawandels angeht. Négawatt ist nur ein Beispiel dafür. L’ADEM ein anderes. Es gibt dort sehr große Übereinstimmungen in den Analysen, was die Einsparpotentiale angeht, die Rolle von Kernkraft und die Frage nach Energieeffizienz. Auf wissenschaftlicher Seite sind also viele Ergebnisse zusammengeflossen, die alle in die gleiche Richtung weisen. Auf politischer Seite jedoch zeigen die Pfeile in die genau gegensätzliche Richtung. Einige Kandidaten und Kandidatinnen behaupten, es ginge nur mit stärkerer Atomkraft. Einige von ihnen sind gänzlich gegen erneuerbare Energien, es ist also nirgendwo zu sehen, dass eine politische Antwort angeboten wird, wie sie laut der Expertinnen und Experten angemessen wäre.

 

Zwischenzeitlich gab es mit Fridays for Future und den Klimamärschen doch eigentlich schon sehr positive Signale einer neuen, jüngeren Generation, die sich für das Klima stark macht ...

Zélie Victor: Leider haben diese Bewegungen durch die Pandemie an Schwung verloren. Sie wurden medial nicht mehr genauso stark wahrgenommen. Dennoch existieren sie natürlich weiter ...

Yves Marignac: Ich denke schon, dass das Verständnis für die Notwendigkeit der Veränderung, wie unsere beiden Organisationen sie fordern, größer wird. Gerade unter den jungen Leuten gibt es diesen Fortschritt im Denken und das ist auch die Hauptquelle meines Optimismus. Denn hier gibt es auch Fortschritte bei den Einstellungen zur Arbeitswelt, zur Wirtschaft und ich bin von Natur aus optimistisch. So glaube ich, dass sich in der französischen Gesellschaft gerade ein Potenzial für potentielle Veränderungen sammelt. Bewusstsein, Verständnis, all das staut sich gerade an und bietet die Grundlage für die notwendigen Veränderungen und heute ist es die politische Klasse und unsere Institutionen, mit ihren vertikalen Strukturen, ihren Hierarchien, ihrem Zentralismus, die blockieren. Aber eines Tages wird diese Energie hervortreten, um die Hindernisse zu überwinden und den Wandel voranzubringen.

 

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