Lehren aus den Wahlergebnissen, 100 Tage nach den Wahlen

Analyse

Haben diese Wahlen gezeigt, dass, erstens, sich die aus der Ideologie des Neo-Faschismus hervorgegangene Partei Fratelli d'Italia mit Abstand als stärkste politische Kraft in Italien konsolidiert hat. Mangels einer Alternative könnte die jetzige Regierung vermutlich die volle Legislaturperiode bis 2027 durchstehen, was eine Ausnahme in der italienischen Geschichte wäre..

Wahlurne in Italien

Im Gesamtergebnis haben diese Wahlen gezeigt, dass, erstens, sich die aus der Ideologie des Neo-Faschismus hervorgegangene Partei Fratelli d´Italia mit Abstand als stärkste politische Kraft in Italien konsolidiert hat. Das ist so, als wäre die AfD in Deutschland die erste Partei im Bundestag und in den meisten Landtagen, oder als würde in Frankreich die Rassemblement National von Marie Le Pen den Staatspräsidenten stellen und die Mehrheit in der Assemblée Nationale sowie in den Regionalparlamenten haben. Zweitens, die beiden anderen Rechtsparteien unter Matteo Salvini und Silvio Berlusconi haben mit knapper Not den Stand ihres mageren Erfolgs in den Parlamentswahlen halten können und sind klar zu der Rolle als Juniorpartners verurteilt. Drittens, die Zersplitterung der Mitte-Links-Opposition hat sicher zu dem Debakel beigetragen, ist aber nicht die Hauptursache ihres Niedergangs. In der Lombardei haben PD und 5-Sterne-Bewegung eine Wahlkoalition gebildet, und es trotzdem nicht geschafft. Viertens, die Wähler*innen tendieren dazu, ihre Stimmen für die Flügel im politischen Spektrum abzugeben, nicht für die Mitte. Die sich als „Mitte“ bezeichnenden Absplitterungen von der PD, nämlich Azione con Carlo Calenda und Italia Viva vom ehemaigen Ministerpräsidenten Matteo Renzi haben in beiden Regionen äusserst schlecht abgeschnitten. Auch darum hat der Aufruf an die PD seitens der Kandidatin für die Sekretärin der Partei Elly Schlein, „laufen wir doch nicht der Mitte hinterher“ und „definieren wir uns klar als Linke“, durch das Wahlergebnis neuen Auftrieb bekommen.

 

Bisherige Performance und künftige Strategie der Meloni-Regierung

In den 4 Monaten zwischen der Bildung der neuen Regierung und den Regionalwahlen hat man einen stetigen Wechsel zwischen Durchstarten und Bremsen in vielen Politikbereichen erlebt. Da gab es im November die Geschichte mit dem an die nichtstaatlichen Rettungsschiffe „Humanity 1“ und „Ocean Viking“ gerichteten Verbot des Innenministers, einen italienischen Hafen anzulaufen und dort hunderte von geretteten Flüchtlingen und Migranten auszuschiffen. „Nein, verantwortlich für die Ausschiffung und die Prüfung von Asylgesuchen sind die Flaggenstaaten der Schiffe“, in diesem Fall Deutschland und Norwegen. Nur wenn es von diesen Ländern eine verbindliche Zusicherung gäbe, die Geretteten sofort aufzunehmen, könnten sie ausnahmsweise, „aus humanitären Gründen“, in Italien an Land gehen. Unter dem Druck der angepeilten Länder und der Europäischen Kommission konnte schließlich ein Teil der von der „Humanity 1“ geretteten Menschen in Catania von Bord gehen, jedoch nur diejenigen, die sich in einer besonders kritischen medizinischen Notlage befanden. Die vom Völkerrecht nicht zugelassene Aussortierung hat weitere Proteste hervorgerufen, bis schließlich alle das Schiff in Catania verlassen konnten. Im Februar hat das Gericht in Catania die Aussonderung als rechtswidrig verurteilt. Die Verweigerung der Ausschiffung von der „Ocean Viking“, die schließlich in Toulon erfolgte, hat zu einer gravierenden diplomatischen Krise zwischen Frankreich und Italien, und auch persönlich zwischen Macron und Meloni geführt, die bis heute das Verhältnis zwischen den beiden Ländern belastet. Jedenfalls ist seitdem keinem Rettungsschiff mehr die Einreise verboten worden[1]

Und dann war die Geschichte um ein Regierungsdekret gegen nicht genehmigte Rave-Partys, in dem das Versammlungs-und Demonstrationsrecht insgesamt eingeschränkt werden sollte. Auch hier hatte die Regierung Meloni mit großer Öffentlichsarbeit die harte Hand ausspielen wollen, bis ihr jemand erklärte, dass das Dekret gegen verschiedene Verfassungsnormen verstößt, so dass es schließlich zurückgezogen wurde. Ähnlich ging es bei der Debatte um die Beschränkung des Rechts auf Abtreibung: ein schneller Vorstoß, ein öffentlicher Aufschrei, und die Angelegenheit wurde schnell wieder kassiert. Diese „Go and Stop“ Politik betraf auch den wirtschaftlichen Bereich. Über die Kraftstoffsteuer verdient der Staat an der Erhöhung der Benzin-und Dieselpreise, die wiederum, teilweise, eine Folge der russischen Invasion der Ukraine ist. Schon am Ende der Draghi-Regierung im Sommer 2022 wurde daher der Koeffizient für die Steuer heruntergesetzt. Die Meloni-Regierung machte diese Maßnahme rückgängig, worauf die Preise über weit 2 Euro pro Liter hochschnellten. Das war nicht sehr populär und auch moralisch fragwürdig, also wurde die Steuer wieder gesenkt. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen, auch in Bezug auf das Verhältnis zu der EU und die Absicht der Regierung, den mehrjährigen, schon von der EU-Kommission genehmigten „Plan zur Resilienz und Rekonstruktion“, im Wert von über 200 Milliarden Euro, umzuschreiben. Oder auch im Hinblick auf die militärische Unterstützung der Ukraine, wo sich Meloni gegenüber den im Verdacht der Putin-Freundschaft stehenden Juniorpartnern Salvini und Berlusconi durchsetzen musste.

Nach dieser miserablen Performance des ersten Dritteljahres der Regierung – die bislang aber die Wählergunst nicht geschmälert hat – scheint die Rechte, zuvorderst Fratelli d´Italia, jetzt auf eine andere Karte zu setzen. Mangels einer Alternative könnte die jetzige Regierung vermutlich die volle Legislaturperiode bis 2027 durchstehen, was eine Ausnahme in der italienischen Geschichte wäre. Daher, statt mit kurzfristigen Gewaltakten den „neuen Weg“ zu markieren, setzt die Regierung jetzt auf eine längerfristige Perspektive der behutsamen und schrittweisen Konsolidierung ihrer Macht. Wohl wissend, dass nicht so sehr die Minister*innen das Leben eines Landes nachhaltig beeinflussen, sondern die Spitzenbeamten und Spitzenmanager, geht es jetzt darum, die Schaltstellen neu, und das heißt mit rechts-gesinnten und regierungsfreundlichen Figuren zu besetzen. Das betrifft die Ministerien sowie die vom Staat voll oder teiweise kontrollierten Großunternehmen und Banken sowie die staatlichen, auf dem Papier unabhängigen Agenturen. Es betrifft die staatliche Fernseh-und Rundfunkanstalt RAI und wird möglicherweise in der Zukunft auch auf die Universitäten und Forschungseinrichtungen zielen. Dazu kommen die langsamen, aber von langer Hand vorbereiteten institutionellen Reformen wie die „asymetrische Autonomie“ der Regionen oder die Umwandlung des politischen Systems in eine Präsidialrepublik. Und natürlich die Justizreform, denn wenn die Regierung vor etwas Furcht haben muss, so sind es die Gerichte und Staatsanwaltschaften, Polen und Israel docet. Ziel ist die schleichende Unterwanderung des gesellschaftlichen Lebens und die Einrichtung einer „Kultur der Rechten“, die es bislang so in Italien nicht gegeben hat.

Diese Entwicklung werden wir in den kommenden Artikeln dieser Serie versuchen zu verfolgen und zu analysieren.

 

[1] In einem anderen Artikel dieser Serie werden wir aud die Fragen der Seenotrettung im zentralen Mittelmeer, der Ausschiffung und der Verantwortlichkeit für Asylbewerber eingehender zurückkommen.