Elly Schlein: Linksruck der Demokratischen Partei?

Kommentar

Elly Schleins Sieg ist zwar ein starkes Signal dafür, dass die italienische Demokratische Partei Partito Democratico durchaus auch linke Ideale verfolgt und spiegelt den tiefen Wunsch wider, mit alten Ideen zu brechen, aber das Risiko, dass die Erwartungen enttäuscht werden, bleibt groß.

Elly Schlein

Elly Schlein, ehemalige Europaabgeordnete und frühere Vizepräsidentin der Region Emilia-Romagna, ist mit 37 Jahren die erste Frau an der Spitze der Demokratischen Partei (PD) und eine aufstrebende Symbolfigur der italienischen Linken. Die 1985 in Lugano als Tochter einer italienischen Mutter und eines amerikanischen Vaters geborene Politikerin hat es innerhalb kurzer Zeit geschafft, in der Partei aufzusteigen und das zu vollbringen, was sie am Abend des 26. Februar als „eine kleine große Revolution“ bezeichnete: Ihr Ziel sei die Neuausrichtung der Partei. Sie wollte sich einer Herausforderung stellen, die bislang niemand meistern konnte, nämlich die PD zu einer linken Partei zu machen.

Als Kontrapunkt der rechtsextremen Regierungschefin Giorgia Meloni verkörpert Elly Schlein in ihrem politischen Diskurs die Themen und Kämpfe der Linken: Ökologie, Feminismus, LGBTQI+-Rechte, Antifaschismus, Antirassismus, Kampf gegen Mafia und Armut. Der Protest gegen die derzeitige Regierungslinie ist stark, und daraus hat Schlein ein Wahlversprechen gemacht: „Wir werden ein großes Problem für die Regierung Meloni sein“, kündigte sie in ihrer ersten Rede als Parteisekretärin an, „ab morgen werden wir bereit sein, die Opposition im Land neu zu organisieren“.

Ein ehrgeiziges ökologisches und soziales Programm

Bereits bei ihrer Antrittsrede vor drei Monaten vor einem ausverkauften Saal im Monk-Theater in Rom hatte Schlein ihre Prioritäten nach der Übernahme der Führung der Demokratischen Partei sehr deutlich gemacht: soziale Gerechtigkeit, Klimakrise und Prekarität sind die drei unumgänglichen Themen ihrer Strategie. „Die Herausforderung besteht darin, das neoliberale Entwicklungsmodell zu ändern, das sich für die Menschen und den Planeten als absolut unhaltbar erwiesen hat“, erklärte sie bei dieser Gelegenheit und bestätigte die Notwendigkeit, eine neue Konvergenz der sozialen und ökologischen Kämpfe in Italien herbeizuführen. Diese Überzeugung spiegelt sich auch in der Präambel ihres Kongressantrags wider: „Soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit sind unteilbar“ - ein Slogan, der an die Wortwahl der jungen Generation der Klimastreikenden erinnert.

Ihr Programm zur Ökologie ist sehr ehrgeizig und enthält zahlreiche Vorschläge, darunter ein Klimagesetz zur Planung der Dekarbonisierung des Landes, ein Gesetz zur Bekämpfung der Flächeninanspruchnahme und eine neue Gesetzgebung zur Stadtplanung. Biodiversität, Wassermanagement und Kreislaufwirtschaft sind weitere Themen, die in ihrer Rede auftauchen und auf die die neue „Dem‘-Sekretärin“ konkrete Antworten geben möchte. Im Bereich Energie setzt Schlein entschieden auf die Entwicklung erneuerbarer Energien und auf Energieeffizienz. Dem Thema Energiegemeinschaften – einem echten demokratischen Instrument – und dem Kampf gegen Energiearmut widmet sie viel Raum. Im Gegensatz zur Linie der Regierung Meloni ist Schlein gegen neue Erdgasbohrungen und hält die Kernenergie in Bezug auf Zeit- und Kostenaufwand für unvereinbar mit den europäischen Zielen der Dekarbonisierung. Im Steuerbereich schlägt sie vor, die 22 Milliarden Euro, die das Land jedes Jahr für umweltschädliche Subventionen ausgibt, zu streichen und stattdessen zu investieren, um kleinen und mittleren Unternehmen dabei zu helfen, Emissionen und negative Auswirkungen auf Lebewesen und die Gesundheit zu reduzieren.

Schlein spielt in ihrer Rede zwar auf die jungen Umweltbewegungen an, die im Land aktiv sind, aber sie verliert auch die soziale Frage nicht aus den Augen. Zu den Schwerpunkten ihres Programms zählen der Kampf gegen prekäre Arbeitsverhältnisse, für Mindestlöhne, bessere Schulen und das öffentliche Gesundheitswesen. Schlein will eine Demokratische Partei, die mit den Mustern der Vergangenheit bricht und die strenge Trennung zwischen liberal-progressiv und konservativ-populistisch aufhebt.

„Wir werden die Partei sein, die nicht ruhen wird, bis die Prekarisierung der Arbeit beendet ist, bis kostenlose Praktika abgeschafft sind, und wir werden für einen Mindestlohn kämpfen. Wir werden alle anderen oppositionellen Kräfte dazu aufrufen, diesen Kampf gemeinsam zu führen, um zu sagen, dass es sich unterhalb einer bestimmten Schwelle nicht um Arbeit, sondern um Ausbeutung handelt“, versicherte Schlein in der Rede nach ihrem Sieg.

 

Eine Person allein macht noch keine Partei

Auf die Hektik und den Enthusiasmus in den ersten Stunden nach ihrer Wahl folgt das ernüchternde Bewusstsein, dass es einen Berg zu erklimmen gilt. Schlein selbst hat bereits Erfahrungen mit Opposition und Widerstand innerhalb der Partei gemacht. Insbesondere 2013 war sie der breiten Öffentlichkeit als eines der Gesichter von OccupyPD bekannt, der Protestbewegung gegen die Hypothese einer Regierung auf einer erweiterten Basis aus PD und dem Mitte-Rechts-Lager. Im Jahr darauf zog sie auf der Liste der PD ins Europäische Parlament ein, doch bereits 2015 verließ sie es wieder, weil sie ihre Ideen mit den neoliberalen Reformen von Matteo Renzi, dem Jobs Act, Sblocca Italia und der Verfassungsreform als unvereinbar sah. Obwohl es in den folgenden acht Jahren nicht an Transformationsversuchen innerhalb der PD mangelte, waren die Ergebnisse stets wenig erfolgreich und bestätigten eine eher zentristische, liberale Identität, die nicht in der Lage war, die laufenden gesellschaftlichen Transformationen zu erfassen.

Es ist daher interessant zu sehen, wie Schlein nach acht Jahren, die sie mit anderen politischen Experimenten zubrachte, entschied, sich wieder in der Partei zu engagieren und bei den internen Wahlen zu kandidieren. Hinter diesem Beispiel verbergen sich zwei unbequeme Wahrheiten: Die erste ist, dass es bis heute keiner politischen Initiative gelungen ist, im linken Spektrum eine taugliche Alternative zur PD zu entwickeln. Zweitens gibt es eine offensichtliche Dissonanz zwischen der Parteibasis und den Erwartungen der Öffentlichkeit an die Partei. Schleins Sieg bei den offenen Vorwahlen stand in der Tat in scharfem Kontrast zur Entscheidung des Parteigremiums, für das Bonaccini der bevorzugte Kandidat war.

Diese Tatsache ist äußerst wichtig und darf nicht unterschätzt werden. Wie Schlein in ihrer Bewerbungsrede geschickt formulierte, „ist es Zeit für eine weibliche und feministische Führung, die nicht vorschlägt, das Modell des Mannes allein an der Macht durch das der Frau allein an der Macht zu ersetzen, sondern vielmehr dieses Modell durch eine stärker pluralistische und kollektive Führung grundlegend zu verändern.“ Diese Führung muss jedoch auf einer soliden Grundlage beruhen, die heute nicht zu existieren scheint. Die ersten internen Unzufriedenheiten werden bereits deutlich. So beschloss der ehemalige Minister Giuseppe Fioroni, eine historische Figur der Partei, am Tag nach der Abstimmung, die Partei zu verlassen, da sie seiner Meinung nach nicht mehr die Ideale vertritt, durch die sie sich bei ihrer Gründung auszeichnete. Dieses Risiko der Abwanderung eines Großteils der Wähler und Mitglieder in Richtung des von Calenda geleiteten dritten Pols und der konservativen Rechten ist der Preis, den man zahlen muss, um mit der Vergangenheit zu brechen und einer neuen politischen Identität Gestalt zu verleihen.

Eine Öffnung nach links?

Einige der kritischsten Stimmen aus der radikalen Linken beschrieben Schleins Aufstieg mit dem berühmten Zitat aus „Der Leopard“:Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern.“ Die Angst vor einem Flop ist groß: Wie könnte die Partei, die den sozialen Schutz und das Arbeitsrecht abgebaut hat, plötzlich wieder glaubwürdig werden? Für viele verkörpert Schlein den x-ten Ableger der progressiven Sozialdemokratie, die als Feind der Arbeiterklasse betrachtet wird. Schließlich ist es kein Geheimnis, dass man hauptsächlich in den großen Ballungsgebieten in Norditalien für die Dem'-Sekretärin stimmte. Insbesondere im Süden entfielen die meisten Stimmen auf den anderen Kandidaten, Bonaccini. Weder in Bezug auf ihre persönliche noch auf ihre politische Geschichte hat Schlein viel mit Ocasio Cortez gemeinsam, mit der sie oft verglichen wird. Das weiß die neue Parteisekretärin, und ihr Fokus auf soziale Themen ist kein Zufall. Es besteht aber eine reale Gefahr, dass sie zu einer Karikatur ihrer selbst zu werden droht, wenn diese radikale Botschaft nicht mit einer konkreten Veränderung in der Praxis einhergeht.

Immerhin markiert Schleins soziales und ökologisches Programm eine klare Positionierung und ebnet den Weg für ein neues politisches Linksbündnis. Sowohl Fratoianni, der Vorsitzende von Sinistra Italiana, als auch Bonelli und Evi von den italienischen Grünen begrüßten den Sieg Schleins und hoffen auf eine Stärkung der Opposition gegen Melonis rechtsextreme Partei. Die politischen Wechselbeziehungen mit der Fünf-Sterne-Bewegung bleiben offen und viele fragen sich, ob Schleins Sieg eine Verbesserung der Beziehungen oder den Beginn einer Rivalität um einen großen Teil der Wählerschaft markieren wird.

Es ist daher noch zu früh, um über Bündnisse zu sprechen. Schlein steht zwar bei einigen Themen wie Ökologie, Arbeit und Prekarität den Positionen des linken Flügels näher, aber bei anderen, wie der Außenpolitik, entspricht ihre Linie der traditionellen Position der Demokratischen Partei. Wie die Politologin Nadia Urbinati in einem Interview betont, muss die Priorität für Schleins Partei darin bestehen, sich einen politischen Raum zu schaffen, ihre eigene Identität reifen zu lassen und sich dann für neue Allianzen zu öffnen. Es sei wichtig, ein starkes Signal zu geben, nicht nur an die Parteimitglieder, sondern auch nach außen, insbesondere an jüngere Menschen.

Letztendlich markiert Schleins Sieg einen Wendepunkt in der PD. Er ist ein weiterer Beweis dafür, dass der Dritte Weg à la Blair im Jahr 2023 kein machbares Rezept mehr ist, auch nicht in Italien. Auch die Demokratische Partei muss sich den Herausforderungen der Gegenwart stellen und sich zu erneuern wissen. Heute funktioniert die lange Zeit von der PD vertretene Linie der uneingeschränkten Zustimmung zum neoliberalen Wirtschaftsmodell, zu Menschenrechten lediglich auf dem Papier, zum Recht auf Arbeit, aber auch zum Recht der Arbeitgeber, nicht mehr. Schlein ist die Stimme dieser Unzufriedenheit, der enttäuschten Wählerinnen und Wähler, die sich von der institutionellen Politik der frühen 2000er Jahre verraten fühlen, aber ebenso auch von der neuen Generation von Umweltschützern, die in dieser neuen Vertreterin der Linken eine Hoffnung auf Wandel sehen. Die Herausforderung wird darin bestehen, zwischen den politischen Strömungen in der Partei zu vermitteln, um ein Gleichgewicht zu wahren, ohne dem Wunsch nach Radikalität und Neuheit untreu zu werden, aufgrund dessen Schlein gewählt wurde.