Frankreich vor den Parlamentswahlen: das NUPES Bündnis kurz erklärt

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NUPES- Nouvelle Union Populaire Ecologique et Sociale ist ein Bündnis von vier Parteien des linken und grünen Spektrums: La France Insoumise (LFI), Parti Communiste (PC), Europe Ecologie les Verts (EELV) und der Parti socialiste (PS).

NUPES

Was bedeutet NUPES?

NUPES- Nouvelle Union Populaire Ecologique et Sociale ist ein Bündnis von vier Parteien des linken und grünen Spektrums: La France Insoumise (LFI), Parti Communiste (PC), Europe Ecologie les Verts (EELV) und der Parti socialiste (PS). Das Bündnis hat sich zum Ziel gesetzt, die Parlamentswahlen zu gewinnen und den Spitzenkandidaten der Partei La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon, als Premierminister zu wählen. Hinter diesem Bündnis liegen zwei wichtige Faktoren: Zum einen das (finanzielle) Überleben einiger politischer Parteien, wie beispielsweise EELV oder PS, und zum anderen der massive Druck der Linken und Grünen Wählerschaft - denn 84% der linken Wählerschaft begrüßen dieses Bündnis.

Wie kam es dazu? Warum jetzt ein Bündnis der linken Kräfte? 

Nach der Präsidentschaftswahl gab es eine große Erwartung in der Wählerschaft der linken Parteien, ein Bündnis zu schließen, um gemeinsam erfolgreich zu sein und sich nicht erneut im Kampf gegen die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen zu neutralisieren. Dieses Bündnis ist eine große Seltenheit in der politischen Landschaft Frankreichs, denn ein Vergleichbares kam zuletzt vor 25 Jahren mit der Gauche Plurielle von Lionel Jospin zustande. Herausforderungen für das aktuelle Bündnis sind zum einen die Zersplitterung der Parteienlandschaft in drei große Blöcke (Mitte, Rechtsextreme und Linke) und zum anderen das Mehrheitswahlsystem, das die Parteien zwingt, sich noch vor den Parlamentswahlen auf ein Regierungsprogramm zu einigen. Diese Allianz gilt somit als Ergebnis der Vernunft: Die LFI hat zwar, dank des Mehrheitswahlsystems, das bessere Ergebnis bei der Präsidentschaftswahl erreicht, jedoch fehlt der Partei die lokale Verankerung- , welche die PS und EELV mit ihren guten Ergebnissen bei den Kommunalwahlen mitbringen. Die EELV kann dieses Bündnis nutzen, um durch ein gutes Ergebnis bei den Parlamentswahlen ihre öffentliche Finanzierung zu sichern. Die PS hat nach dem denkwürdig schlechten Ergebnis bei der Präsidentschaftswahl von 1,75% mit ihrer Spitzenkandidatin Anne Hidalgo die Chance, sich neu aufzustellen. Trotz dieser taktischen Vorteile für die Bündnispartner bestehen große inhaltliche Unterschiede zwischen den Parteien, insbesondere bei den Themen Energie, Europa und internationale Angelegenheiten. 

Was sind die Kernpunkte?

Ganze 650 Maßnahmen sind im Programm des Bündnisses, unterteilt in acht Kapitel (Soziales, Klimaschutz und Energie, Verteilung des Wohlstands und der Steuergerechtigkeit, Öffentlicher Dienst, VI. Republik und Demokratie, Sicherheit und Justiz, Antidiskriminierung, EU und Internationales) aufgeführt. Leuchtturmprojekte sind u.a. die Rente mit 60, die Erhöhung des Mindestlohns auf 1500€ pro Monat (von derzeit 1302€), eine Verringerung der Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 65%, die Einführung einer Klimasteuer, eine ökologische Planung (langfristige Festlegung von großen ökologischen Prioritäten, die durch eine kollektive Beratung legitimiert werden für Anhaltspunkte für öffentliche oder private Investitionen), eine “grüne Regel” (eine Umweltverträglichkeitsprüfung, d.h. der Natur soll nicht mehr entnommen werden, als sie wieder herstellen kann) sowie die Wiederbelebung der Demokratie und eine verstärkte Rolle des Parlaments (VI. Republik). 

Die Wiederbelebung der Demokratie ist schon seit längerem eine Priorität der französischen Linken und der Grünen. Diese soll mit einem Wahlrecht ab 16 Jahre und der Einführung eines Referendum d’initiative citoyenne (Referendum der Bürgerinitiativen) gelingen. Die Kernidee einer neuen « VI. Republik » ist dem Parlament mehr Macht und eine stärkere Kontrolle der Exekutive zu geben. Dies soll durch eine Änderung des Wahlsystems bei den Parlamentswahlen, von dem derzeitigen Mehrheitswahlssystem zu einem Verhältniswahlsystem, gelingen, was eine Verfassungsänderung impliziert.  

Von den insgesamt 650 Maßnahmen des NUPES-Programms, gelten 33 als “Nuancen” - als Punkte, bei denen es Unstimmigkeiten innerhalb des Bündnisses gibt.

Beispielsweise gibt es Unstimmigkeiten bei dem Thema Energie(wende): Während EELV aus der Atomenergie aussteigen möchten, wollen die Kommunisten auch in Zukunft auf Atomkraft setzen. Sie möchten weitere AKWs bauen, während die Sozialisten alte AKWs renovieren wollen, um ihre Laufzeit zu verlängern und den Ausstieg zu verlangsamen.

Für weitere Diskussionen sorgt das Thema Europa und internationale Angelegenheiten: 

Fokus EU und Internationales- Das steht drin:

Zu Beginn des Kapitels über Europa und Internationales werden die Haltungen der Parteien zu Europa aufgelistet. Hierbei betonen die französischen Grünen ihre pro-europäische Ausrichtung und ihre Verbundenheit mit dem Projekt eines föderalen Europas.

Unstimmigkeiten gibt es auch zur Mitgliedschaft Frankreichs in der NATO und der Einhaltung des europäischen Regelwerks. Insbesondere das Konzept der „Ungehorsamkeit“ oder der „vorübergehende Abweichungen“ von EU-Regeln haben öffentlich wie auch innerhalb des Bündnisses für großes Aufsehen gesorgt. 

Allgemein sieht das Programm die Möglichkeit vor, von einigen EU-Regeln abzuweichen, wenn diese die sozialen, ökologischen und demokratischen Ziele des NUPES-Programms nicht verfolgen. 

Mögliche Reibungspunkte mit europäischen Partnern

Einig ist sich NUPES z.B. über die Verhinderung der vorgelegten Taxonomie-Vorschläge zur Nachhaltigkeit von Gas und Atomenergie, die Beendigung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, die Abschaffung der Haushaltsregeln (Defizit von 3 %) sowie über die Abschaffung der Schuldenquote von 60 %. Dazu steht NUPES für eine Änderung der Aufgaben und des Status der EZB sowie ihre Unterstellung unter demokratische Kontrolle. Die Regel der Einstimmigkeit soll in Sachen Steuerhinterziehung beendet werden sowie ein Mindestsatz von 25% für die Körperschaftsteuer eingeführt werden. Dazu sollen neue Eigenmittel bereitgestellt werden, z.B. durch eine Steuer auf Finanztransaktionen. Besonders erwähnenswert ist das Thema der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit: Es ist vorgesehen, dass die EU-Finanzierung ausgesetzt werden kann, wenn Grundfreiheiten oder die Rechtsstaatlichkeit nicht respektiert werden. Allgemein befürwortet das Bündnis eine Ablehnung aller neuen Freihandelsabkommen, bzw. eine Revision der bestehenden Handelsabkommen sowie die Einführung einer sozialen und ökologischen Steuer an den (außereuropäischen) Grenzen. Dazu sieht das Programm vor, die europäischen Verträge neu zu diskutieren, um die sozialen und ökologischen Ziele zu erreichen - die freien Kapitalflüsse sollen ebenfalls diskutiert werden, um darauf eine europäische Antwort zu finden. 

Im Programm wird also deutlich, dass Frankreich europäische Regeln brechen könnte („Infolgedessen müssen wir bereit sein, bestimmte [europäische] Regeln zu missachten“), mit der Begründung, dass dies für die Erreichung eines sozial- und ökologischen (Ober-)Ziels notwendig sei. Laut des NUPES-Programms sei die Nichteinhaltung bestimmter EU-Regeln kein politisches Ziel an sich, sondern mehr ein Instrument, um ihre ökologischen und sozialen Ziele zu erreichen. Als Beispiel werden Deutschland mit der Ausschreibung des Wassersektors, oder Spanien, mit dessen Handeln gegen steigende Energiepreise, genannt. Jedoch soll das “Ungehorsame” bzw. die Abweichung von EU-Regelung nur unter der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit geschehen. 

Was sind die Handlungsspielräume?

Beabsichtigt wird bestehende Handlungsspielräume zu nutzen: NUPES möchte mit der europäischen Kommission die notwendigen Gesetzesanpassungen und Ausnahmeregelungen aushandeln, also die Anwendung von EU-Verordnungen oder Richtlinien einstellen - u.a. wenn sie mit der “sozialen und ökologischen Notwendigkeit” nicht zusammenpassen. Ziel ist dabei, eine Mehrheit von Staaten in Europa davon zu überzeugen, die Regeln ebenfalls zu ändern und damit eine Allianz und Mehrheit im EU-Rat zu bilden. Das Vetorecht könnte benutzt werden, um Freihandelsabkommen zu verhindern. Dabei setzt NUPES auf eine verstärkte Zusammenarbeit mit einigen Ländern, d.h. das Prinzip eines Europa mit zwei Geschwindigkeiten soll weiter verankert werden. Dazu soll, zusammen mit den nationalen und europäischen Parlamenten, ein Europäischer Konvent für eine Neubearbeitung der europäischen Verträge stattfinden. Die neu ausgehandelten Texte sollen per Referendum von der Bevölkerung abgestimmt werden.

Internationale Angelegenheiten (Kompetenzbereich des Präsidenten laut der frz. Verfassung)

Da es keine Einigung zwischen den Parteien beim Thema NATO-Mitgliedschaft und einem (möglichen) Rückzug aus der integrierten Kommandostruktur gibt, soll die Assemblée Nationale darüber entscheiden. Anzumerken ist hierbei, dass EELV zum Thema NATO-Mitgliedschaft keine Stellung bezogen hat, obwohl die Parti Socialiste (PS) deutlich gemacht hat, dass sie sich für ein Erhalt Frankreichs in der NATO ausspricht. Historisch betrachtet möchte EELV aus der NATO austreten - dieser Standpunkt änderte sich jedoch im Lichte des Angriffs Russlands auf die Ukraine.

Nichtsdestotrotz sprechen sich sowohl EELV als auch die PS für eine Verstärkung der militärischen Zusammenarbeit auf EU-Ebene, mit der Schaffung eines europäischen militärischen Einsatzkommandos, aus. Beide politischen Kräfte befürworten zudem weiterhin die Waffenlieferungen an die Ukraine und die Verhängung eines vollständigen und sofortigen Embargos für russische Importe von Öl, Kohle, Kernbrennstoffen und Gas.

 

Perspektive:

Dieses Bündnis gilt erstmal nur für die Parlamentswahlen. Von einer Fortsetzung bei den, nun als nächstes kommenden Europawahlen im Jahr 2024, ist aktuell nicht die Rede.

Zehn Tage vor dem ersten Wahlgang bei den Parlamentswahlen sind, laut verschiedener Umfragen, liegen die drei Blöcke (Rechtsextreme, Mitte und Linke) nah beeinander. Nach aktuellen Umfragen (vom 30.05.22) führt das Bündnis „Ensemble“ von Emmanuel Macron mit 27% (d.h. 275-310 Sitze), knapp dahinter ist NUPES mit 25% (170-205 Sitze) und schließlich der Rassemblement National von Marine Le Pen (21%, 35-55 Sitze). Laut dieser Umfrage ist eine Mehrheit für Emmanuel Macron keinesfalls sicher (dazu werden 289 Sitze werden). Dennoch sollten die Umfragen mit Vorsicht betrachtet werden, da in einem Mehrheitswahlsystem am Ende oft der*die moderate Kandidat*in als Gewinner hervorgeht – was einen taktischen Vorteil für das Bündnis von Emmanuel Macron bedeutet.

Es bilden sich nun zwei mögliche Szenarien heraus: Entweder erreicht NUPES mit 289 Sitze die Mehrheit der Sitze in der Assemblée nationale und Jean-Luc Mélenchon könnte tatsächlich als Premier Minister ernannt werden. Dies hätte zur Folge, dass der Präsident und der Premierminister nicht dem gleichen politischen Lager angehören und die vierte „Kohabitation“ der V. Republik entstehen würde - was 63% der Befragten begrüßen würden.

Das andere (und wahrscheinlichere) Szenario ist, dass „Ensemble“ die Mehrheit der Sitze erhält, jedoch mit NUPES, als größtes Oppositionsbündnis, auf eine starke Opposition seitens des Parlaments stößt.

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