Gemischte Gefühle: Auswirkungen des Brexits auf die EU-Energie- und Klimapolitik

Demonstrant/innen verkleidet als Hund, Eisbär und Pinguin
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Climate Change March 2015 in London. Die Briten setzten sich auch innerhalb der EU oft für ambitionierte Klimaziele ein. Welche Auswirkungen hat der Brexit?

Sie haben es wirklich getan. Wirklich. Die Briten haben sich gegen die Europäische Union und für „splendid isolation“ entschieden. Was bedeutet der Brexit für die europäische Klima- und Energiepolitik? Welche Auswirkungen hat er auf die Dynamik für mehr Klimaschutz, die wir nach Paris so mühsam aufrechterhalten?

Die EU verhandelt derzeit das große Klima- und Energiepaket für 2030. Bereits letzten Sommer hat die Kommission Vorschläge für eine Reform des Emissionshandels (PDF) auf den Tisch gelegt. Die Sektoren, die am EU-ETS beteiligt sind, produzieren rund die Hälfte aller Kohlenstoffdioxidemissionen in Europa. Am 20. Juli 2016 sollen verbindliche Zielvorgaben für Emissionen, die nicht im EU-ETS erfasst sind, folgen. In der Entscheidung über die Lastenverteilung (Effort-Sharing, PDF) gibt es für jeden Mitgliedsstaat individuelle Reduktionsziele. Ebenfalls in diesem Sommer wird von der Kommission ein Vorschlag zur Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens erwartet. Im Herbst stehen dann die Energiethemen auf der Agenda mit Gesetzgebungsvorschlägen für Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Über allem schwebt immer die Frage, ob und wann die EU ihre nach den Pariser Beschlüssen hoffnungslos überholten und unambitionierten Klimaziele für 2030 und 2050 anhebt.

Verzögerungen bei Verhandlungen um Emissionshandel und Lastenverteilung möglich

All diese Debatten macht der Brexit nicht einfacher. Beim Emissionshandel hat der bisherige Berichterstatter im EU-Parlament, der schottische Konservative Ian Duncan, sein Mandat niedergelegt.

https://twitter.com/IanDuncanMEP/status/746298363092557825

Ein polnischer Kohlefreund soll ihn beerben, das wollen die anderen Fraktionen im Umweltausschuss aber um jeden Preis verhindern. Ein polnischer Berichterstatter wäre ein „Disaster“, das niemand wolle, heißt es aus dem Parlament. Eigentlich sollte der Umweltausschuss kurz nach der Sommerpause über Änderungsanträge zu Duncans schwachem Berichtsentwurf debattieren, ob dieser Zeitplan haltbar ist, ist mehr als fraglich.

Auch beim Effort-Sharing ist eine Verzögerung möglich. Hier ist es besonders kompliziert, da unklar ist, ob Großbritannien in der EU-Lastenverteilung noch einbezogen werden soll oder nicht. Vermutlich wird ersteres der Fall sein – auch aufgrund von Camerons Hinhaltetaktik, die in den letzten Tagen offensichtlich wurde und eine längere Unsicherheitsperiode ankündigt. Aus der Kommission heißt es bisher, das Effort-Sharing werde wie geplant vor der Sommerpause vorgestellt.

https://twitter.com/mark_johnston/status/748091822208094208

Allerdings gibt es starke Stimmen in der Kommissionsspitze und einigen Mitgliedstaaten, die hier noch auf die Bremse treten könnten. Ob aus wirklicher Sorge, dass das Effort-Sharing gerade wenige Chancen hätte, oder weil sie nur einen Grund zum Bremsen gesucht haben, sei dahin gestellt.

Insgesamt gilt bei den Klimadossiers, dass Verhandlungen wahrscheinlich schwieriger werden ohne die Briten, die zu den Unterstützer/innen einer ambitionierten Reform des Emissionshandels gehören und sich selbst vergleichsweise ambitionierte nationale Klimaziele gesetzt haben. Im Rahmen der sogenannten Green Growth Group strukturierten sie die Zusammenarbeit von „progressiven“ Mitgliedstaaten; schon in den Monaten vor dem Referendum war spürbar, welch Verlust die britischen Impulse hier darstellen werden. Großbritannien war der einzige große Mitgliedstaat, der 2014 ein höheres EU-Klimaziel für 2030 wollte. Ohne sie hätten wir das „mindestens“ vor den 40 Prozent wohl nicht bekommen.

Wird die Rolle der EU in der internationalen Klimadiplomatie geschwächt?

Auch für die internationale Klimapolitik hält der Brexit wohl möglich einige böse Überraschungen parat. Die Briten haben stets großen Wert auf Klimadiplomatie gelegt; es lässt sich zunächst nur spekulieren, ob und wie diese Lücke in den Reihen der EU kompensiert werden kann. Die Frage, wie sich Paris entwickelt hätte, wenn wir schon letztes Jahr den Brexit bekommen hätten, bleibt zum Glück hypothetisch. Aber die Vorbereitungen auf den Stocktake-UN-Gipfel 2018 sind mit dem 24. Juni nicht leichter geworden.

Brexit – eine Chance für die Europäische Energiewende?

Dennoch, die Klima- und Energiepolitik wird die Briten nicht nur vermissen. Manch eine Verhandlung könnte ein besseres Ende nehmen. So zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien, denen gegenüber die Briten eine ähnlich seltsame, irrational anmutende Skepsis innehaben wie gegenüber der Europäischen Union. Ähnliches, wenn auch nicht so fundamental, gilt bei der Energieeffizienz. In beiden Bereichen gingen die Briten oftmals Allianzen mit den euroskeptischen Visegrad-Staaten ein. Ein ironisches Danke an dieser Stelle nochmal für das seltsame Erneuerbare-Energien-Ziel für 2030: Das ist auf EU-Ebene verbindlich, soll aber nicht auf nationale Ziele heruntergebrochen werden. Auch das geltende schwache Energieeffizienzziel von „mindestens“ 27 Prozent trägt teilweise die Handschrift der britischen Regierung. Generell hat der britische Mythos von der „Brüsseler Regulierungswut“ progressive Energiegesetzgebung tendenziell verhindert als vorangebracht. Hier gilt es nun, die Kommission nicht in Schockstarre verfallen zu lassen, sondern deutlich zu machen, dass der Moment für ein ambitioniertes Vorantreiben der europäischen Energiewende gekommen ist.

Die großen Fragen sind jetzt, wie die verbleibenden EU-Staaten sowie Kommission und Parlament die Union künftig aufstellen und welche Schlüsse sie aus dem Brexit ziehen. Geht der Trend zu Deregulierung (PDF) und dem Abbau von angeblich überflüssiger Rechtsetzung gestärkt weiter? Dann haben wir als NGO-Vertreterinnen schwere Zeiten vor uns. Oder beginnt nun die Suche nach einer positiven Erzählung zum Projekt Europa?

https://twitter.com/Green_Europe/status/748122581232918528

Keine Frage, letzteres muss der Fall sein und könnte mittelfristig doch zu einem Happy End für die EU-Klimapolitik führen.

Stillstand in Sachen Klimaschutz kann sich Europa nicht leisten

Die europäischen Bürger/innen machen in Umfragen immer wieder deutlich, dass sie sich Klimaschutz und Energiewende wünschen. Die EU muss nun zeigen, dass sie mehr kann als nur Markt. Die sozial- und naturverträgliche Dekarbonisierung der Wirtschaft ist eine Jahrhundertaufgabe und das beste Beispiel für Herausforderungen, denen Nationalstaaten alleine nicht begegnen können. Wer die Erwärmung des Erdklimas auf weit unter 2°C, bzw. 1,5° C begrenzen will, kann sich keinen Stillstand leisten.

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Bisher hat die EU bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens keine gute Figur gemacht – das „mindestens“ vor den 2030-Zielen darf keine Floskel bleiben. Die euphorische Unterstützung für 1,5°C war vielleicht doch nicht so ernst gemeint. Die Entscheidungsträger/innen müssen erkennen, dass gerade eine solche Haltung unglaubwürdig macht und Europaskepsis befeuert. Hier bietet sich die große Chance zu zeigen, was Europa für seine Bürger/innen und innerhalb der Weltgemeinschaft tun kann. Diese Chance muss nur ergriffen werden.

 

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