Emmanuel Macron gegen Marine Le Pen lautet das Duell um den Élysée Palast. Macron gilt als Favorit, doch genau das könnte ihn den Sieg kosten, sagt Jens Althoff von der Heinrich-Böll-Stiftung im Interview.
Herr Althoff, eine Wahl versetzt ein Land gerne sprichwörtlich in den Ausnahmezustand. In Frankreich ist dieser aber seit über einem Jahr Alltag. Wie haben Sie diese Wahl erlebt?
Sie haben Recht, die Wahlen fanden in einem doppelten Ausnahmezustand statt. Das Land befindet sich seit den furchtbaren Terroranschlägen im November 2015 im rechtlichen Ausnahmezustand. Das Attentat am Donnerstagabend auf den Champs-Élysées hat erneut gezeigt, dass die Terrorgefahr nicht gebannt ist. Aber auch politisch befindet sich Frankreich im Ausnahmezustand. Eine Wahl wie diese gab es in der Geschichte der fünften Republik noch nie.
Hatten Sie das Gefühl, dass die Angst vor dem Terror die Wahl überschattet hat?
Nein, den Eindruck hatte ich nicht. Die Terrorgefahr und die damit verbundenen, erhöhten Sicherheitsmaßnahmen gehören mittlerweile leider zum französischen Alltag dazu. Im Februar und März gab es bereits Attacken auf Sicherheitskräfte, die noch in den Köpfen der Bevölkerung stecken. Das könnte Marine Le Pen auf den letzten Metern noch eine zusätzliche Mobilisierung gebracht haben, hat aber die Wahl insgesamt nicht maßgeblich beeinflusst.
Diese Wahl wird oft als Schicksalswahl für Frankreich bezeichnet. Ist sie das?
Vor allem ist es eine Schicksalswahl für Europa und Frankreichs Platz in Europa. Immerhin kamen gestern Kandidaten, die einen klaren anti-europäischen Kurs vertreten, auf insgesamt über 45% der Stimmen. Das ist ein besorgniserregendes Signal. Die Frage nach Frankreichs Platz innerhalb Europas wird die nächsten zwei Wochen im Fokus der harten Auseinandersetzung zwischen Macron und Le Pen stehen. Bisher haben aber vor allem innenpolitische Themen dominiert.
Welches Thema beschäftigt die Bürger denn am meisten?
Die schwierige Wirtschaftslage und die hohe Arbeitslosigkeit sind Thema Nummer eins. Die Europakritik von ganz rechts und auch ganz links richtet sich vor allem gegen die europäische Wirtschaftsausrichtung. Europa wird mehrheitlich als scharfes Schwert einer neoliberalen Globalisierung wahrgenommen, die Jobs und die soziale Sicherheit bedroht. Diese europakritischen Wähler wird Marine Le Pen jetzt versuchen für den zweiten Durchgang zu gewinnen.
Erstmals seit 1958 sind die beiden treibenden Kräfte der französischen Politik, also die Konservativen und die Sozialisten, nicht bei der Stichwahl vertreten. Stattdessen stehen sich der Überraschungskandidat Macron und die Rechtspopulistin Le Pen gegenüber.
Dieses Wahlergebnis ist ein politisches Erdbeben. Die französische Politik wird komplett umgekrempelt. Für Sozialisten wie Konservative ist das ein schwerer Schlag ins Kontor. Sie haben jetzt zunächst aufgerufen, für Macron zu wählen, aber die Neuaufstellungen für die Parlamentswahlen am elften und achtzehnten Juni sind bereits mit hohem Tempo im Gange. Gerade klärt sich, welche Koalitionen rund um Macron sowie links und rechts von ihm möglich sind – und wer diese Konstellationen jeweils anführen könnte.
Sowohl der konservative Kandidat Fillon als auch der Sozialist Hamon, konnten nicht einmal auf die Unterstützung aus den eigenen Reihen bauen. Ist Macrons Erfolg auch als Mangel an Alternativen zu verstehen?
Macrons Sieg erklärt sich vor allem aus der Schwäche der Sozialisten und Konservativen. Natürlich hat er auch ein Angebot: Er steht für Aufbruch, Erneuerung und gegen das etablierte Parteiensystem. Sein Sieg offenbart den Sturzflug der beiden großen Lager. Die Konservativen hatten eigentlich über das letzte Jahr in Umfragen immer die Nase vorn. Die Skandale um Fillon und sein Festhalten an der Kandidatur haben ihn den Sieg gekostet. Das wird Folgen haben. Die Sozialisten haben sich schon im Wahlkampf gespalten. Ihr Spitzenkandidat Hamon war gegen die Regierungspolitik der eigenen Partei und versucht für einen sozial-ökologischen Neuanfang zu stehen. Dieser Spagat zwischen Neustart und Regierungserbe ging gründlich schief. Auch weil führende Sozialisten, wie der ehemalige Premier Manuel Valls, den eigenen Kandidaten Schritt für Schritt im Stich ließen, um Macron zu unterstützen.
Die andere Alternative ist Macrons Gegnerin Marine Le Pen. Ihre rechtspopulistische Partei stand erst einmal in der Stichwahl und kam damals, 2002, im zweiten Wahldurchgang auf nur knapp 18 Prozent, weil es einer Mehrheit darum ging, einen rechtspopulistischen Präsidenten zu verhindern. Kann Marine dieses Mal schaffen, was ihrem Vater 2002 nicht gelang?
Alle Prognosen deuten bislang darauf hin, dass Macron die Stichwahl gewinnt. Aber wenn es nur noch zwei Alternativen gibt, ist alles möglich. Das haben wir beim Brexit und in Amerika gesehen. Es kann auch noch sehr viel passieren: Weitere Terrorattacken würden Le Pen in die Hände spielen. Zudem werden wir jetzt einen sehr scharfen Wahlkampf erleben, in dem ein mit allen Wassern gewaschenes Schlachtross des politischen Betriebs gegen einen Politikneuling antritt. Macron ist ein Idealgegner für Le Pen. Er verkörpert das Feindbild des Front National: Weltoffenheit, Europa, liberale Werte, wirtschaftlicher Liberalismus.
Was Le Pen genügend Angriffsfläche bietet.
Le Pen wird versuchen, ihn als typischen Vertreter der Pariser Eliten zu diffamieren. Macron darf jetzt keine Fehler machen. Sein Verhalten am Sonntagabend war da kein guter Anfang: Mit großer Eskorte, schon fast wie ein Präsident, fuhr er in ein feines Pariser Restaurant, um dort im kleinen Zirkel den Sieg zu feiern, statt sich sofort mit Ernst und Entschlossenheit daran zu machen, Le Pen zu schlagen. Ich sehe noch eine weitere Gefahr: Der Montag nach der Wahl ist ein Feiertag, weshalb viele Franzosen das lange Wochenende zum Verreisen nutzen werden. Wenn Macron in den Umfragen jetzt schon als sicherer Sieger gehandelt wird, könnten viele meinen, sie könnten wegfahren statt wählen gehen. Noch hat er aber nicht gewonnen.
Das Gespräch führte Max Tholl