Der Wahlausgang in Frankreich war so knapp und historisch einschneidend wie vorausgesagt: Emmanuel Macron und Marine Le Pen stehen sich im zweiten Wahlgang gegenüber, ein weltoffenes, modernes und vielfältiges gegen ein nationalistisches, rückwärtsgewandtes und sich einmauerndes Frankreich. Le Pen dürfte gegen Macron keine Chance haben – wenn dieser keine Fehler macht.
Es war eine Ehrenrettung für die Umfragebranche, die allerdings in Frankreich bereits vor dem Wahlgang selbstbewusst für sich in Anspruch genommen hatte, besser zu sein als die Kollegen in Großbritannien und die USA. Das Ergebnis war auch am Wahlabend so knapp, wie in den letzten Tagen davor prognostiziert. Mit 23,86 Prozent liegt der parteilose Jungstar Emmanuel Macron klar vor FN-Chefin Marine Le Pen mit 21,43. Allerdings schafft es diese knapp in den zweiten Wahlgang. Der konservative Kandidat François Fillon sowie der Kandidat des „Unbeugsamen Frankreich“ Jean-Luc Mélenchon liegen nicht einmal zwei Punkte hinter ihr. Eigentlich kein großer Erfolg für den FN, angesichts der knapp 28 Prozent bei den Regionalwahlen im Dezember 2015 und der Tatsache, dass Marine Le Pen über Monate in den Umfragen für Platz 1 im ersten Wahldurchgang gehandelt wurde.
Emmanuel Macron gegen Marine Le Pen
Allerdings erzielt die FN-Chefin mit über 7,5 Millionen Wählerstimmen ein historisch einmaliges Ergebnis und sie ist im zweiten Wahldurchgang. Das eröffnet nun für zwei Wochen einen Medienzugang, wie ihn der FN sonst im Wahlkampf nicht hatte. Insbesondere in den letzten zwei Wochen vor der Wahl mussten Fernsehen und Radio genau im gleichen Umfang über alle elf Kandidaten berichten. Die TV-Debatte mit allen Bewerbern war für Le Pen ein Misserfolg, vor allem der Trotzkist Philipp Poutou machte sie mit seinen Attacken zum Teil des Systems – diese wurden anschließend heftig geteilt in den sozialen Netzwerken. Jetzt haben Marine Le Pen und ihre Leutnants vom FN zwei Wochen umfangreichen Medienzugang – und den Gegner, den sie sich gewünscht und auf den sie sich lange vorbereitet haben.
Er ist nun die Hoffnung des weltoffenen, modernen, vielfältigen und proeuropäischen Frankreich: Emmanuel Macron. Vor genau einem Jahr hat der parteilose die Bewegung „En Marche“ ins Leben gerufen, von Anfang an angelegt als Alternative zum etablierten Parteiensystem, mit der Macron auch die traditionell klar in links und rechts aufgeteilte politische Landschaft überwinden wollte. Jetzt hat der 39-jährige Jungstar die seit Jahrzehnten gültige Struktur des politischen Systems Frankreichs sogar mit gesprengt: Erstmals seit der Gründung der V. Republik ist kein Kandidat der beiden großen Parteifamilien, der Konservativen und der Sozialisten, in der zweiten Runde. Das wird Folgen haben. Im hohen Tempo formiert sich gerade die politische Landschaft in Frankreich neu, um einen möglichen Präsidenten Emmanuel Macron, sowie in voraussehbar neuen Konstellationen im rechten und linken Spektrum.
Sozialisten und Konservative nicht in der Stichwahl
Der Sieg des Emmanuel Macron basiert vor allem auf der Schwäche dieser beiden Parteifamilien: Bei den Sozialisten konnte der unbeliebteste Präsident der V. Republik, Francois Hollande, nicht mehr antreten und bei der sehr spät angesetzten Urwahl der Sozialisten im Januar gewann schließlich mit Benôit Hamon ein Anführer der Frondeur, die der Regierungslinie von Präsident Hollande und seinem Premier Manuel Valls schon in den letzten Jahren nicht mehr folgen wollten. Nach seinem Sieg versuchte Benoît Hamon gemeinsam mit den französischen Grünen, die ihm zugunsten den eigenen Kandidaten Yannick Jadot zurückzogen, mit einem ambitionierten sozial-ökologischen Programm einen Neuaufbruch. Eingeklemmt zwischen noch regierenden Sozialisten, ihrem ungeliebtem Erbe und der Tatsache, dass die Sozialisten des rechten Flügels scharenweise zu Emmanuel Macron überliefen, allen voran der frühere Premier Manuel Valls, war er schnell in eine strategische Sackgasse. Hinzu kam ein ideenloser Wahlkampf in klassischer Manier. Seine Zukunft und damit auch das Wahlabkommen zwischen Sozialisten und Grünen, das Letzteren angesichts des Mehrheitswahlrechtes in zwei Durchgängen Chancen auf Abgeordnete eröffnet hatte, sind nun ungewiss.
Die Konservativen hatten ihrerseits eigentlich schon den Einzug in den Élysée-Palast fest gebucht, immerhin führten sie mit ihren potentiellen Kandidaten, wie Alain Juppé sowie nach dessen Urwahl-Sieg François Fillon die Umfragen eine Jahr lang klar an. Mit seinem für Frankreich sehr radikalen Reformprogramm verschreckte der Kandidat schon zu Beginn seiner Kür viele Wähler und Wählerinnen, dieses vertrug sich dann sehr schlecht mit den Affären des früheren Premier, über mögliche, hochbezahlte Scheinbeschäftigungen der eigenen Frau und Kinder bis hin zu dubiosen Geschenken in Form von Edel-Kostümen.
Als Außenseiter gestartet
Das eröffnete dem als Außenseiter gestarteten Emmanuel Macron einen breiten politischen Raum, den er geschickt nutzte. Mit einem sehr professionellen Politik-Marketing bespielte er die Medien, setzt auch stark auf den Boulevard, mit seiner Frau Brigitte, seiner deutlich älteren, früheren Französisch-Lehrerin, zierte er allein in einem Jahr viermal die Titelseiten der Paris Match, dem französischen Gegenpart zur Bunten.
Mit einem detaillierten Programm zögerte er lange, bis die sonstigen Aufstellungen klar waren. Dann bot er einen sozialliberalen Gemischtwarenladen an, mit einigen Reformvorschlägen, die auch zu heftigen Protesten führen dürften, aber auch vielen Versprechungen, wie der Abschaffung der unpopulären Wohnungssteuer – was die französischen Kommunen in große finanzielle Nöte stürzen würde, da es eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen ist. Sehr klar war er von Anfang an mit seiner proeuropäischen Positionierung. Zudem setzte er auf einen positiven Diskurs, hob die Chancen und Potentiale Frankreichs hervor, beschwor den Gründer- und Unternehmensgeist. Vor allem aber betrieb er in seiner Weise auch einen Anti-System-Wahlkampf, versprach einen Neustart in der Politik, einschließlich des politischen Personals, und legte dazu auch einen ganzen Maßnahmenkatalog vor. Immerhin konnte er es in kurzer Zeit auf 230.000 Unterstützer bringen, nichtzahlende Mitglieder seine Bewegung, von denen aber viele vor Ort, in den Städten und Straßen mit großem Einsatz für den Hoffnungsträger Werbung machten.
Jetzt könnte man meinen hätte er die Präsidentschaft schon sicher in der Tasche. Immerhin haben alle anderen Kandidaten wie Benoît Hamon und auch François Fillon dazu aufgerufen, ihn nun zu unterstützen. Schwer damit tut sich Jean-Luc Mélenchon, der mit einem fulminanten Wahlkampf einen rasanten Aufstieg in den letzten Wochen hingelegt hat und mit seiner Bewegung „Unbeugsames Frankreich“ ein Rekordergebnis von 19,62 Prozent erzielte. Dieser wollte erst das offizielle Ergebnis um Mitternacht akzeptieren, kritisierte in einer ersten Stellungnahme beide Endrunden-Kandidat/innen gleichermaßen und will nun zuerst die Mitglieder seiner Bewegung befragen. Alles deutet daraufhin, dass er vor allem damit beschäftigt ist, sich als neuer Oppositionsführer von links gegen einen möglichen Präsidenten Emmanuel Macron in Stellung bringt.
Die nächsten zwei Wochen sind entscheidend
Noch ist dieser allerdings nicht gewählt, auch wenn ihn alle Umfragen als klaren Sieger sehen. Ihm stehen trotz der sehr breiten Unterstützung zwei harte Wochen bevor, die ersten Äußerungen am Wahlabend von Marine Le Pen haben schon klar gemacht, wie und mit welchen Konfliktlinien sie die zwei kommenden Wochen bestimmen will: Macron als Vertreter einer „entfesselten Globalisierung“, als Befürworter offener Grenzen und eines Europas des freien Verkehrs, und somit auch verantwortlich für Zuwanderung, die wiederum Terrorismus hervorbringe.
Auch seine liberalen Positionen in der Innen- und Rechtspolitik, insbesondere im Umgang mit dem Islam, werden von FN-Seite heftig attackiert werden. Damit steht nun sehr klar das weltoffene, vielfältige, europaorientierte, liberale Frankreich, das die Errungenschaften und Emanzipationsbewegungen der Aufklärung seit der Französischen Revolution vereint, gegen ein nationalistisches, fremdenfeindliches Frankreich, dass sich einmauern und abschotten will und zurück zu einer vermeintlich besseren Zeit mit einem nur allein und für sich wieder glanz- und glorreichen Frankreich. Vor allem wird Le Pen aber versuchen, Macron zum Prototyp der abgehobenen Pariser Eliten zu machen, zum Vertreter des Geldadels, der Banken und Finanzmärkte – und sich selbst zur Anwältin und Kämpferin für „das Volk“. Damit könnte sie auch bei Wähler/innen von Jean-Luc Mélenchon ankommen. Insgesamt haben über 45 Prozent im ersten Wahlgang für antieuropäische Kandidaten gestimmt, ein besorgniserregender Wert, dort wird Le Pen nun kräftig zu fischen versuchen.
Diese zwei anstehenden Wochen werden eine erste Härteprobe für Emmanuel Macron sein. Zu früh und übertrieben hat er bereits am Sonntagabend triumphiert, auf der Bühne, und anschließend, indem er mit einem Korso, der sonst nur Präsidenten zusteht, zu einem feinen Restaurant fuhr, um dort im kleinen Kreis fröhlich zu feiern, während von draußen die Journalist/innen an den Fenstern hingen. Das waren verheerende Bilder, die böse Kommentare eingebracht haben.
Gleichzeitig war Marine Le Pen in ihrem Wahlkreis, der Kleinstadt Hénin-Beaumont im Norden von Frankreich, eine Hochburg des FN. Dort sah man nur ihre Unterstützer/innen beim fröhlichen Tanz. Solche Fehler dürfen Emmanuel Macron in den nächsten zwei Wochen nicht mehr unterlaufen. Auch wird Marine Le Pen alles versuchen, das TV-Duell für sich zu nutzen, das nun am 3. Mai stattfinden soll. Auch das wird keine leichte Übung für den Polit-Neuling, der zuvor noch nie ein gewähltes Amt ausgeübt hat. Hinzu kommt, dass am Montag nach dem Wahlsonntag am 7. Mai ein Feiertag ist, der Sieg über Deutschland 1945 wird gefeiert. Ein langes Wochenende, ideal um etwas wegzufahren. Viele Franzosen könnten angesichts der Umfragen meinen, Macron stünde schon sicher fest als Sieger – und lieber ins Grüne fahren statt wählen gehen.
Parlamentswahlen im Juni
Sollte Emmanuel Macron diesen Parcour meistern und am 7. Mai Präsident Frankreichs sein, stehen ihm weitere großen Herausforderungen erst noch bevor. Als neuer Heilsbringer soll er dann alles richten vom Élysée-Palast aus, dafür braucht er allerdings eine Mehrheit bei den Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni. Gewählt haben ihn gerade nicht einmal ein Viertel der Franzosen, gegen Le Pen werden ihm jetzt viele am 7. Mai die Stimme geben - aber dann hat er es erst noch vor sich, eine Mehrheit der Französinnen und Franzosen wirklich für seinen Kurs zu überzeugen. Dabei setzt er mit seiner Bewegung auf Politikneulinge in mindestens der Hälfte der 577 Wahlkreise in Frankreich und den Überseegebieten, streng soll dabei auf Parität zwischen weiblichen und männlichen Bewerber/innen geachtet werden. Interessierte mussten sich online bewerben und werden nun von einer kleinen Kommission um den Kandidaten ausgewählt. 14.000 Bewerberinnen und Bewerber wollen für En Marche! ins Parlament. Aller Voraussicht nach wird auch ein Präsident Macron schließlich nicht darum herumkommen, mit etablierten politischen Kräften zu kooperieren, gegen die er bislang Wahlkampf gemacht hat. Es ist noch ein weiter und hürdenreicher Weg für den Wahlsieger vom Sonntagabend französischer Präsident mit der nötigen Gestaltungsfähigkeit zu werden, um das Land wirklich voranbringen zu können und für neue Hoffnung und Vertrauen zu sorgen.