Die Franzosen haben Marine Le Pen widerstanden. Mit Macron haben sie den jüngsten Präsidenten Frankreichs gewählt und für Europa und einen Neustart gestimmt. Mit 39 Jahren warten riesige Herausforderungen auf ihn. Die größte wird die sein, mit einer Mehrheit zu regieren.
Marine Le Pen hatte sich schon als Präsidentin gesehen. Und viele hatten es bis zum Schluss auch befürchtet. Doch das Land der Menschenrechte, das Land von Voltaire und Diderot hat dem Aufstieg des Nationalpopulismus widerstanden. Mit 66,1 Prozent haben sich die Franzosen hinter den proeuropäischen Mitte-Links Politiker Emmanuel Macron gestellt. Sie haben Marine Le Pen und ihrer Anti-EU-Politik damit eine Abfuhr erteilt, die mit 33,9 Prozent der Stimmen weit unter dem lag, was sie und ihre Mitglieder erhofft hatten.
Macron ist mit 39 Jahren der jüngste Präsident Frankreichs. Bis vor drei Jahren war er politisch völlig unbekannt. Dann tauchte er als Wirtschaftsberater des scheidenden Präsidenten François Hollande auf und wurde im August 2014 Wirtschaftsminister. Im April 2016 gründete er die Sammelbewegung «En marche», «In Bewegung». Ein junger Neuling ohne politische Vergangenheit ist der erste Mann Frankreichs. Ein Jamais-vu Erlebnis in einem Land, dessen politisches System durch Macron heftig durchgeschüttelt wurde. Erstmals kommt der nächste Präsident weder aus dem Lager der Sozialisten noch aus dem der bürgerlichen Rechten, die sich bislang an der Macht abgewechselt haben.
Kompromisskandidat Macron
Während Macron nach dem ersten Wahlgang euphorisch und siegessicher auftrat, wirkte er diesmal andächtig und fast demütig. Seine Rede nach dem Ergebnis war die eines Präsidenten und nicht die eines unerfahrenen Senkrechtsstarters wie am 23. April nach dem ersten Durchgang, die viele durch ihre Plattitüden und Oberflächlichkeit enttäuscht und vor den Kopf gestoßen hatte. Diesmal war seine Rede im Fernsehen feierlich, ernst und der Bedeutung der Stunde angemessen: Von einem neuen Kapitel in Frankreichs langer Geschichte war die Rede, aber auch von Hoffnung und der großen Aufgabe, Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen.
Diesmal ließ sich Macron auch nicht in einem schicken Restaurant feiern, wie nach dem ersten Durchgang, was ihm viel Kritik einbrachte. Er wählte die Esplanade vor dem Pariser Louvre aus, um sich von seinen Anhängern und Freunden feiern zu lassen. Vor dem Hintergrund der Europahymne trat er auf die Bühne, vor der sich Tausende Franzosen versammelt hatten. Ihnen versprach er, die gespaltene französische Gesellschaft zu vereinen und dem Land mit Liebe zu dienen. Er kenne die Wut, die Angst und die Zweifel, die ein Teil der Bevölkerung zum Ausdruck gebracht habe, erklärte er.
Damit wandte er sich an die Wähler von Marine Le Pen, die von 10,6 Millionen Franzosen gewählt wurde. Macron hat in diesem langen und schweren Wahlkampf zwar gewonnen, doch einen Blankoscheck hat er dadurch nicht. Denn viele Wähler haben ihn «par défaut» gewählt, aus Angst vor dem Rechtspopulismus, um gegen Marine Le Pen Block zu machen, aus Mangel an Alternativen. Für viele ist der Ex-Bankier und Ziehsohn von Hollande der große Unbekannte und sie begegnen insbesondere seiner wirtschaftsfreundlichen Haltung mit Zurückhaltung. Viele haben auch nicht vergessen, dass Hollande am 14. Mai offiziell die Macht an seinen ehemaligen Staatssekretär übergeben wird. Darin sehen sie eher eine Kontinuität statt den Bruch mit einem System, von dem sie enttäuscht sind.
Frankreich zermürbt und gespalten
Frankreich ist ein gespaltenes Land, das sowohl der Politik der wirtschaftsliberalen Öffnung eines Macrons als auch dem Wirtschaftsprotektionismus und dem Nationalismus einer Marine Le Pen skeptisch gegenübersteht. Das brachte auch die hohe Enthaltung zum Ausdruck. Mehr als 25 Prozent haben nicht gewählt und mehr als 4 Millionen haben leere oder ungültige Wahlzettel abgegeben. Damit hat nach Angaben des französischen Innenministeriums jeder dritte Franzose weder für Macron noch Le Pen gestimmt. Macron ist sich dessen bewusst. «Ich werde mit allen Kräften gegen die Spaltung kämpfen, die uns zermürbt und entmutigt», erklärte er in seiner Rede.
Mehr als 10 Millionen Franzosen haben Marine Le Pen gewählt. Ein historischer Rekord und zugleich eine Niederlage, wie die 48-Jährige in ihrer Rede einräumte. Mit Dankesbekundungen hielt sie sich nicht lange auf, sondern fuhr gleich zum Angriff auf: Mit diesem historischen Ergebnis hätten die Franzosen die Allianz der Patrioten zur stärksten Opposition gemacht. Sie wolle deshalb für den nächsten politischen Kampf die Partei neu strukturieren. Womöglich wird auch der Parteiname verschwinden. Marine Le Pen hat mit der kleinen konservativen Partei von Nicolas Dupont-Aignan «Debout La France», «Aufrechtes Frankreich» bereits ein Bündnis geschmiedet.
Im ersten Wahlgang stimmten mit 7,7 Millionen Stimmen mehr als 21 Prozent der Franzosen für die Front National. Für die Stichwahl ging die rechtsextreme Partei deshalb auch mit Umfragewerten von teilweise über mehr als 40 Prozent ins Rennen. Dass sie nicht bis zur Zielgeraden gekommen ist, lag insbesondere auch an dem einzigen Fernsehduell gegen Macron, das zu einem hässlichen Schlagabtausch aus Beschimpfungen und persönlichen Angriffen wurde. Marine Le Pen hat mit ihrer auf Konfrontation ausgerichteten Haltung und Hasstiraden ihre Bemühungen zunichte gemacht, die von ihrem Vater gegründete Partei zu entdämonisieren. Sie hat darin bewiesen, dass sie aus derselben DNA ist wie Jean-Marie Le Pen, der wegen seiner rassistischen Hassparolen mehrmals vor Gericht musste. Marine Le Pen hat gezeigt, dass sie die Tochter ihres Vaters ist, wie auch Frankreichs Presse danach schrieb. Damit hat viele unentschiedene Wähler abgeschreckt.
Die entscheidende Wahl nach der Wahl
Der Sieg Macrons hat Europa aufatmen lassen, das mit dem Schlimmsten gerechnet hatte. Doch die größte Herausforderung steht noch bevor. Um seinen pro-europäischen und wirtschaftsliberalen Kurs durchsetzen zu können, braucht Macron eine regierungsfähige Mehrheit. Darum wird es in den anstehenden Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni gehen. Bei mehr als 10 Millionen Front National-Wählern und mehr als 16 Millionen Franzosen, die sich enthalten und ungültig gewählt haben, hat Macron als Kompromisskandidat zwei große Oppositionslager gegen sich. In einer ersten Umfrage gaben auch über 60 Prozent der Franzosen an, dass sie gegen eine Parlamentsmehrheit für Macron seien.