Frankreich vor den Parlamentswahlen: Besenstiele und Feldblumen für Bienen

Traditionelle Bindungen, sicher geglaubte Wahlkreise und jahrelange Kärrnerarbeit von Abgeordneten vor Ort: Nichts gilt mehr, seit Emmanuel Macrons Sieg die etablierte Parteienlandschaft umgepflügt hat. Nach seinem erfolgreichen Start könnte es  jetzt zu einem historisch einmaligen Siegeszug bei den Parlamentswahlen für den neuen Präsidenten kommen. Auf der Linken herrscht Zersplitterung und Panik, für die Sozialisten droht der Urnengang zum Desaster werden, der das Ende der Partei besiegelt. Die Konservativen kämpfen  mit dem tiefen Keil, den Macron mit seiner Regierungsbildung und seinem Zentrumskurs in ihre Reihen getrieben hat. Für die Grünen ist es eine Zitterpartie, ob sie überhaupt noch im Parlament vertreten sein werden.

Eine kleine Papiertüte mit 27 Samen für Feldblumen unterschiedlichster Couleur, die Bienenbesondere Freude machen, soll den Einstieg erleichtern, die Brücke bauen und das Thema Ökologie positiv vermitteln: Marine Tondelier verteilt sie an die wenigen Menschen, die tagsüber auf den Straßen von Hénin-Beaumont zu finden sind. Der Dienstag ist hier eigentlich Markttag, da war sie auch schon, ein scharfer Wind und Platzregen haben Menschen und Stände dort schnell vertrieben. Der blaugraue Himmel unterstreicht die Tristesse dieser Stadt mit 26 000 Einwohnern, drei Stunden nordöstlich von Paris, im ehemaligen Kohlerevier Frankreichs. Im Hintergrund ragen als Hügel noch die Abraumhalden hervor. Seit die letzten Minen 1990 geschlossen haben, hat sich diese durch Emile Zolas Germinal-Roman berühmt gewordene Region nicht erholt. Die Arbeitslosigkeit liegt hier mit über 15 Prozent höher als im Landesdurchschnitt. Wer kann, verlässt die
Stadt und zieht in den Großraum von Paris. Für den Preis eines Dienstboten-Zimmers unterm Dach in der Hauptstadt bekommt man hier leicht ein ganzes Haus. Kein leichtes Terrain für eine Kandidatin der Grünen, auch wenn die 30-Jährige schon in dritter Generation aus dem Ort kommt. Nach dem Einstieg mit dem Blumensamen folgt als zweiter Satz immer: „Meine Name ist Marine, aber ich bin die andere Marine!“. Denn die Gemeinde Hénin-Beaumont ist fest im Griff des Front National, dieser beherrscht seit den Kommunalwahlen von 2014 den Gemeinderat und stellt den Bürgermeister, Steeve Briois. Ein enger Vertrauter von Marine Le Pen, zwischen den zwei Wahlgängen zur Präsidentschaftswahl fungierte er als Interims-Vorsitzender des FN. 

Leichtes Spiel für Le Pen in Hénin-Beaumont trotz großer Krise des FN

In diesem Wahlkreis tritt Marine Le Pen nun für die Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni an, sie will vom Europaparlament in die französische Assemblée Nationale wechseln. Hier hat sie leichtes Spiel, in diesem Wahlkreis hat sie in der Endrunde der Präsidentschaftswahlen 61,56 Prozent bekommen, im Vergleich zu 33,9 Prozent landesweit. Eine aktuelle Umfrage der regionalen Zeitung „La Voix du Nord“ sieht sie als klare Siegerin. Ganz anders als im Rest des Landes. Das schwache Ergebnis bei den Präsidentschaftswahlen, verbunden mit dem von Le Pen verpatzten TV-Duell, haben den FN mitten im Wahlkampf für das neue Parlament in eine erstaunlich tiefe Krise gestürzt. Sonst mit Attacken, Polemiken und Diffamierungen dauerpräsent in den Medien, macht die Partei nur noch mit Zwist und Richtungskämpfen von sich reden. Es ist sogar fraglich, ob der FN mit den mindestens 15 Abgeordneten in die Assemblée Nationale einziehen wird, die bislang nötig sind, um eine Fraktion bilden zu können. Sollte das nicht gelingen, wäre Le Pen dort nicht einmal Fraktionsvorsitzende. In Hénin-Beaumont ist die Welt für den FN aber noch in Ordnung, hier wird sie auch mit allen Mitteln und Methoden nach FN-Vorstellungen geformt. Marine Tondelier kann davon ausführlich berichten. Seit 2014 ist sie die wichtigste Oppositionvertreterin im FN-dominierten Gemeinderat – und wird unentwegt über das vom Rathaus produzierte und gratis verteilte Gemeindeblättchen und über die sozialen Medien diffamiert, beleidigt, und mit Fake News überzogen. Über den unerbittlichen Tageskampf mit der FN-Macht im Rathaus hat die grüne Gemeinderätin jetzt ein Buch geschrieben: „Nouvelles du Front“, Neuigkeiten von der Front. Detailliert zeigt sie die die Strategien des FN auf, gezielt politische Gegner und Kritiker zu diffamieren und mundtot zu machen sowie Angestellte der Stadt und öffentlicher Einrichtungen mit unterschiedlichen Druckmitteln auf Linie zu bringen. Zugleich inszenieren der Bürgermeister und sein Stellvertreter und Lebensgefährte Bruno Bilde, der für die Kommunikation zuständig ist und auch Marine Le Pen u.a. für das TV-Duell beraten hat, sich als neue Anwälte der einfachen Leute und Arbeiter und erwecken mit  Verschönerungs-Aktionen im Stadtbild den Eindruck, es gehe bergauf im Ort. Eine Strategie, die wirkt, auch wenn die harten Fakten wie Arbeitslosigkeit und Leerstände im Zentrum dagegen sprechen. Da reicht es, wenn Marine Le Pen, die in einem Pariser Nobel-Vorort lebt, nun im Wahlkampf ab und an auf den Märkten vorbei schaut und Selfies produziert. Trotz ihres jahrelangen Einsatzes hat Marine Tondelier kaum Chancen, hier in die zweite Runde der Parlamentswahlen zu kommen, geschweige denn diesen Wahlkreis zu gewinnen, zu eindeutig ist die Hegemonie des FN. Nur einige Kilometer weiter, im Nachbarort Loos-en-Gohelle, sitzt dagegen ein grüner Bürgermeister im Rathaus, der mit einem sozial-ökologischen Reformprogramm den Strukturwandel voranbringt. Jean-Francois Caron hat allerdings vor allem mit seinem guten Namen gewonnen, vor ihm war sein Vater jahrelang Chef im Rathaus gewesen. Seine Erfolge sind das Hauptargument von Marine Tondelier beim Straßenwahlkampf in der FN-Hochburg: Schaut, wie es mit einem grünen Kandidaten wirklich aufwärts geht im Nachbarort. Grund für die Chancenlosigkeit der grünen Kandidatin ist allerdings auch die Zersplitterung der Linken, ein Musterbeispiel für die Situation in vielen anderen Wahlkreisen des Landes. Der anfangs erfolgreiche Versuch der Grünen vor Ort ein Bündnis mit der Bewegung „Unbeugsames Frankreich“ von Jean-Luc Mélenchon und den Kommunisten zu schmieden, wurde von Paris aus von Mélenchon per Intervention unterbunden. Angesichts des Mehrheitswahlrechtes in zwei Durchgängen waren solche Bündnisse in Frankreich bislang nötig und üblich. Bei dieser Wahl ist alles anders, die bisherigen Gesetzmäßigkeiten gelten nicht mehr. Marine Tondelier hätte Kandidatin für Mélenchons Bewegung werden können, nur hätte sie dafür dessen Programm ohne Punkt und Komma unterzeichnen müssen, einschließlich der antieuropäischen Positionen. Das lehnte sie ab. Jetzt treten Grüne, Kommunisten und das „Unbeugsame Frankreich“ jeweils mit eigenen Kandidaten an. Angesichts der desolaten Lage der Sozialisten hat die vor Ort bislang völlig unbekannte Kandidatin der Präsidenten-Bewegung „La République En Marche!“ damit gute Chancen, mit Marine Le Pen in den zweiten Durchgang zu kommen. 

Jean-Luc Mélenchon lehnt Bündnisse im linken Spektrum ab und setzt auf Alleingang

Für das ganze Land hat sich Jean-Luc Mélenchon Abkommen mit den Kommunisten, die ihn noch bei der Präsidentschaft unterstützt hatten, oder auch den Grünen, verweigert. Der 65-Jährige frühere Chef der Linkspartei will vom Europaparlament auf die nationale Ebene wechseln und hat sich dafür einen Wahlkreis in Marseille gesucht, im Zentrum, rund um den alten Hafen, wo die hervorragenden Ergebnisse für ihn bei den Präsidentschaftswahlen einen sicheren Einzug in die Assemblée Nationale versprechen. Da stört es auch wenig, dass Mélenchon mit Marseille bislang nichts am Hut hatte. Angesichts des Niedergangs der Sozialisten hilft es dem scheidenden Abgeordneten vor Ort nicht, dass er dort für seine Arbeit allerseits geschätzt wird. Mélenchons Strategie ist, die linke Oppositionskraft gegen Emmanuel Macron im Parlament zu sein, und dort das Erbe von Kommunisten, linken Sozialisten und Grünen gleichermaßen anzutreten. Seit seinem Überraschungserfolg bei den Präsidentschaftswahlen mit über 19 Prozent nach einem fulminanten Wahlkampf hat Jean-Luc Mélenchon aber viel von seiner Popularität verspielt. Vor allem mit seiner Haltung zwischen den zwei Wahlgängen, wo er nicht zu einer Wahl von Macron gegen Le Pen aufrufen wollte, und schließlich mit der kalten Absage an jegliche Bündnisse im linken Spektrum. Vor einigen Wochen gab er sich noch siegesgewiss, mit einer Mehrheit im Parlament und als neuer Premierminister Macron eine Cohabitation aufzwingen zu können. Von solchen Blütenträumen ist nun kurz vor der Wahl nicht mehr viel übrig, wird es für den Chef von „La France Insoumise“ vor allem darum gehen, überhaupt eine Fraktion bilden zu können im neuen Parlament.

Für Sozialisten und mit ihnen verbundene Grüne droht ein Desaster

Es ist ein lauer Frühsommerabend auf dem Boulevard de Belleville. Die Straße liegt in dem gleichnamigen Viertel im Nordosten von Paris, in dem auch viele muslimische Franzosen leben. Dort wird bereits kräftig gebrutzelt, gekocht und Tische gedeckt. Es ist Ramadan und die Vorbereitungen zum Fastenbrechen am Abend sind in vollem Gange. Im Hof einer Grundschule hier im 11. Arrondissement von Paris stehen zehn Tage vor der Wahl Cécile Duflot und Benoît Hamon und werben für einen sozial-ökologischen Aufbruch in Frankreich, verbunden mit scharfer Kritik an der Politik des neuen Präsidenten Macron. Beide wollen eine starke Oppositionskraft für den neuen Präsidenten formen. An die hundert Sympathisanten applaudieren begeistert. Cécile Duflot, lange Parteichefin der französischen Grünen und von 2012 bis 2014 Ministerin in der Regierung von François Hollande, ist Abgeordnete hier im Osten von Paris, sie kämpft um ihre Wiederwahl in diesem klar links geprägten Wahlkreis, der sich über das 11. und 20. Arrondissement im Nordosten von Paris erstreckt. Ein Stadtviertel vergleichbar mit Kreuzberg und Neukölln in Berlin. Heute wird sie unterstützt von Benôit Hamon, der als Präsidentschaftskandidat der Sozialisten nur 6,3 Prozent erzielte. Er leistet er sich einen  kurzen Abstecher nach Paris, ansonsten kämpft Hamon selbst um seine Wiederwahl in seinem Wahlkreis rund um die Kleinstadt Trappes, südwestlich von Versailles gelegen. Hamon will an die grüne Programmatik seines Präsidentschaftswahlkampfes anknüpfen – eine Programmatik, die von den Sozialisten für die Parlamentswahlen wieder beerdigt wurde. Mit linken Sozialisten und Grünen wie Cécile Duflot will er eine neue sozial-ökologische Kraft in Frankreich gründen. Das Datum  dafür steht schon fest: Der 1. Juli, im Großraum Paris. 12.000 Menschen sollen sich schon dafür angemeldet haben. Das neue Projekt hat nur einen Schönheitsfehler: Die Gründung der neuen Kraft ist nach den Parlamentswahlen geplant.

Überlegungen, diese noch vor den Wahlen zu gründen, wurden verworfen, weil dafür die nötige Finanzierung und die Zeit gefehlt hätten. Nun treten Hamon ebenso wie Duflot und viele andere Unterstützer dieser Idee noch auf dem Ticket der Sozialisten und auch Grünen an. Deren Wahl ist sehr unsicher. Ohne eine ausreichendeZahl von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern wäre das Projekt, eine neue sozial-ökologisch und klar proeuropäisch ausgerichtete Kraft in Frankreich zu gründen, aber ein Rohrkrepierer. In ihrer bisherigen Form werden allerdings weder die Sozialisten noch die Grünen die Parlamentswahlen lange überdauern. Ein Symbol dafür ist, dass der Parteichef der Sozialisten, Jean-Christoph Cambadélis, seinen Wahlkreis im 19. Arrondissement in der Nachbarschaft von Belleville in Paris verlieren und nicht mehr im Parlament vertreten sein wird. Er wird ausgerechnet von einem engen Vertrauten von Emmanuel Macron herausgefordert: Mounir Mahjoubi, marokkanischer Herkunft, 33 Jahre alt und als Staatssekretär für Digitales in der neuen Regierung. Dieser hatte den Online-Wahlkampf von Macron geleitet, war dafür zuständig, schnell und wirkungsvoll auf die Fake-News-Attacken zu reagieren. Er ist bekannt und hat ein modern-innovatives Profil – und sehr gute Chancen, den Noch-Parteichef der Sozialisten klar zu schlagen. Regierungsmitglieder wie er zählen zu den bekannten Kandidaten, aber die Hälfte der Kandidatinnen und Kandidaten von „La République en Marche!“ sind Politikneulinge. Neben den unbekannten Gesichtern ist auf den Wahlplakaten von „La République En Marche“ in gleicher Größe überall der neue Präsident zu sehen. 

Macronmania in Frankreich: Selbst ein Besenstiel würde gewählt, wenn der Präsident daneben steht

Die Zeitschrift „Express“ spricht jetzt schon von allgemeiner „Macronmania“ in Frankreich, ein neues Phänomen, da die Wahl Macrons für viele Französinnen und Franzosen vor allem eine Wahl gegen Le Pen war. Als Merkmal für das Zeitalter traditioneller Parteibindungen und Konfliktlinien, seinerzeit auch eng verbunden mit bestimmten gesellschaftlichen Milieus, galt das gern gepflegte Bonmot, die Parteien könnten in bestimmten Regionen selbst einen Besenstiel aufstellen – sie würden trotzdem gewählt. Angesichts der Macron-Festspiele in den französischen Medien, wo die neue Exekutive Themen und Takt weitgehend vorgibt und die Agenda dominiert, und angesichts der bislang erfolgreichen Strategie des jungen Präsidenten, mit einem breit aufgestellten Zentrum die politischen Kräfte rechts wie links an die Wand zu drücken, könnte seine Bewegung mittlerweile auch nur noch Besenstiele aufstellen. Solange der Präsident ist groß, klar und eindeutig daneben zu erkennen ist. Selbst die Affäre um die rechte Hand von Emmanuel Macron und Mitbegründer von „En Marche“, dem sozialistischen Abgeordneten Richard Ferrand, scheint nichts daran zu ändern. Obwohl dieser einer der Architekten eines Wahlkampfes war, der darauf setzte, eine neue Moral mit neuen strengen Richtlinien und Regeln in der französischen Politik zu versprechen. Jetzt steht der mittlerweile als Minister für Wohnungsbau und Stadtplanung agierende Ferrand im Zentrum einer Affäre um Günstlingswirtschaft in alter Manier. Aber selbst dieses Kontrastprogramm zu den Wahlversprechen scheint die Siegeswelle des neuen Präsidenten nicht aufzuhalten. Denn auch das konservative Lager ist tief gespalten und macht sich in seinen eigenen Hochburgen gegenseitig Konkurrenz. So etwa im schicken Wahlkreis links der Seine in Paris, der das 5., 6. und 7. Arrondissement umfasst. Dort will Nathalie Kosciusko-Morizet, Chefin in Paris der konservativen „Les Républicains“, Francois Fillon beerben. Der Präsidentschaftskandidat der Konservativen, der in die Annalen der französischen Geschichte eingehen wird als derjenige, der einen allgemein als sicher angesehenen Wahlsieg durch einen Affären-Strudel selbst verspielt hat, tritt nicht mehr an. Sein Wahlkreis gilt als sicheres Sprungbrett für konservative Kandidaten. Nathalie Kosciusko-Morizet zählt allerdings zum moderaten Flügel und hat ihre Unterstützung für Emmanuel Macron signalisiert. Trotzdem macht ihr ein Kandidat der Präsidentenbewegung Konkurrenz – und die Offenheit gegenüber Macron hat ihr gleich zwei weitere Kandidaten aus dem konservativen Lager eingebracht.  Hier wie an vielen anderen vergleichbaren Orten könnte am Ende der Präsident profitieren – und schließlich seine Kandidaten durchbringen. In einer aktuellen Umfrage liegen die konservativen Les Républicains bei 22 %, hinter La République En Marche, die klar mit 31 % führt. Der Front National kommt auf 18 %, La France Insoumise auf 11,5 %, die Sozialisten auf nur 8,5 %, die Grünen auf 3 % und die Kommunisten auf nur noch 2 %. Entscheidend sind aber die jeweiligen Konstellationen vor Ort – und ob es zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang dann doch noch zu Bündnissen kommt, wenn auch nur in einzelnen Wahlkreisen, für den zweiten Durchgang. Nach einer aktuellen Prognose könnte der Emmanuel Macron sogar eine überwältigende Mehrheit von über 400 Sitzen der 577 Sitze erzielen und dann mit einer sehr komfortablen Mehrheit regieren. 

Parlamentswahlen entscheiden über die Parteienfinanzierung für die nächsten fünf Jahre

Das hätte erhebliche Folgen für alle anderen Kräfte. Denn die Parlamentswahlen entscheiden auch in Frankreich über die staatliche Finanzierung der politischen Kräfte und damit ihre Ressourcen, abhängig von erzielter Stimmenzahl in den Wahlkreisen und der Zahl der Abgeordneten. Das wird insbesondere die Sozialisten in eine große Finanzkrise stürzen, wenn sie vorhersehbar auf nur noch ein Viertel oder noch weniger ihrer bisherigen Mandate reduziert werden. Umgekehrt versuchen viele kleine Kräfte und Neuformierungen diese Situation für sich zu nutzen. Denn eine staatliche Finanzierung für die nächsten fünf Jahre erhalten alle politischen Kräfte, die für die Parlamentswahlen antreten und in mindestens fünfzig Wahlkreisen 1 Prozent der Stimmen erzielen. Das will die neue Kraft „Citoyen“ erreichen http://citoyens.solutions/.

Rund zehn Kandidatinnen und Kandidaten dieser neuen Bewegung treffen sich zwei Wochen vor der Wahl an einem sonnigen, aber windigen Abend auf einem zu Café und Club umfunktionierten Schiff auf der Seine, im Schatten der Türme der Nationalbibliothek François Mitterrand und der Bürogebäude aus Glas und Stahl hier im Osten von Paris. Sie wollen die Gunst der Stunde nutzen, um eine neue politische Bewegung aus der Taufe zu heben. Unter ihnen auch mehrere frühere Grüne wie Edouard Gaudot, Referent für Strategie und Planung in der Grünen Europafraktion. Er tritt gegen den Parteisprecher der französischen Grünen, Julien Bayou, im linksalternativen 10. Arrondissements in Paris an. Angesichts der Zersplitterung im linken Lager und der Implosion des bisherigen Parteiensystems sei jetzt der Moment für Neuformierungen, sagt er. Ziel sei es, im Bündnis mit anderen kleinen Formierungen, die Hürde der mindestens 1 Prozent in fünfzig Wahlkreise zu erzielen, um eine Finanzierungsbasis für den weiteren Aufbau in den nächsten Jahren zu bekommen. Das wollen sie dann auch Schritt für Schritt anpacken. 

Wenn bislang auch nur sehr klein und randständig, wollen zumindest diese „Citoyens“ die Neuformierung der politischen Landschaft in Frankreich nicht allein dem neuen Präsidenten überlassen.