Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron hat bei den Parlamentswahlen eine satte Mehrheit bekommen – allerdings nicht die überwältigende, wie vorhergesagt. Auch überschattet die Rekordenthaltung bei der Wahl am vergangenen Sonntag den Neustart. Zumindest wird es nun eine ernst zu nehmende Opposition geben – offen ist noch, wie diese sich aufstellt. Das neue Parlament ist fast komplett ausgetauscht, jünger und vor allem weiblicher. Der Macron-Tsunami hat Frankreichs bisherige politische Landschaft hinweggefegt. Die klare Mehrheit gibt dem neuen Präsidenten nun alle Möglichkeiten, seine Reformpläne durchzusetzen.
Frankreichs Wörterbücher werden nun unter M einen neuen Begriff aufnehmen und erklären müssen: Den Macronismus. Aber auch darüber hinaus wird der Macronismus in Wörterbüchern zur Politik Eingang finden. Mit Leidenschaft wird im Land des ersten umfassenden Lexikons der Weltgeschichte, der Enzyklopädie von Diderot, nun darüber debattiert, wie sich die politische Bewegung des Macronismus definieren und erklären lässt. Auch wenn sich einige sozialliberale und klar proeuropäische Konturen schon erkennen lassen – und manche bezweifeln, dass es tatsächlich eine neue politische Richtung sei – bleibt noch vieles offen und undeutlich. Klar ist allerdings, dass der Macronismus nun in erheblichem Maße die Politik in Paris prägen wird. Nach der finalen Runde der Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag verfügt die Bewegung des jungen Präsidenten, „La République En Marche!“ (Die Republik in Bewegung) nun allein über 308 von 577 Sitzen, und hat damit eine klare Mehrheit, für die 289 Sitze nötig sind. Gemeinsam mit der Partei MoDem des Zentrumspolitikers François Bayrou kommt der neue Hausherr im Élysée sogar auf eine Mehrheit von 350 Sitzen. Allerdings ist nicht einmal jeder zweite Wahlberechtigte in der finalen Runde überhaupt noch zur Stimmabgabe gegangen, die Wahlenthaltung von 57,4 Prozent ist ein historischer Rekord in der Geschichte der V. Republik. Auch deshalb hat „La République En Marche!“ (LREM) die vorhergesagten Rekordergebnisse von 400 bis 450 Sitzen nicht erreicht – im Unterschied etwa zu Jaques Chirac. Dieser erzielte nach seiner Wiederwahl gegen Jean-Marie Le Pen 2002 alleine für seine konservative Partei UMP eine Mehrheit von 365 Sitzen, mit den verbündeten rechten Kräften kam er auf fast 400 Sitze. Oder auch im Gegensatz zu 1993, als die konservativen Kräfte in einem Bündnis zweier Parteien auf die Rekordmehrheit von 484 Sitzen kamen, die allerdings dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand mit ihrer Regierung in einer sogenannten Cohabitation gegenüberstanden. Offenkundig hat die Debatte zwischen den zwei Wahlgängen über die überwältigende Mehrheit und Machtfülle des neuen Präsidenten ihre Wirkung nicht verfehlt: Sie hat eher Anhänger der Oppositionskräfte mobilisiert während für die Unterstützer von Macron die Wahl schon als entschieden galt.
Große Machtfülle für den neuen Präsidenten – Neue Abgeordnete werden eingeschworen
Das ändert nichts daran, dass Emmanuel Macron, von einigen französischen Medien auch schon als „Emmanuel I.“ betitelt, nun mit einer seit den Zeiten von Charles de Gaulle nicht mehr dagewesenen Machtfülle wird regieren und seine Vorstellungen umsetzen können. Denn zum einen zeichnet sich schon ab, dass die Regierung des neuen Präsidenten, die nun nach den Parlamentswahlen formell um ihre Entlassung gebeten hat, um dann in nur leicht veränderter Form erneut vom Präsidenten eingesetzt zu werden, auch von Kräften rechts wie links unterstützt werden wird. Ein Schlüsseldatum dafür ist der 4. Juli, wenn der alte wie neue Premierminister Édouard Philippe seine Regierungserklärung halten und die Vertrauensfrage stellen wird in der neuen Nationalversammlung. Die Republikaner stehen gerade vor der Spaltung, ein Teil sucht die konstruktive Mitarbeite mit der Präsidentenmehrheit – und will dafür sogar ein eigene Fraktion gründen. Auch bei den zur Bedeutungslosigkeit zerfledderten Sozialisten wollen mehrere Abgeordnete der neuen Exekutive ihre Gefolgschaft anbieten. Zum anderen kann sich der neue Präsident auf eine Mehrheit von Abgeordneten seiner Bewegung stützen, die bislang nur ihm und ihm allein verpflichtet sind, da sie von oben von einer kleinen Kommission ausgewählt wurden – wobei weder selbstbewusste Orts- oder Kreisverbände noch wichtige gesellschaftliche Gruppen und Akteure im Wahlkreis mitzureden hatten. Das wird sich mit der Arbeit der Neulinge in ihren Wahlkreisen absehbar ändern, aber noch hat die Führung von „La République En Marche!“ alle Trümpfe in der Hand. Am kommenden Wochenende des 24. und 25. Juni werden die neuen Abgeordneten bei einem Seminar in Paris auf ihre neue Rolle eingeschworen, schon am 27. Juni beginnt dann ihre Arbeit im Parlament. Für solche Veranstaltungen kann die gerade einmal eine Jahr alte Bewegung LREM nun aus dem Vollen schöpfen, da sich die jährliche Höhe der staatlichen Parteienfinanzierung in Frankreich an der Zahl der Stimmen im ersten Wahldurchgang wie auch der Zahl der Parlamentarier orientiert. Vor dem 15. Juli soll es auch einen großen Gründungsparteitag geben, bei der die neue Bewegung zur regulären Partei werden soll.
Ein rundum erneuertes, jüngeres und vor allem weiblicheres Parlament
Beim Seminarwochenende wird es nun auch um viel Grundsätzliches und Praktisches in Bezug auf die Parlamentsarbeit gehen. Denn die neue Nationalversammlung wird in einer Weise rundum erneuert, die in dieser Form einmalig ist in der Geschichte der V. Republik ist: 75 Prozent der Abgeordneten und damit 434 sind Parlamentsneulinge, hatten vorher noch kein Mandat, nur 142 Abgeordnete und damit weniger als 25 Prozent saßen zuvor schon im Palais Bourbon, dem Sitz der Assemblée Nationale. Das sorgt für viel frischen Wind in diesen ehrwürdigen Hallen, hat aber auch zur Folge, dass viel Expertise geht und fehlt. Die neuen Abgeordneten werden einige Zeit brauchen, um sich in Abläufe und komplexe Fachthemen einzuarbeiten. Das neue Parlament ist auch etwas jünger, mit durchschnittlich 48,6 Jahren im Vergleich zu 54,8 Jahren im vorherigen Parlament. Vor allem ist es deutlich weiblicher, 38,6 Prozent sind Frauen, 223 Abgeordnete. Das ist zwar noch weit entfernt von dem Ziel, dass mindestens die Hälfte der Abgeordnetenmandate von Frauen besetzt sein sollte. Verglichen mit den 155 Frauen im letzten Parlament oder den nur 33 noch 1993 ist das ein bemerkenswerter Sprung nach vorne, der vor allem der Präsidentenbewegung LREM zu verdanken ist, wo über die Hälfte der Kandidaturen konsequent mit Frauen besetzt wurden. Weniger erfolgreich war Macrons Bewegung allerdings bei dem Anspruch, Frankreichs Parlamentskammer auch repräsentativer werden zu lassen : Hochgebildete Führungskräfte aus der Wirtschaft und teilweise dem öffentlichen Bereich dominieren die neue Gruppierung im Parlament. Die Herrschaft durch die ENA, die Eliteschule für Verwaltung und Politik, werde durch die Herrschaft der Essec, der Elitehochschule für Führungskräfte in der Wirtschaft, abgelöst – wie die Zeitung „Libération“ spitz anmerkte.
LREM im Zentrum der Neuformierung der politischen Landschaft
Bislang spiegelte sich die seit der Revolution traditionelle Spaltung in rechts und links in der Politik Frankreichs im Parlament: Rechts saßen die Konservativen und mit ihnen verbündeten Kräfte, links die Sozialisten und die mit ihnen verbündeten Kräfte. Jetzt wird das gesamte Zentrum des prachtvollen Sitzungssaals im Palais Bourbon von LREM-Abgeordneten dominiert. Rechts von ihnen wird die zweitgrößte Gruppe sitzen: Die konservativen «Républicains». Diese wurden zwar auf 113 Sitze halbiert und gemeinsam mit verbündeten Kräften von 225 auf 137 Sitze, kamen aber angesichts des Tsunamis, der die traditionelle Parteienlandschaft Frankreichs hinwegfegt und kräftig gerupft hat noch glimpflich davon. Fraglich ist, was nach bevorstehenden Spaltung in eine Gruppe, die konstruktiv mit der neuen Mehrheit arbeiten will und eine Gruppe, die in die Fundamentalopposition zum Macronismus geht, von den Republikanern noch übrig bleiben wird. Der scharfrechte Präsident der Region Auvergne-Rhône-Alpes und Sarkozyist, Laurent Wauquiez, bringt sich gegenwärtig in Stellung, die Rest-Republikaner gegen Emmanuel Macron anzuführen.
Scharfe Opposition ganz rechts und ganz links
Weiter rechts im Parlamentsrund versucht eine andere Akteurin zumindest einen kleinen Teil aus dem konservativen Block herauszubrechen: Marine Le Pen zieht nach 13 Jahren als Europaparlamentarierin nun erstmals in die Nationalversammlung ein. Mit 58,60 Prozent wurde sie in der FN-Hochburg Hénin-Beaumont im Nordosten des Landes klar gewählt. Entgegen der Prognosen, die von maximal fünf FN-Abgeordneten ausgegangen waren, sind es nun mit Marine Le Pen 8 geworden, einschließlich ihres Lebensgefährten Louis Aliot. Mit 1 564 252 Stimmen landet der FN aber weit abgeschlagen gegenüber den über 10 Millionen Stimmen, die Marine Le Pen im zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen bekommen hatte. Mit nur 8 Abgeordneten ist in der Assemblée Nationale kein Staat zu machen, mindestens 15 sind nötig, um eine Fraktion bilden zu können, mit allen damit verbundenen Ressourcen, Rede- und Mitbestimmungsrechten. Marine Le Pen hat schon angekündigt, dass sie nun 7 weitere Abgeordnete im Parlament für eine Mitarbeit in einer FN-Fraktion gewinnen will – und es ist davon auszugehen, dass sie auch alles dafür tun wird, um dann als laute, scharfrechte Opposition im neuen Parlament auftreten zu können.
Ganz links will und wird diese Rolle Jean-Luc Mélenchon übernehmen. Der 65-jährige Chef der eigenen Bewegung „La France Insoumise“, das „Unbeugsame Frankreich“, wechselt wie Le Pen von der europäischen auf die nationale Bühne. Mit 59,85 Prozent wurde er klar im historischen Zentrum rund um den alten Hafen von Marseille gewählt. Mit ihm ziehen weitere 16 Kandidaten des „Unbeugsamen Frankreich“ ins Parlament ein, damit verfügt er über eine ausreichende Zahl für eine eigene Fraktion – und den mit viel Einfluss im Parlament verbundenen Posten des Fraktionsvorsitzenden, der in Frankreich Präsident der Parlamentsgruppe genannt wird. Das sichert ihm Wirkungsmöglichkeiten und Sichtbarkeit auf der nationalen Bühne. Mélenchon hat sich auch schon zum Anführer der Bewegung gegen die von Präsident Macron angekündigten Arbeitsmarktreformen ausgerufen. Zu dieser Fraktion der „Unbeugsamen“ könnten noch die 10 Abgeordneten der Kommunisten und weiterer in der „Front de Gauche“ verbündeter Linker stoßen, die ins Parlament einziehen konnten. Zudem könnten noch einige Sozialisten vom linken Flügel versucht sein, sich um Mélenchon zu scharen, der nun die stärkste und bekannteste Figur der Opposition von links gegen Emmanuel Macron sein wird, auch wenn er gegenüber seinem großen Erfolg bei den Präsidentschaftswahlen deutlich an Zustimmung verloren hat.
Sozialisten und Grüne dezimiert und eliminiert
Am stärksten dezimiert und bis zur Unkenntlichkeit zerfleddert vom Macron-Tsunami wurden die Sozialisten in Frankreich, deren Schicksal nun als besiegelt gelten darf. Der Siegeszug des Zöglings von François Hollande, der den Absolventen der Elitehochschule ENA zunächst als Präsidentenberater im Élysée und anschließend als Wirtschaftsminister auf die politische Bühne gebracht hatte, hat von der traditionsreichen Partei fast nichts mehr übrig gelassen. Von den 295 Sitzen in der letzten Nationalversammlung sind nur noch 30 Sitze übrig, mit verbündeten linken Kräften kommen die Sozialisten noch auf 44 Sitze. Die komplette frühere Regierungsmannschaft und Führungsspitze aus der Ära Hollande wurde hinweggefegt und in ihren Wahlkreisen im ersten oder auch zweiten Wahlkreis eliminiert. Nur der frühere Premierminister Manuel Valls konnte mit einem knappen Vorsprung von 139 Stimmen seinen Wahlkreis verteidigen – weil er Macron seine Unterstützung zugesagt und dieser deshalb kein Kandidat gegen ihn aufgestellt hatte. Allerdings hat die knapp unterlegene Kandidatin des „Unbeugsamen Frankreich“ Klage gegen das knappe Ergebnis angekündigt – und der vor einigen Monaten noch zweitmächtigste Mann des Landes wird noch eine Weile um den Sitz zittern müssen.
Noch schlechter als den Sozialisten erging es nur den Grünen in Frankreich. Von 17 Sitzen und erstmals einer eigenen Fraktion vor fünf Jahren ist nur noch ein Abgeordneter übrig: Éric Alauzet aus Besancon konnte seinen Sitz verteidigen. Allerdings auch nur, weil dieser seine Unterstützung für Macron signalisiert hatte und deshalb ohne Gegenkandidat aus der Präsidentenbewegung war. Er hat auch offen gelassen, ob und wie lange er noch bei den Grünen bleiben will. Als Kandidaten der Präsidentenbewegung sind auch die früheren Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Francois de Rugy und Barbara Pompili, wieder ins Parlament eingezogen, die zuvor schon an der Spaltung der Grünen und dann der Unterstützung der Regierung Hollande beteiligt waren.
Gibt es noch eine ökologische Kraft in Frankreich?
Gibt es damit nun keine ökologisch ausgerichtete, grüne Kraft mehr im neuen Parlament Frankreichs? Zumindest im Wahlkampf hatte Jean-Luc Mélenchon noch sehr grün geschillert, Atomausstieg, eine Agrarwende und viele andere grüne Kernthemen gefordert. Fraglich ist, inwieweit er diese Themen nun auch in der Parlamentsarbeit voranbringen wird, bislang konzentriert er sich vor allem auf eine Rolle als Kämpfer gegen die von Macron geplanten Reformen in Bezug auf den Arbeitsmarkt und die Sozialpolitik. Offen ist nach dem verpassten Wiedereinzug des früheren Präsidentschaftskandidaten der Sozialisten, Benoît Hamon, inwieweit die von ihm angekündigte neue sozial-ökologische Kraft Anhänger innerhalb der wenigen verbliebenen sozialistischen Abgeordneten gewinnen kann. Bislang hält Hamon noch daran fest, am 1. Juli eine neue Kraft in Paris aus der Taufe heben zu wollen. Die neue starke Figur im verwüsteten sozialitischen Lager ist allerdings die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, die dort in einer Art rot-rot-grünen Koalition sehr erfolgreich regiert. Auch Anne Hidalgo hat jüngst eine neue eigene „Bürgerbewegung“ gegründet, „Dès Demain“ („Von Morgen an“). Offen ist, welche neue Kraft oder auch neuen Kräfte aus dem Trümmerfeld von Sozialisten und Grünen entstehen – und wer diese anführen wird. Immerhin verfügen beide über Abgeordnete im Europarlament. Dort steht die nächste Wahl an, die in Frankreich stattfinden wird, im Sommer 2019.
Im nationalen Parlament wird in Bezug auf ökologische Fragen interessant sein, inwieweit sich innerhalb der Fraktion von „La République En Marche!“ Abgeordnete identifizieren lassen, die offen sind für ökologische Fragen. Matthieu Orphelin kommt dafür in Frage, früher Sprecher der Stiftung von Nicolas Hulot, der bekannte Journalist und Umweltaktivist, der nun Umweltminister ist in der neuen Regierung. Dieser hatte Macron bereits im Wahlkampf in Bezug auf ökologische Fragen beraten. Oder die 26-jährige Sandrine Le Feur, Biobäuerin aus der Bretagne, die erstmals den Sprung ins Parlament schafft.
Die „Sowohl-als-Auch“-Methode von Macron und das Neustart-Versprechen vor der Nagelprobe
Nach einem langen und für viele Französinnen und Franzosen ermüdenden Wahljahr, das im September 2016 mit der Urwahl bei den Grünen begonnen hatte, ist über die Zusammensetzung der neuen Exekutive in Frankreich jetzt entschieden. Emmanuel Macron hat damit wirkliche Gestaltungsmöglichkeiten für die von ihm angekündigten Reformen. Ein Grundprinzip des Macronismus war bislang das „Sowohl-als-Auch“. Damit ist er im Präsidentschaftswahlkampf und mit einer breit aufgestellten ersten Regierungsmannschaft im Parlamentswahlkampf gut gefahren. Jetzt wird es um konkrete Vorschläge und damit auch letztlich klare politische Richtungsentscheidungen gehen, angefangen mit dem sensiblen Thema der Arbeitsmarktreformen, die Macon noch vor dem Sommer beginnen will. Diese Nagelprobe steht dem erfolgsverwöhnten Jung-Präsidenten nun erst noch bevor. Die zentrale Mammutaufgabe für Emmanuel Macron und seine Bewegung wird es sein, die tiefe Vertrauenskrise in Frankreich zu überwinden, die nicht zuletzt den vor drei Jahren in Frankreich noch gänzlich unbekannten 39-jährigen mit an die Macht gespült hat. Die Rekordenthaltung bei den Parlamentswahlen war dafür kein guter Auftakt, auch wenn etwa in der Wirtschaft die Vertrauensindikatoren schon deutlich nach oben zeigen. Auch der Versuch, dies mit dem Gesetzesprojekt „Zur Wiederherstellung des Vertrauens im politischen Leben“ zu Transparenzregeln und neuen Vorschriften, wie etwa dem Verbot Familienangehörige zu beschäftigen, zu erreichen, ging bislang gründlich schief: Schon zwei Minister sind in Affären verwickelt und werden den neuen Maßstäben nicht gerecht: Richard Ferrand, der Minister für Wohnungsbau und Stadtentwicklung, wird nach einer Affäre um Günstlingswirtschaft der Regierung nach den Parlamentswahlen nicht mehr angehören – aber stattdessen nun Fraktionsvorsitzender der LREM-Mehrheit im Parlament. Ausgerechnet der Justizminister François Bayrou ist als MoDem-Parteichef selbst in eine Affäre verwickelt: MoDem-Europaabgeordnete sollen Mitarbeiter der Parteizentrale als parlamentarische Assistenten geführt und bezahlt haben. Eine Affäre, die bereits große Wellen schlägt: Überraschend ist zunächst die versierte Europapolitikerin, Deutschlandkennerin und MoDem-Politikerin Sylvie Goulard von ihrem noch sehr jungen Amt als Verteidigungsministerin zurückgetreten. Jetzt folgte Justizminister François Bayrou, der für das Gesetzesprojekt zur « Moralisierung der Politik » verantwortlich war. Auch die Staatsministerin und MoDem-Politikerin Marielle de Sarnez wird die Regierung verlassen. Einen Neustart im politischen Leben Frankreichs zu versprechen ist etwas anders, als diesen wirklich umzusetzen. Nur neue Gesichter in Parlament und Regierung zu präsentieren, reicht dafür nicht.
Allein de Gaulle ist es in der V. Republik bislang gelungen, dass der eigene Name zum Inbegriff einer ganzen politischen Richtung geworden ist, die jahrzehntelang die französische Politik dominierte. Ob der Macronismus eine Fußnote der Geschichte bleibt oder die Politik in Frankreich dauerhaft verändern wird – dieses Experiment mit vielen Unbekannten hat gerade begonnen.
Jens Althoff