Koalitionen als Schlüssel für gerechten Wandel

Bericht

Erfolgreiche Transitionen müssen Dialoge zwischen Partner/innen umfassen, die gemeinsam am Entscheidungsprozess teilhaben. Ohne eine aktive und breite Koalition, welche kohärente Narrative und Symbole verwendet, die so viele soziale Gruppen wie möglich einbeziehen, ist die Umsetzung von positiven und effektiven Lösungen nicht möglich.  

Das zweite Treffen des Französisch-Deutsch-Polnischen Forums zu Europäischem Strukturwandel fand am 3. und 4. Dezember 2018 in Katowice statt. Das Ziel des Treffens war es, konkrete Beispiele gerechter Energiewende in verschiedenen Phasen zu untersuchen, sich Best Practices in Schlesien und die Unterschiede zwischen Städten anzuschauen, zu untersuchen, wie sich der Kohlesektor in den kommenden 15 bis 20 Jahren ändern wird oder nicht, und zu diskutieren, wie Aktivist/innen Koalitionen mit der lokalen Politik und Verwaltung, unternehmerischen Initiativen oder Expert/innen eingehen können. Die Teilnehmenden besuchten lokale Kohleminen und sprachen mit lokalen Politiker/innen und Aktivist/innen darüber, wie die schlesische Region und ihre Städte mit den Herausforderungen des Strukturwandels umgehen.

Während der COP24-Verhandlungen, die sich um eine gerechte Energiewende drehten, waren unsere Expert/innen vor Ort und lernten aus erster Hand, wie die schlesische Kohleregion von der Kohle beeinflusst wurde. Außerdem haben wir uns mögliche Strategien für innovative „grüne“ Entwicklung angeschaut, da es momentan nur Ideen oder einzelne, meist nicht ausreichende Instrumente, aber keine kohärenten und erfolgreichen politischen Strategien für strukturelle Entwicklung gibt, die in der Region angewandt werden.  Ein ganzheitlicher Wandel benötigt ein gemeinsames Verständnis von nachhaltiger Wirtschaft, und ein erfolgreicher Wandel beinhaltet einen Dialog zwischen Stakeholdern, welche Entscheidungen gemeinsam treffen. Koalitionen müssen sich auf eine Theorie des Wandels einigen, ein Narrativ, Symbole und Führungspersonen finden, um Menschen aus verschiedenen Gruppen zu überzeugen und dann dieser Strategie mit positiven Lösungen folgen.  Dann werden natürlich finanzielle Mittel benötigt, um sie anzuwenden. Es kam ebenfalls heraus, dass das Rechtssystem, auf nationaler und auf europäischer Ebene, sehr wichtig geworden ist, da Bewegungen sich auf existierende Strukturen stützen können, wenn sie Gesetze auf ihrer Seite haben.

Eine zentrale Schlussfolgerung war, dass die Abhängigkeit der Region von Kohle zu „Mono-Ökonomien“ geführt hat – die Mehrzahl der Industrien und Unternehmen war rund um die Ressourcenextraktion angesiedelt. Die Wende der letzten 30 Jahre hat zu vielen verlorenen Arbeitsplätzen und zu sozialem Abstieg an vielen Orten geführt – insbesondere zu Fachkräfteabwanderung (brain drain) und demographischem Wandel (alternde Gesellschaft, Abwanderung aus Städten). Die verarbeitende und die Dienstleistungsindustrie wurden ebenfalls negativ beeinflusst. Eine gerechte Energiewende muss also all diese Themen gleichzeitig bedienen.

Während des Treffens im Zentralen Mineninstitut (Central Mining Institute) in Katowice präsentierten dessen Expert/innen ihre Sicht auf die Zukunft der Kohle in Polen. Bezüge zu „ökologischer Kohle“, Kohlenstoffbindung und –speicherung sowie weiteren fünfzig Jahren Kohle in Polen könnte für Teilnehmende überraschend gewesen sein, auch wenn sie einen großen Teil der politischen Mainstream-Debatte in Polen abbilden. Es wurde ebenfalls anerkannt, dass ein wachsender Anteil der genutzten Kohle in Polen importiert wird, hauptsächlich aus Russland. Die Expert/innen des Instituts unterstrichen, dass eine klare Vision davon notwendig sei, wie eine neue Identität für die Region und ihre Einwohner/innen aufgebaut werden kann.

Ähnlich schienen lokale Politiker/innen der Städte Rybnik und Sosnowiec zu erkennen, dass die Abhängigkeit von Arbeitsplätzen in der Kohleindustrie problematisch war. Sie gingen diese Herausforderungen jedoch anders an. Es gibt keine Kohleminen in Sosnowiec mehr - obwohl es früher viele gab - und die Stadt ist durch eine schwierige Umstrukturierungsphase in den 1990er Jahren gegangen, als die Arbeitslosenrate bei 25% lag. Heute liegt diese bei lediglich 6 bis 7% dank der Tatsache, dass die Stadt eine aktive Politik der Investmententwicklung für neue Unternehmensinitiativen einführte. Es wurde nichtsdestotrotz betont, dass eine solche Energiewende zeitlich gestreckt werden muss, um soziale Kosten, wie die Abwanderung von solchen Städten, zu reduzieren. Im Ergebnis profitiert Sosnowiec heute von einer besseren Umweltsituation und wirtschaftlicher Vielfalt.

Der Bürgermeister von Rybnik konzentrierte sich auf Luftverschmutzung, was ein riesiges Problem in vielen Städten Schlesiens ist - hauptsächlich als Resultat der Verbrennung von Kohle und anderen fossilen Brennstoffen geringer Qualität. Der Fakt jedoch, dass 40% der Einwohner/innen der Stadt vom Kohlesektor abhängig sind, sowie ein geringes Bewusstsein für die Problematik erschwert es, Lösungen zu finden und anzubieten. Menschen gewöhnen sich so an das Miasma der Verschmutzung draußen, dass sie sie als Bestandteil ihres Alltags akzeptieren. Die Hoffnung ist, dass Menschen eines Tages politisch aktiv werden und ihrer Stadt etwas zurückgeben. Währenddessen empfinden lokale Aktivist/innen den Smog als komplexes soziales Problem (in seinen Gründen und in seinen Effekten) und machten auf die Unmöglichkeit aufmerksam, erfolgreiche Strategien zur Verbesserung der Luftqualität einzubringen, wenn es keine effektiven Politiken oder Normen auf nationaler Ebene gibt.  Ihre Hoffnung gilt den EU-Institutionen und rechtlichen Prozeduren, welche zu Erfolgen wie dem Stopp der Abholzung im Wald von Bialowieza führten.

In Anbetracht der Rolle von Protesten wie dem Bialowieza Nationalpark und dem Hambacher Forst, diskutierte die Expert/innengruppe, wie ein erfolgreiches Umweltnarrativ entwickelt werden kann, um den Mainstream-Diskurs und politischen Wandel zu beeinflussen, aber auch um Demokratie und politische Teilhabe zu stärken. Gleichzeitig soll der aktuelle politische Kontext miteinbezogen werden – die Ankündigung einer neuen und wenig ehrgeizigen Energiepolitik bis 2040 in Polen, die von den „Gilets Jaunes“ mit Protesten begleitete Kohlenstoffsteuer und die stärker werdende Debatte um eine kollabierende Gesellschaft in Frankreich, sowie die deutsche Kohlekommission, die ihre Sicht zum Kohleausstieg und der gleichzeitigen Unterstützung von Kohleregionen entwickelt hat. Die Fragen der Steuerung und Umsetzung einer gerechten Energiewende, weg von der Kohle, und das faire Ansprechen all ihrer Anliegen wurden anhand des Beispiels der Kohlekommission diskutiert. Diese hat den Anspruch, so repräsentativ wie möglich zu sein und besteht aus 31 Mitgliedern politischer Parteien, aus NGOs, Wissenschaftler/innen, Gewerkschaften und Vertreter/innen der Industrie.

Die Aufrechterhaltung der Kohle in Polen war für einige deutsche Teilnehmende überraschend, welche selbst innerhalb der pro Kohle-Industrie eine Akzeptanz des unvermeidbaren Auslaufens erkannten. Eine weitere unangenehme Überraschung ist der Einfluss deutscher Politik auf den polnischen Diskurs. Anstatt als Vorbild für seine Energiewende gesehen zu werden, wird Deutschland als Entschuldigung genutzt: da Deutschland weiterhin Braunkohle abbaut und verbrennt, so das Argument, gebe es für Polen keinen Grund zum Aufhören.

Die französischen Teilnehmenden unterstrichen den Aspekt sozialer Gerechtigkeit für den Wandel. Während früher Umweltorganisationen Sozialpolitik als Feld der Regierung wahrgenommen haben mochten, haben die derzeitigen Proteste gezeigt, dass die Akzeptanz einer ungerechten Steuer schlimmer sein kann, als gar nichts zu tun. Die Bewegung der „Gilets Jaunes“ begann aus Unmut darüber, dass Kohlenstoffsteuern das Leben der Ärmsten in Frankreich verschlimmerten, und scheint die Möglichkeit von Ökosteuern für die Zukunft komplett verhindert zu haben. Die Lehre hieraus, welche auch auf Polen und Deutschland angewandt werden kann, lautet, dass erfolgreicher Wandel einen Dialog zwischen Stakeholdern enthält, die gemeinsam Entscheidungen treffen. Ohne eine breite Koalition, mit Narrativen und Symbolen, die der allgemeinen Bevölkerung als ein Ganzes erscheinen, wird es unmöglich sein, positive Lösungen umzusetzen.

Die polnische Regierung mag denken, dass noch weitere fünfzig Jahre Kohle vor uns liegen – und von den USA und anderen Ländern darin unterstützt werden – aber steigende Energiepreise und weltweite Entwicklungen zeigen, dass dies eine falsche Annahme ist. Und wie die riesigen strukturellen Umbrüche in den 1990er bewiesen haben, können die Auswirkungen einer schlecht auf Wandel vorbereiteten Gemeinschaft jahrzehntelang anhalten. Schlesien benötigt heute eine ernsthafte Strategie zu strukturellen Investitionen. Deshalb sind Koalitionen so wichtig: sie ermöglichen es, Umweltaspekte mitzudenken, aber sie beinhalten auch soziale Aspekte des Wandels. Die Rolle der „grünen“ Koalitionen im Strukturwandel sollte darin bestehen, die Notwendigkeit von robusten Infrastrukturen und Institutionen aufzuzeigen. Sie hängen nicht von wirtschaftlichem Wachstum ab und funktionieren auch, wenn die Wirtschaft stagniert oder zurückgeht. Aufgrund der Grenzen des Planeten werden sie in Zukunft mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. 

 (Übersetzung: Paula Reichert)