Trotz des geltenden Ausnahmezustandes und der Attacken auf Soldaten am Flughafen Orly noch im März, war die Terrorismus-Gefahr im Wahlkampfendspurt nur Randthema. Es ging vor allem um Jobs, soziale Sicherheit, wachsende Ungleichheit und Europa. Das Attentat auf den Champs-Élysées setzt das Thema Terrorismus mit Wucht auf die Tagesordnung. Das könnte vor allem Marine Le Pen und François Fillon nutzen.
Am Dienstagmorgen schien in Dijon die Wahlkampfwelt in Frankreich noch in Ordnung zu sein. Es ist Markttag in der Hauptstadt der Bourgogne und jetzt sogar der Großregion Bourgogne-Franche-Comté. Die Sonne lacht, der Himmel ist blau, auf dem Markt werden die Spezialitäten der Region angeboten, von Cassis-Likör über Senf bis zu den berühmten Burgunder-Tropfen der Region. Zu dieser Jahreszeit tummeln sich hier vor allem Menschen aus der Region, im Sommer dominieren Touristen das Bild dieser Stadt, die bis heute durch ihre reiche Blütezeit im Mittelalter als Zentrum von Burgund und Flandern geprägt ist. Zwischen den Markständen ist knapp eine Woche vor der Entscheidung über die beiden Finalisten der Präsidentschaftswahl Wahlkampf angesagt: Junge Sozialisten trommeln für den Kandidaten Benoît Hamon, der in den Umfragen bei rund 8 Prozent liegt und damit nicht zum Favoritenkreis zählt. Wahlkämpferin Marie macht vor allem zu schaffen, dass „die Leute wegen der Umfragen und der Berichterstattung in den Medien glauben, dass Hamon keine Chance hat“. Ihr Argument dagegen: Es gehe um das Programm und die eigenen Überzeugen, das sollte ausschlaggebend sein für die Wahlentscheidung. Auch das ist nicht immer einfach: Ein älterer Mann will von ihr wissen, von was Hamon denn das Grundeinkommen bezahlen wolle, dass er allen verspreche. Der Staat habe doch so schon kein Geld. [external_media:]
Zwei Unterstützer von Jean-Luc Mélenchon, früher Gründer und Chef der Linkspartei, jetzt der auf ihn zugeschnittenen Bewegung „Widerspenstiges Frankreich“, werben mit Flyer für die Abendveranstaltung mit dem 65-Jährigen. Mélenchon tritt am Abend in der großen Kongresshalle von Dijon auf, im modernen Teil der Stadt. 7000 Menschen haben sich hier versammelt, darunter Unterstützer, die eigens aus Besançon und Belfort mit Bussen angereist sind, aber auch sehr viele junge Leute aus der Gegend, die Mélenchon schlicht „cool“ finden. Das ist dieser Dauereinrichtung der französischen Politik,die seit nun schon 40 Jahren aktiv ist, mit einem bemerkenswert professionellen Wahlkampf gelungen: in den sozialen Medien, mit Veranstaltungen unter freiem Himmel, die von Zehntausenden besucht werden, seinen Auftritten in den TV-Debatten sowie seiner außergewöhnlich starken Fähigkeit als Redner. Über zwei Stunden redet er frei in der Halle in Dijon, die einem Flugzeug-Hangar ähnlich sieht, versetzt die 7000 Zuhörer dort immer wieder in Begeisterungsstürme. Gleichzeitig turnt er als Hologramm noch in sechs weiteren Städten über die Bühne, in Nancy, Grenoble, Clermont-Ferrand, Nantes und selbst auf der Insel La Réunion, versammelt so insgesamt 37.000 Menschen.
Terrorgefahr mischt Wahlkampf auf
Dienstagnachmittags ist bekannt geworden, dass die Behörden in Marseille zwei Männer festgenommen haben, die einen Anschlag vorbereitet haben sollen mit islamistisch-terroristischem Hintergrund. Ziel könnten die Präsidentschaftsbewerber gewesen sein, insbesondere der Kandidat der Konservativen François Fillon. Auf der Bühne in Dijon geht Mélenchon zu Beginn kurz darauf ein, spricht den Kandidaten-Kollegen seine Solidarität aus, Marine Le Pen erwähnt er nicht. Dann geht er in seiner Rede vor allem auf sein Kernthema ein: die soziale Ungleichheit in Frankreich, verschuldet durch die „Finanz-Oligarchie“. Nur kurz kommt er auf die Verantwortung Europas zu sprechen, lange der Lieblingsfeind des Linkspartei-Gründers. Hier versucht er nun deutlich moderater den Garant für einen Kurswechsel zu geben, mit der die vermeintlich durch Brüssel und Berlin diktierte Austeritätspolitik ein Ende habe. Dazu stimmt er auch gerne nationalistische Töne an, spricht von einem unabhängigen und starken Frankreich. Am Ende schmettert der Saal aus 7000 Kehlen inbrünstig die Marseillaise. Das gemeinsame Anstimmen der Nationalhymne gehört hier allerdings zum Inventar aller großen Wahlversammlungen, ob rechts oder links, scharfrechts oder weit links.
Die Frage nach der Schaffung von Jobs, Antworten auf die schwierige wirtschaftliche Lage sowie die soziale Sicherheit stehen bis dato im Mittelpunkt der Wahlkampagne in Frankreich. So auch bei Benoît Hamon bei der Abschlussveranstaltung am Mittwochabend auf der Place de la République im Herzen von Paris. Im Schatten der Marianne-Statue, Nationalsymbol des Landes, steht die Bühne, der Platz ist dicht gefüllt, es werden viele grüne Fahnen der französischen grünen Partei und auch viele Europafahnen geschwenkt. Dazwischen viel sozialistisches Rot, auch das Publikum ist milieutypisch tendenziell sozialistischem und grünem Stammwählerpotenzial zuzuordnen. Hamon ist Kandidat der Sozialisten und der französischen Grünen, die seit 1974 immer mit eigenen Kandidaten in der Präsidentschaftswahl angetreten waren. Diesmal hat sich Grünen-Kandidat Yannick Jadot zugunsten von Hamon von der Kandidatur zurückgezogen, nachdem beide ein Abkommen geschlossen hatten. Sehr viel grün kam dadurch in das Programm von Hamon und die Grünen bekamen Zusagen für über 40 Wahlkreise, in denen sich die sozialistischen Kandidaten zugunsten grüner Kandidaten zurückziehen würden. Das würde ihnen die Chance auf Kandidaten im Parlament, der Assemblée Nationale, eröffnen. Jetzt steht Hamon bei nur rund 8 Prozent, könnte sogar unter fünf Prozent rutschen, dann würde die sozialistische Partei keine Wahlkampfkostenerstattung bekommen. Das wäre das Aus für diese von François Mitterand 1971 formierte Partei, die ohnehin bereits vor der Spaltung steht. Dann dürfte auch das Abkommen zwischen dem sozialistischen Spitzenkandidat und den Grünen schnell hinfällig werden. Auf der Bühne am Place de la République zeigt sich das große Problem des Kandidaten Hamon: Die populäre sozialistische Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, ist nicht gekommen. Sie schickt eine freundlich-nichtssagende Videobotschaft aus Madrid, wo sie unbedingt für ein Städte-Friedens-Forum weilen müsse. Deutlicher kann man kaum zum Ausdruck bringen, dass man mit einem bereits zum Verlierer abgestempelten Kandidaten nicht auf der Bühne stehen will. Hingestellt haben sich dort allerdings sowohl Yannick Jadot, Ex-Spitzenkandidat der Grünen, wie auch Ministerinnen der noch amtierenden sozialistischen Regierung, darunter Emmanuelle Cosse, Ministerin für Wohnungsbau, die für das Regierungsamt den Grünen-Parteivorsitz hingeworfen und die Grünen damit noch tiefer auf Krisen-Talfahrt geschickt hatte.
Hamon steckt in einer Sackgasse. Sieger der Urwahlen bei den Sozialisten, versuchte der Gegner der Regierungspolitik und Anführer der sogenannten „Frondeur“ auch programmatisch mit einem sozial-ökologischen Programm einen Neuaufbruch zu vollziehen. Er schwankte zwischen Regierungspolitik, deren fünfjährige Bilanz er nicht komplett verdammen wollte, und versuchtem Neuaufbruch. Immer mehr Sozialisten wollen seiner linksgrünen Programmatik nicht folgen und machen sich in Richtung Emmanuel Macron davon, mit dabei der frühere Premier Emmanuel Valls. In einer kraftlosen Wahlkampfrede mit klassischem Muster versucht sich der eingeklemmte Kandidat dem Trend in Meinungsumfragen und Medien entgegenzustemmen und endet damit, dass er die gesamte Linke liebe, von „SPD bis Syriza“ – ein sehr weites Feld. Eifrig schwenken die versammelten Anhänger trotz wenig mitreißender Rede die Fahnen. Gezeigt wird vor dem Auftritt noch der ideenlose TV-Spot des Kandidaten. Das wird nichts mehr. Hamon und Mélenchon im Direktvergleich machen deutlich, warum Mélenchon in den Umfragen so zugelegt hat und er immer mehr als der Kandidat der französischen Linken gilt, dem die Wähler dieses Spektrums scharenweise zulaufen. Wähler, für die ein Emmanuel Macron Symbol für den verhassten Neoliberalismus ist – dort würde man ihn aus deutscher Perspektive weniger verorten.
Wird Anschlag auf den Champs-Elysées Auswirkungen auf Wahlen haben?
Mélenchon hatte die größte Dynamik des Endspurtes auf seiner Seite, zumindest solange seine Kernthemen die Wahlkampfdebatte bestimmten. Kopf an Kopf liegen vier Kandidaten, sechs Kombinationen sind denkbar und möglich, drei Szenarien mit Mélenchon als möglichem Kandidat für die zweite Runde. Das ist am Donnerstagabend vorbei. Mitten in eine sperrige Vorstellungsrunde im zweiten Programm des französischen Fernsehens, in der alle Kandidaten von zwei Moderatoren wie Schüler nacheinander befragt werden und am Ende in einer gemeinsamen Runde noch ein Abschlussstatement machen dürfen, platzt die Nachricht vom Attentat auf Polizisten, um 21 Uhr, mitten auf den von Touristen bevölkerten Champs-Élysées. Ein Polizist kommt ums Leben, ein weiterer wird schwer verletzt, auch eine deutsche Touristin bekommt Blessuren ab. Schnell spricht die Regierung von einem möglichen terroristischen Hintergrund. Der Alptraum ist eingetreten, ein weiterer Anschlag in dem immer noch tief verwundeten und angespannten Land. Das wollte der frühere Innenminister und jetzige Kurzzeit-Premierminister Bernard Cazeneuve auf jeden Fall verhindern. Mit der Aufdeckung der Attentatspläne in Marseille konnten die Sicherheitsbehörden demonstrieren, dass sie erfolgreich Anschläge verhindern können. Und jetzt das: Ein 37-jähriger Krimineller, vorzeitig aus der Haft entlassen und schon im Visier der Behörden wegen möglicher Attacken-Pläne auf Polizisten, aber mangels Beweisen nicht festgesetzt, schlägt zwei Tage vor der Wahl zu. Es ist bereits der dritte Angriff in diesem Jahr, am 3. Februar gab es eine Attacke auf Militärs am Louvre, am 18. März auf Militärs im Flughafen Orly, seit 2012 ist es bereits der zehnte Angriff.
Schnell reklamiert der IS diesen Anschlag für sich, noch offen ist allerdings, inwieweit es sich wirklich um einen Angriff mit islamistischem Hintergrund handelt. Das ist aber schon nicht mehr entscheidend, das Thema Terrorismus kehrt mit Wucht zurück auf die Agenda, direkt vor der Wahl. François Fillon reagiert sofort und erklärt seine Wahlkampagne für beendet, sagt seine Termine am nächsten Tag ab. Trotzdem tritt er natürlich am Tag darauf vor die Presse. In einem so knappen Rennen kann diese Wendung nun die Entscheidung bringen. Die Kandidaten erscheinen vor diesem Hintergrund in einem neuen Licht. Das könnte insbesondere Marine Le Pen nutzen, die in den letzten Wochen vor der Wahl kontinuierlich in den Umfragen verloren hatte. Sie greift das Thema auch sofort auf, spricht davon, dass seit zehn Jahren rechte wie linke Regierungen alles getan hätten, dass der „Krieg gegen den islamischen Fundamentalismus“ verloren gehe. Sie fordert die Schließung der nationalen Grenzen, die sofortige Ausweisung aller registrierter Gefährder sowie radikale Maßnahmen gegen islamische Organisationen. Dass es sich bei dem Täter um einen gebürtigen Franzosen handelt, der offenkundig auch nicht als Gefährder registriert war, kümmert sie wenig. Auch der konservative Kandidat Fillon kann nun kurz vor der Wahl die Diskussion um seine Affären vergessen machen und sich als entschlossener Law-and-Order-Mann präsentieren, der viel Erfahrung auch auf dem internationalen Parkett einbringen und für Stabilität und Ordnung sorgen könne. Fillon, Autor eines viel kritisierten Buches über den „Islamischen Totalitarismus“ verspricht, mit „eiserner Faust“ gegen den Terrorismus zu kämpfen, will dafür die Kontrollen an den nationalen Grenzen beibehalten, Polizei und Verteidigungsbudget aufstocken sowie sich für eine internationale Koalition gegen den islamistischen Terrorismus einsetzen. Ein Duell Marine Le Pen gegen Fillon erscheint nun nicht mehr unwahrscheinlich. Dagegen wirkt der erst 39-jährige Macron, der vor allem mit dem Versprechen auf Erneuerung, Aufbruch und neuer Dynamik punkten könnte, jetzt plötzlich jung und vergleichsweise unerfahren. Er sagt seine zwei letzten Wahlkampfveranstaltungen in Rouen und Arras ab, da die Sicherheitskräfte jetzt anderes zu tun hätten, als solche Versammlungen zu schützen. Seine Wahlkampagne setzt er dann doch fort und stellt sich diametral gegen Marine Le Pen. Er warnt davor, Ängste jetzt zu instrumentalisieren und auszunutzen. Vielmehr fordert er, die Geheimdienste zu stärken und eine spezielle Anti-Daesh-Task-Force einzurichten.
Die Aussicht auf ein mögliches Duell Le Pen und Fillon für die zweite Runde könnte manchen Wähler aus dem linken Spektrum jetzt doch noch dazu bewegen, mit zusammengebissenen Zähnen aus taktischen Gründen dem Umfrage-Favoriten seine Stimme zu geben.
Die offizielle Kampagne ist Freitagmitternacht beendet, danach darf kein Wahlkampf mehr gemacht werden. Dann wird im Freundes- und Familienkreis über die Wahlentscheidungen am Sonntag diskutiert werden. Dabei könnte es ziemlich lebendig werden, denn Politik ist eine große Leidenschaft in Frankreich – und die Situation kurz vor der Wahl ausreichend verfahren.