Im Rahmen des deutschen Filmfestivals Univerciné in Nantes wurden zwei Vorführungen von Filmen, die sich mit dem Thema erster Weltkrieg befassen, organisiert. Alice Cadeddu berichtet über diese beiden Filme, die in der Erinnerungskultur dieses Konfliktes eine sehr wichtige Rolle spielen: Im Westen nichts Neues und Westfront 1918.
Am 11. November 2018 jährte sich das Ende des Ersten Weltkrieges zum 100. Mal. Der Tag der Verkündung des Waffenstillstandes der Compiègne findet bis heute auf unterschiedliche Weise Einzug in die Erinnerungskultur der an der ›Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‹ beteiligten Nationen. Gemessen an der Gedenkkultur Deutschlands, ist der Erste Weltkrieg beispielsweise in Frankreich und Großbritannien bis heute wesentlich präsenter.
Das mag nicht zuletzt im Scheitern der Weimarer Republik sowie im Aufkommen des Nationalsozialismus liegen, die eine Verarbeitung des Kriegstraumas erschwerten und nicht zuletzt verhinderten. Die folgenreichen Ereignisse des Zweiten Weltkrieges trugen ihr Übriges dazu bei und überlagerten die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg schließlich vollends.
Erst mit der Verarbeitung des Zweiten Weltkrieges wurde auch das Trauma des vorangegangenen Kriegs in Deutschland aufgearbeitet. Im Zuge dessen kamen zwei lange in Vergessenheit geratene Filme wieder zum Vorschein, die 1933 vom nationalsozialistischen Regime verboten wurden: Georg Wilhelm Pabsts Westfront 1918 und Lewis Milestones Im Westen nichts Neues.
Westfront 1918 – Vier von der Infanterie
Der 1930 von G. W. Pabst realisierte Film Westfront 1918 ist einer der ersten deutschen Filme, die sich mit den Ereignissen des damals bereits über zehn Jahre zurückliegenden Ersten Weltkrieges auseinandersetzten. Das Drehbuch basiert auf dem Roman Vier von der Infanterie, in dem der deutsche Schriftsteller Ernst Johannsen die Ereignisse verarbeitete, die er selbst während des Ersten Weltkrieges, u.a. als Funker in Verdun, erlebte.
Westfront 1918 erzählt die Geschichte vierer deutscher Soldaten, die gegen Ende des Krieges an der französischen Westfront stationiert sind. Die Protagonisten – der Bayer, der Student, der Leutnant und Karl – stehen pars pro toto für eine vom Krieg erschütterte und zerstörte Gesellschaft, die von den Machthabern für deren Zwecke instrumentalisiert wurden.
Der junge, optimistische Student zieht durch seine gerade erst entdeckte Liebe zu der Französin Yvette voller Lebensmut und Zuversicht in den Krieg, wo er nur kurze Zeit später durch die Hand eines anderen Soldaten getötet wird. Der Bayer, der in der Truppe immerzu mit seinem Gesang für Unterhaltung sorgt und den Krieg in erster Linie als eine Art Abenteuer sieht, wird während eines Angriffs von einer Granate getroffen. Das persönliche Schicksal Karls reicht über die Front hinaus, wo sich der Krieg bereits auf seine Ehe auszuwirken beginnt. Während seines Heimaturlaubes ertappt er seine Frau mit einem anderen Mann, was ihm den letzten Funken Hoffnung zu nehmen scheint. Völlig desillusioniert kehrt er ohne ein Zeichen der Versöhnung an die Front zurück und meldet sich geradewegs als Freiwilliger für ein Himmelfahrtskommando, bei dem er unter Beschuss gerät. Zusammen mit dem Bayer und dem Leutnant, der unterdessen auf dem Schlachtfeld dem Wahnsinn verfallen ist, wird er ins Lazarett eingeliefert. Dort angekommen, wird das Ausmaß des Krieges in seiner ganzen Grausamkeit ersichtlich und Karl, der langsam seinen Verletzungen erliegt, spricht mit seinem letzten Atemzug das für ihn nun Offensichtliche aus: »Alle sind wir schuld!«.
Neben bedeutungsschweren Themen wie Kameradschaft und Liebe geht es in erster Linie um das Überleben an der Front. Wie bereits an der Namensgebung der Hauptcharaktere deutlich zu erkennen ist, begreift der Film den Ersten Weltkrieg jedoch nicht als Auslöschung individueller Schicksale, sondern vielmehr als mahnendes Zeichen für den Untergang der zivilisierten Welt. Zum inhaltlich tragenden Element wird hier das insbesondere in den Schlachtsequenzen dargestellte Aufeinanderprallen von Technik und Natur. Pabst visualisiert den industrialisierten Krieg als verheerende Naturgewalt, die alles sich in den Weg stellende mit sich reißt: Wüstes, menschenleeres Land wird innerhalb weniger Augenblicke zum explosiven Boden, in dem die Soldaten, die dort kurz zuvor noch vergebens Schutz suchten, verschüttet und lebendig begraben werden. Die Erde ist übersät mit Baumstümpfen, Granattrichtern und Bombenkratern, in denen Tote liegen – es gibt keine Fluchtmöglichkeiten, keinen sicheren Ort. Pabst beschränkte sich bei der Darstellung der Zerstörung der Zivilisation jedoch nicht ausschließlich auf einen einzigen Austragungsort, denn abseits der apokalyptischen Bilder auf den Schlachtfeldern wirkt sich der Krieg auch auf die Daheimgebliebenen aus, die fortan mit der desolaten wirtschaftlichen Lage, der Hungersnot und zerrütteten Beziehungen zu kämpfen haben.
Die seinerzeit neuartige Etablierung des Tonfilms ermöglichte es dem Regisseur, die ohnehin bereits realistischen Kriegsbilder durch akustische Schockmomente zu verstärken. Pabst verzichtete vollständig auf den Einsatz von Musik und schuf stattdessen eine Collage aus den Kriegslärm imitierenden Geräuschen: Knatternde Maschinengewehre, pfeifende Granaten, grelle Detonationen und ohrenbetäubende Schreie intensivieren das Geschehen auf der Leinwand. Eine für die damaligen Kinobesucher völlig neuartige Erfahrung, deren Nervensystem durch diese ›Klangattacken‹ so stark belastet wurde, dass einige Zuschauer sogar vorzeitig den Kinosaal verlassen mussten.
Westfront 1918 wurde aufgrund seiner schonungslos realistischen Darstellung des Krieges im April 1933 von der Oberzensurstelle verboten. Es hieß, der Film sei zu einseitig und werde den Heldentaten der Soldaten in keiner Weise gerecht. Erst 1970 wurde der Film wieder in das deutsche Fernsehprogramm aufgenommen.
Im Westen nichts Neues [Originaltitel: All Quiet on the Western Front]
Der US-amerikanische Antikriegsfilm Im Westen nichts Neues zählt bis heute zu den realistischsten Darstellungen der Kämpfe an der Westfront während des Ersten Weltkrieges. Kein anderer Film hat die Vorstellung des ›modernen‹ Krieges in unserem kulturellen Gedächtnis so nachhaltig geprägt wie Milestones Meisterwerk.
Der Film basiert auf den 1928/29 von Erich Maria Remarque verfassten Roman Im Westen nichts Neues, der innerhalb kürzester Zeit vielfach übersetzt und weltweit verbreitet wurde. Remarques Roman ist zweifellos einer der populärsten und bedeutendsten Texte zur Thematik, der schnell zum Paradigma der Schrecken des Grabenkrieges an der Westfront avancierte.
Dieses Potential erkannte auch der aus dem schwäbischen Laupheim stammende Carl Laemmle, seinerzeit Präsident der Universal Pictures in Hollywood, sehr schnell. Er begab sich noch im August 1929 auf den Weg nach Deutschland, um persönlich die Filmrechte von Remarque zu erwerben. Die Produktionsleitung übertrug er seinem Sohn, Carl Laemmle jr., der wiederum den russischstämmigen Lewis Milestone als Regisseur engagierte. Die Dreharbeiten an der Verfilmung von Im Westen nichts Neues begannen symbolträchtig am 11. November 1929, exakt ein Jahr nach Beginn des Vorabdrucks des Textes in der Berliner Vossischen Zeitung und am elften Jahrestag des Waffenstillstandes.
Der Film erzählt die Geschichte des jungen Paul Bäumer, der sich, mobilisiert durch die allgemeine Kriegseuphorie, gemeinsam mit seinen Klassenkameraden freiwillig zum Kriegsdienst meldet. An der Front angekommen entspricht die Realität jedoch in keiner Weise dem ›Abenteuer‹, das ihnen von der ideologisierenden Propaganda vorgeheuchelt wurde. Der erniedrigenden Ausbildung der jungen Rekruten folgt der gnadenlose Kampf ums Überleben an der Front, den einer nach dem anderen verliert. Paul Bäumer muss mit ansehen, wie alle seine Kameraden nacheinander auf grausame Weise ihr Leben in diesem erbarmungslosen Krieg verlieren, bis er ihm schließlich selbst zum Opfer fällt: Als er aus der Deckung des Schützengrabens heraus einen Schmetterling fangen will, wird er von einem französischen Soldaten ins Visier genommen und getötet. Die Sinnlosigkeit seines Todes wird – wie in Remarques Textvorlage – auf zynische Weise durch die Meldung des deutschen Heeresberichtes verdeutlicht: »Dieser Tag war so ruhig an der ganzen Front, dass der Heeresbericht sich auf einen Satz beschränkte: Im Westen nichts Neues.«
Carl Laemmle jr. und Lewis Milestone betrieben einen immensen Aufwand, um in ihrem Film ein möglichst authentisches Bild des Ersten Weltkrieges zu vermitteln; ein Vorhaben, das durch die für die damalige Zeit exorbitanten Produktionskosten in Höhe von $ 1,25 Millionen ermöglicht werden sollte. Es wurden originale deutsche und französische Armeeuniformen, Helme, Gewehre und sogar sechs komplette Geschütze erworben. Die im Film zu sehenden aufwändigen Kamerabewegungen wurden mittels eines völlig neuartigen und eigens für den Dreh konstruierten Spezialkrans möglich gemacht – eine in jeder Hinsicht innovative Erfindung Milestones, für die er große Bewunderung erntete und die später oft imitiert wurde. Die Inszenierung der elfminütigen Schlachtsequenz war sogar dermaßen überzeugend dargestellt, dass sie später als ›authentisches‹ Filmmaterial in Dokumentarfilmen zum Ersten Weltkrieg verwendet wurde. Durch den zusätzlichen Einsatz der neuartigen Audiotechnik erzielte Milestone den größtmöglichen Wirklichkeitseffekt und schuf mit Im Westen nichts Neues ein bis dato nie dagewesenes Epos, das zum Symbol der Kriegsgegnerschaft wurde.
Der Erfolg des Films war phänomenal: Bereits zwei Wochen nach der Premiere am 29. April 1930 in New York, hatte der Film – trotz der Großen Depression – die gesamten Produktionskosten wieder eingespielt und gewann noch im selben Jahr die Oscars in den Kategorien ›Bester Film‹ und ›Beste Regie‹. Zeitgleich löste Milestones Film eine sich über zahlreiche Länder erstreckende Kontroverse aus, die vielerorts im Verbot des Films gipfelte, so u.a. in Italien, Österreich, Neuseeland, Ungarn, Jugoslawien, Bulgarien und in der Türkei, wo Atatürk persönlich den Film im Februar 1931 verbot. In Frankreich wurde der Film zunächst noch in einer gekürzten Fassung gezeigt (es fehlte beispielsweise die berühmte Duval-Szene), das Verbot erfolgte jedoch 1938 auch hier, am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, und wurde offiziell erst 1963 wieder aufgehoben. Die Reaktionen, die der Film in Deutschland auslöste, übertrafen jedoch bei Weitem die Vorstellungskraft der Filmemacher. Bereits die Veröffentlichung des Romans von Remarque löste zahlreiche hitzige politische Auseinandersetzungen aus, und als bekannt wurde, dass Milestones Film in Deutschland gezeigt werden sollte, brach eine erneute Welle des Protestes aus. Nationalisten und Nationalsozialisten prangerten insbesondere die ›Dreistigkeit‹ des Produzenten Carl Laemmle an, der es gewagt habe, sich als in die USA emigrierter ›Jude‹ mit der Interpretation des ›deutschen‹ Themas Erster Weltkrieg auseinanderzusetzen. Am 5. Dezember 1930, dem Tag der deutschen Erstaufführung, stürmten SA-Leute den Saal, warfen Stinkbomben und ließen weiße Mäuse frei, sodass die Vorführung vorzeitig abgebrochen werden musste. Auch in den folgenden Tagen konnten die Vorstellungen aufgrund des massiven Protestes der Rechten nur unter Polizeischutz stattfinden.
Nach erheblichen Kürzungen und wiederkehrenden Verboten, erfolgte im Februar 1933 das endgültige Verbot von Im Westen nichts Neues. Erst 1952 wurde der Film wieder in deutschen Kinos gezeigt.
G. W. Pabsts Westfront 1918 und Lewis Milestones Im Westen nichts Neues sind wegen ihrer ›realistischen‹ filmischen Darstellung der Ereignisse während des Ersten Weltkrieges von erheblicher Bedeutung für unsere heutige Vorstellung des ›modernen‹ industrialisierten Krieges. Diese ›Ikonen‹ der Kriegsgegnerschaft dienen als Mahnzeichen unserer Zeit und sind damit zu einem wichtigen Teil unserer gemeinsamen Erinnerungskultur geworden.
Literatur
Chambers II, John W.: „All Quiet on the Western Front/Im Westen nichts Neues (1930). Der Antikriegsfilm und das Bild des modernen Krieges“, in: Schneider, Thomas F. (Hg.): Das Auge ist ein starker Verführer: Erich Maria Remarque und der Film. Osnabrück: Universitätsverlag Rasch, 1998 (S. 33-50).
Korte, Barbara; Paletschek, Sylvia; Hochbruck, Wolfgang (Hg.): Der erste Weltkrieg in der populären Erinnerungskultur. Essen: Klartext, 2008.
Röwekamp, Burkhard: Antikriegsfilm. Zur Ästhetik, Geschichte, und Theorie einer filmhistorischen Praxis. München: Ed. Text + Kritik, 2011.
Schneider, Thomas F.: „Im Westen nichts Neues. Ein Film als visuelle Provokation“, in: Paul, Gerhard (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder: 1900-1949. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2009 (S. 364-371).
Winkle, Ralph: „Phantasmagorien des Krieges – Kontinuität und Diskontinuität ästhetischer Muster in Filmen der dreißiger und vierziger Jahre“, in: Glunz, Claudia; Pelka, Artur; Schneider, Thomas F. (Hg.): Information Warfare: Die Rolle der Medien (Literatur, Kunst, Photographie, Film, Fernsehen, Theater, Presse, Korrespondenz) bei der Kriegsdarstellung und -deutung. Göttingen: V&R unipress, 2007 (S. 369-384).