Entgegen ihrer Ankündigung haben Deutschland und Frankreich bisher keine Vorschläge für eine Reform der Währungsunion vorgestellt. Doch die Zeit drängt, denn die Eurokrise könnte jederzeit wieder aufflammen.
Es kriselt weiter – auch wenn keiner darüber spricht
Bis vor zwei Jahren war die Eurokrise noch in aller Munde. Seitdem ist es stiller geworden. Dabei ist die Eurokrise nicht überwunden und könnte sehr schnell wieder ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Denn nach wie vor stellt sich das Problem sehr hoher Schuldenstände in vielen Ländern der Eurozone. Nicht nur die von der Wirtschaftskrise betroffenen südeuropäischen Länder wie Griechenland, Spanien und Portugal sind betroffen, auch Frankreich weist seit 2013 einen Schuldenstand von über 90 Prozent des BIP auf.[1] Die Wachstumsrate in der Eurozone fällt immer noch gering aus und die Arbeitslosigkeit ist in den meisten Euro-Ländern hoch, 2015 lag sie im Durchschnitt bei 10,9 Prozent.[2] Auch Bankinstitute geraten regelmäßig in Schwierigkeiten, obwohl die Einrichtung einer Europäischen Bankenunion genau dies vermeiden sollte – zuletzt die Deutsche Bank und die italienischen Banken. Und schon länger wird Italien als nächstes Land gehandelt, das sich unter den Rettungsschirm stellen muss.
Deutschland und Frankreich – der traditionelle Motor für Europa stottert
Gerade Deutschland und Frankreich als die beiden größten Volkswirtschaften der Eurozone und die traditionellen Zugpferde der Europäischen Integration kommt eine hohe Bedeutung zu, bei der Behebung der Eurokrise und der zukünftigen Gestaltung der Eurozone eine Führungsrolle zu übernehmen. Nicht zuletzt haben beide Länder zu Beginn des letzten Jahres angekündigt, konkrete Vorschläge für eine Reform der Währungsunion zu erarbeiten, die bisher noch ausstehen. Doch angesichts unterschiedlicher Positionen im Eurozonen-Krisenmanagement stellt sich die Frage, wie Deutschland und Frankreich gemeinsame Handlungsoptionen und Vorschläge erarbeiten wollen. Hinzu kommen auf beiden Seiten des Rheins berechtigte Zweifel darüber, wie die beiden Länder zu einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe zurückkehren wollen, nachdem sich die Wirtschaftssituation in den letzten Jahren noch einmal dramatisch auseinander entwickelt hat.
Unterschiedliche Positionen erschweren das Krisenmanagement in der Eurokrise
Bereits in der akuten Phase der Eurokrise zwischen 2010 und 2014 zeigte sich bei den Verhandlungen zu den zentralen Krisenmaßnahmen, dass Deutschland und Frankreich sehr unterschiedliche Positionen vertraten. Zu Beginn der Krise im Frühjahr 2010, als Griechenland vor einem drohenden Staatsbankrott stand, forderte Frankreich sehr schnell ein europäisches Handeln und die Schaffung eines Rettungsmechanismus. Deutschland stand dem Vorschlag allerdings skeptisch gegenüber und argumentierte anhand der No-Bailout-Klausel (Artikel 125 AEUV), dass ein Mitgliedstaat nicht für die Schulden eines anderen Mitgliedstaates herangezogen werden kann. Erst nach großem Zögern billigte Deutschland die Schaffung des temporären Rettungsfonds EFSF und gab Ende 2010 sogar sein Einverständnis zur Schaffung des permanenten Rettungsfonds ESM. Allerdings bestand Deutschland auf eine hohe Konditionalität der Rettungsfonds, sodass sich die Empfängerländer von Hilfsgeldern zur Haushaltskonsolidierung und zu Strukturreformen verpflichten müssen. Frankreich hätte die Konditionalität offener gestaltet, um diese an die Situation und die Bedürfnisse der jeweiligen Länder anpassen zu können. Außerdem forderte Deutschland einen zwischenstaatlichen Charakter der Rettungsfonds, um die Kontrolle über zukünftige Ausgaben bei den Mitgliedstaaten zu belassen.
Einigung auf den Fiskalpakt und den Pakt für Wachstum und Beschäftigung: Sparpolitik versus Wachstumspolitik
Auch bei den Verhandlungen zu den fiskalpolitischen Maßnahmen vertraten Deutschland und Frankreich sehr unterschiedliche und bisweilen gegensätzliche Positionen. Bei der Frage, ob das Gewicht auf spar- oder wachstumspolitische Maßnahmen gelegt werden sollte, setzte sich Deutschland für eine Betonung der Sparpolitik und verbindliche Regeln zur Haushaltskonsolidierung ein. Dem Land war eine Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts besonders wichtig. So sollten sich alle Euro-Länder zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik bekennen. Außerdem setzte sich Deutschland für die Einführung einer verbindlichen Schuldenbremse in die nationalen Verfassungen aller Euro-Länder ein. Diese Maßnahme fand mit der Einrichtung des Fiskalpakts Ende 2011 Einzug in das Krisenmanagement. Frankreich plädierte indes für offenere Regeln und wollte die primär sparpolitischen Maßnahmen durch aktive Wachstumsmaßnahmen ergänzen. Im Sommer 2012 wurde der Fiskalpakt durch den Pakt für Wachstum und Beschäftigung ergänzt, der in seinem Ausmaß aber hinter den französischen Vorstellungen zurück blieb. Außerdem setzte sich Frankreich für eine stärkere politische Steuerung der Eurozone anhand einer Wirtschaftsregierung ein und konnte schließlich die Schaffung regelmäßiger Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone durchbringen.
Neo-Keynesianismus in Frankreich und Ordoliberalismus in Deutschland
Es liegt auf der Hand, dass sich bei derart unterschiedlichen Positionen von Deutschland und Frankreich die Verhandlungen nicht einfach gestalteten. Beide Länder vertraten die Positionen, die sich aus ihren jeweiligen nationalen Wirtschaftsstrukturen und wirtschaftspolitischen Ansätzen ableiten lassen. Die sehr unterschiedlichen Traditionen erschwerten eine zügige Entscheidungsfindung auf Eurozonen-Ebene. In Frankreich kommt dem Staat traditionell eine zentrale Rolle in der Wirtschaft zu (Primat der Politik). Deshalb setzte es sich dafür ein, dass die Staats- und Regierungschefs der Eurozone schnell die notwendigen Maßnahmen umsetzten und bei Bedarf auch auf konjunkturpolitische Maßnahmen zurückgriffen. Die Wirtschaftspolitik ist in Frankreich geprägt von der Schule des Neo-Keynesianismus, so dass der Wachstumspolitik ein genauso großer Stellenwert wie der Sparpolitik eingeräumt wird. In Deutschland, dessen Wirtschaftssystem durch den Ordoliberalismus geprägt ist, kommt dem Staat hingegen keine lenkende, sondern eine regulierende Rolle zu. Die Wirtschaftspolitik ist regelbasiert. Deshalb sollten die Staats- und Regierungschefs in der Eurokrise die notwendigen Regeln erlassen bzw. verschärfen. Außerdem steht in Deutschland die Sparpolitik im Fokus, aktive Wachstumspolitik zur Steigerung der Nachfrage wird dagegen kritisch gesehen.
Letztlich ein Konflikt zwischen Nordeuropa und Südeuropa
Warum und wie sollten Deutschland und Frankreich trotz all ihrer Unterschiede weiterhin die Führungsrolle übernehmen? Dafür sprechen mehrere triftige Gründe. Deutschland und Frankreich kommt bis heute in ökonomischen Fragen eine zentrale Rolle auf europäischer Ebene zu, da sie traditionell die zwei Länderpositionen im Rat der EU vertreten. Deutschland befindet sich mit seinem Einsatz für verbindliche Regeln und Sparpolitik auf der Seite der nordeuropäischen Länder wie Finnland oder die Niederlande, Frankreich argumentiert eher auf Seiten der südeuropäischen Länder wie Italien und Spanien für politisches Handeln und Wachstumspolitik. Die von beiden Ländern in den Verhandlungen der Eurokrise gefundenen Kompromisse ebneten deshalb den Weg für die zentralen Krisenmaßnahmen, in denen sich die anderen Euro-Länder ein Stück weit berücksichtigt sahen.
Das ist der Grund, warum Deutschland und Frankreich die Aufgabe zukommt, als Führungsduo wichtige Entscheidungen auf EU-Ebene vorzubereiten und weitere Integrationsschritte voranzubringen. Es ist die Grundeigenschaft der EU, dass diese sich aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Systemen zusammensetzt, deren Traditionen und Interessen auseinanderliegen. Es geht nicht darum, dass ein Land den Ton angibt und die Entscheidungen bestimmt. Viel eher geht es um den Willen zur Zusammenarbeit und zur Konsensbildung. Eine alleinige Führungsrolle Deutschlands würde dieser Grundeigenschaft der EU und der Eurozone widersprechen und bei den anderen Mitgliedstaaten auf wenig Akzeptanz stoßen.
Wie sollte eine solche Lösung aussehen?
Was könnten Deutschland und Frankreich also zu einer Reform der Währungsunion beitragen, um ein Wiederaufflammen der Eurokrise zu vermeiden? Ökonomisch wäre ein Mix aus beiden Ansätzen durchaus sinnvoll. Dafür müssten Deutschland und Frankreich bereit sein, über ihren (nationalen) Schatten zu springen. Ein einseitiger Fokus auf Sparpolitik mag aus deutscher Perspektive durchaus Sinn machen, da das Land kaum von der Eurokrise betroffen ist. Für Frankreich, wo die Folgen der Eurokrise stärker zu spüren sind und noch weitaus mehr für die von der Krise betroffenen südeuropäischen Länder wäre hingegen eine Ergänzung der sparpolitischen Maßnahmen durch Wachstumsmaßnahmen nützlich und angebracht. Mitunter kommt es auf den richtigen Mix zwischen Sparen und Wachstum an.
Es ist unbestritten, dass die Euro-Länder zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik zurückkehren, bestehende Schulden abbauen und notwendige Strukturreformen durchführen müssen. Gleichzeitig sollten in den Verhandlungen auch Wege ausgelotet werden, um private und öffentliche Investitionen stärker zu fördern, die ein nachhaltiges Wachstum der Wirtschaft ermöglichen. Besonders sollten zukunftsträchtige Investitionen favorisiert werden, etwa im Bereich der Bildung, der Infrastruktur und der erneuerbaren Energien. Daneben sollten auch soziale Aspekte berücksichtigt werden, um der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich Einhalt zu gebieten und den vielen jungen Menschen eine Perspektive zu geben, die von der hohen Jugendarbeitslosigkeit betroffen sind.
Nicht zuletzt sollten auch die Möglichkeiten weiterer Integrationsschritte reflektiert und diskutiert werden. Denn in ihrer heutigen Ausgestaltung ist die Eurozone eine unvollständige Währungsunion, in der die Geldpolitik zwar vergemeinschaftet ist, die Wirtschafts-, Fiskal- und Haushaltspolitik aber weiterhin bei den einzelnen Mitgliedsländern verbleibt. Eine noch engere Kooperation in diesen Bereichen ist für den Fortbestand der Eurozone und die Rückkehr zu wirtschaftlichem Aufschwung unerlässlich.
Deutschland und Frankreich sind nach wie vor gefragt
Funktionieren kann das alles nur, wenn Deutschland und Frankreich mit positivem Beispiel vorangehen und den politischen Willen zur Kompromissfindung demonstrieren. Sie sollten den anderen Ländern gleichberechtigte und transparente Verhandlungen ermöglichen. Gerade in Zeiten der vielfältigen Krisen (wie die EU-Flüchtlingskrise, der bevorstehende Brexit oder die erstarkenden EU-kritischen Bewegungen insbesondere rechts außen) ist es besonders wichtig, die Handlungsfähigkeit der EU sicherzustellen und zu zeigen, dass Europa in der Lage ist, die Herausforderungen und Krisen der Zeit beherzt anzupacken. Deshalb sollten Deutschland und Frankreich an ihrer Ankündigung festhalten und noch vor den anstehenden Wahlen konkrete Vorschläge äußern, wie die Währungsunion reformiert und die Eurokrise endgültig behoben werden kann.
[1] Eurostat, Bruttoverschuldung des Staates - jährliche Daten, http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&init=1&language=de&pcode=teina225&plugin=1 (08.02.2017).
[2] Eurostat, Arbeitslosenquote, insgesamt, http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&init=1&language=de&pcode=tsdec450&plugin=1 (08.02.2017); Eurostat, Wachstumsrate des realen BIP – Volumen, http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&init=1&language=de&pcode=tec00115&plugin=1 (08.02.2017).