Wie war’s so schön – Ehedem der alltägliche Neo-Faschismus in Italien

Analyse

Man weiß, Symbole spielen nicht nur in der Politik, sondern in der Gesellschaft insgesamt, eine außerordentlich wichtige Rolle. Fahnen, Flaggen, Zeichen, Gesänge, Ausdrucksweisen, die Art zu grüßen und Ähnliches erlauben Identifizierung, vermitteln Zugehörigkeit und Abgrenzung, kennzeichnen „Freund“ und „Feind“, werden Teil individueller und kollektiver Identität.

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Symbole und Nostalgie

Man weiß, Symbole spielen nicht nur in der Politik, sondern in der Gesellschaft insgesamt, eine außerordentlich wichtige Rolle. Fahnen, Flaggen, Zeichen, Gesänge, Ausdrucksweisen, die Art zu grüßen und Ähnliches erlauben Identifizierung, vermitteln Zugehörigkeit und Abgrenzung, kennzeichnen „Freund“ und „Feind“, werden Teil individueller und kollektiver Identität.

Die Rechte in Italien, nun seit über einem halben Jahr an der Regierung, in der Gesellschaft vertreten durch unzählige Bünde, Vereinigungen, auch spontanen Gruppierungen, legt starken Wert auf die Symbole, will nicht auf sie verzichten, auch wenn sie im Geruch eines alten oder neuen Faschismus stehen, oder auch gerade deshalb.

Im Wahlkampf vor den Kommunalwahlen im Mai präsentierte sich eine Kandidatin in einer kleinen Stadt in der Lombardei mit einer „Sieg heil!“ Tätowierung auf dem Arm – auf deutsch. In einigen Wahlveranstaltungen treten lokale Führer mit dem Mussolini-Gruß auf, dem Hitlergruss sehr ähnlich, auf das Podium. Die stärkste Partei Italiens, „Fratelli d´Italia“ (FdI) unter der Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, hält an der „Fiamma tricolore“ auf ihrem Parteilogo fest, der „Dreifarbigen Flamme“. Die „Fiamma tricolore“ soll auf dem Grab Benito Mussolinis gebrannt haben, und war das Symbol der 1946 von Giorgio Almirante gegründeten, erklärtermaßen neo-faschistischen Partei „Movimento Sociale Italiano“ (M.S.I). Bis 2017 hatte auf der Fahne der Meloni-Partei auch das Kürzel „M.S.I“ gestanden. Desselben Symbols, mit den jeweiligen drei Nationalfarben, bedienen sich rechte und rechtsextreme Parteien in anderen Ländern Europa, z.B. in Frankreich der Rassemblement National.

Almirante war ein Kabinettschef in der 1943 auf Druck von Hitler gegründeten Repubblica Sociale Italiana, besser bekannt als Republik von Salò. Er wurde 1947 wegen „Aplogie des Faschismus“ verurteilt. Die M.S.I. wurde 1995 aufgelöst und durch die erhebliche moderatere „Alleanza Nazionale“ (AN) unter Gianfranco Fini ersetzt, die dann, seit 2012, von den früheren AN-Mitgliedern Giorgia Meloni und Ignazio La Russa, in „Fratelli d´Italia“ übergegangen ist. La Russa ist heute Präsident des Senats, der zweiten Parlamentskammer und hat nie einen Hehl gemacht aus seiner Sympathie für Almirante. Die Tatsache, dass die Fiamma tricolore nach wie vor das Symbol von Fratelli d`Italia ist, unterstreicht die Kontinuität der Partei mit ihren Ursprüngen aus der M.S.I. Meloni hat im Jahr 2022 erklärt: “Die italienische Rechte hat seit Jahrzehnten den Faschismus der Geschichte überlassen und verurteilt ohne Vorbehalt die Ausschaltung der Demokratie und die infamen Anti-Juden-Gesetze.“ Die Überlebende von Auschwitz und jetzt das älteste Mitglied des Parlaments Liliana Segre hat erwidert, dass diese Worte inhaltslos blieben, solange sie nicht von Fakten begleitet würden. „Der Verzicht auf die Fiamma tricolore wäre ein Anfang“.

Die Fiamma tricolore ist auch das Symbol der offen neo-faschistischen und gewalttätigen Organistaion „Forza Nuova“, auf deren Fahne gezeigt neben den Worten „Italien für die Italiener“.

Die Mitte-Links-Opposition wirft den Rechtsparteien wiederholt vor, wie jüngst in der Debatte über die Bedeutung des 25. April, dem nationalen Gedenktag der Befreiung 1945, dass sie den Begriff „Antifaschismus“ niemals verwenden.

Geschichte anders schreiben – Revisionismus und Fälschung

Rund um den 25. April finden in jedem Jahr Debatten statt über den Mussolini- Faschismus, den Widerstand („Resistenza“), die Ursprünge, die Identität und Grundwerte der Republik. In diesem Jahr stand der 25. April zum ersten Mal unter dem Vorzeichen einer politischen Situation, in der die „Rechte“, wie sie sich auch selbst definiert, das Sagen hat.

Der Staatspräsident Sergio Matarella fühlte sich an diesem Tag genötigt, noch einmal zu unterstreichen: “Die Republik ist aus der Resistenza hervorgegangen“. Er sagte es in Cuneo bei Turin, einer Stadt, die mit der Goldmedaille für besonderen Einsatz für die Resistenza ausgezeichnet ist. Zuvor hatte La Russa behauptet, in der Verfassung stünde nichts über Antifaschismus. In Wirklichkeit kamen die Hauptfiguren der Verfassungsgebenden Versammlung aus der aktiven Resistenza. Einige waren aus dem Asyl im Ausland zurückgekehrt.

Ja, die Resistenza: Mythos, historische Erinnerung, Aktualität. Wenn auch hervorgegangen aus der antifaschistischen, d.h. gegen das 20jährige Mussolini-Regime gerichtete Bewegung, wird sie als Partisanenkampf erst nach dem Sturz der Regierung und dem Waffenstillstand mit den Alliierten im September 1943 aktiv und ist in erster Linie gegen die dann folgende deutsche Besetzung Italiens und gegen den Nazismus aktiv. Der 25. April ist der „Tag der Befreiung“ von der deutschen Herrschaft, ermöglicht durch den Sieg der Allierten über die deutschen Armeen, ist gleichzeitig aber auch das Ende der Salò-Republik, dem Überbleibsel der früheren faschistischen Herrschaft.  Meloni hat in diesem Jahr vorgeschlagen, den 25. April nicht mehr „Fest der Befreiung“ sondern „Fest der Freiheit“ zu nennen. „Freiheit“ ist ein Lieblingsbegriff der Rechten.  

Am 25. April wird regelmäßig auch an die von der SS in Italien begangenen Massenmorde während der Besetzung erinnert, z.B. der Erschießung von 335 Menschen in den „Fosse Ardeatine“, in Steinbrüchen vor den Toren Roms. Meloni hat am 25.April behauptet, dort seien Menschen ermordet worden, nur weil sie Italiener waren. Das ist falsch: getötet wurden auch nicht-italienische Juden und die zur Erschießung „Ausgewählten“ waren überwiegend militante Antifaschisten und der Kommunistischen Partei angehörigen Partisanen, die aus dem Folterzentrum der SS in der Via Tasso in Rom geholt wurden. Meloni will die „Fosse Ardeatine“ als eine nationale, gegen Italiener gerichtete Repression ansehen, statt einer gegen den antifaschistischen Widerstand und gegen die Juden.

„Fosse Ardeatine“ war ein aus Berlin angeordneter Racheakt für das ein Tage vorher erfolgte Attentat in der Via Rasella im Zentrum Roms, bei dem 33 deutsche marschierende Soldaten getötet worden waren. Jetzt hat La Russa, nicht nur der zweithöchste Representant des Staates nach dem Staatspräsidenten, sondern auch Chefideologe der „Fratelli d’Italia“, behauptet, „Via Rasella“ sei kein nobler Akt der Resistenza gewesen, denn dort seien Angehörige einer Musikkapelle angegriffen worden, „schon halb in Rente“. Historisch eindeutig falsch. Namen und Alter der Opfer des Attentats, im Südtirol rekrutierte Mitglieder des „Polizeiregiments Bozen“ sind bekannt. Der Oberste Gerichtshof hatte schon zweimal, 1996 und 2007, die rechten Tageszeitungen „Il Giornale“ und „Il Tempo“ wegen „Verunglimpfung der Resistenza“ verurteilt wegen deren Behauptung, „Via Rasella“ sei ein Massaker an Zivilisten gewesen.

Die Beispiele für die Versuche der Geschichtsfälschung und-umschreibung in diesem Jahr, nicht allein im Zusammenhang mit dem 25. April, könnten fortgesetzt werden. Neu ist, dass diese Behauptungen von Mitgliedern der Regierung und der Mehrheitspartei, nicht von abseitigen Grüppchen, aufgestellt und verbreitet werden.

Die schleichende Unterwanderung der Gesellschaft  

Die italienische Regierung hat im Frühjahr die wichtigsten Spitzenposten in weiten Bereichen der gesellschaftlichen Strukturen neu besetzt - mit der Ernennung von Managern, die den Regierungsparteien zuzuordnen sind. In Bezug auf die öffentliche Verwaltung ist dieses „Spoils-System“ gesetzlich zugelassen. Aber hier handelt es nicht allein um die Staatsverwaltung, sondern um die vom Staat kontrollierten Wirtschaftkomplexe, von der Energieversorgung bis zur Luftverkehr-, Militär-und Sicherheitsprodukteindustrie, in dem Megaunternehmen „Leonardo“ zusammengefasst, bis hin zur Post.

Emblematisch ist die Ernennung von Roberto Cingolano zum CEO von „Leonardo“. Er war seit Beginn der neuen Regierung im Oktober 2022 der Energieberater von Meloni. Er ist seit je ein Verfechter der Nuklearenegie, die in Italien durch zwei Volksbefragungen in den Jahren 1987 und 2022 abgeschmettert worden war. Auf einer Konferenz hat er gesagt: “Die Welt ist voll von Ambientalisten radical-chic…sie sind schlimmer als die Klimakatastrophe…sie sind Teil des Problems“.

Nicht weniger einschneidend ist die neue Spitzenbesetzung der RAI, der staatlichen Fernseh-und Rundfunkanstalt. Zunächst wurde der als linkslastig verdächtigte beliebte Talkshow-Moderat Fabio Fazio, seit 40 Jahren in der RAI beschäftigt, rausgeworfen, dann wurden als CEO und als Generaldirektor zwei Männer auf „Vorschlag“ der Regierung ernannt, die über die der Partei Melonis zustehenden Quote in den Vorstand der RAI gekommen waren. Die Tageszeitung „Il manifesto“ titelt am 15. Mai: „Die RAI tritt in die Ära Meloni ein“. Der Chef der Lega und jetzige Infrastrukturminister Matteo Salvini hatte schon vorher angekündigt: “Ein Richtungswechsel ist notwendig.“

Zusammen mit der im Mai erfolgten Ernennung neuer Chefs der Staatspolizei, der Finanzpolizei und der Carabinieri, der allgegenwärtigen Gendarmerie hat die Rechts-regierung in kurzer Zeit die wesentlichen Schritte eingeleitet, um die Leitung von wesentlichen Teilen der Wirtschaft, der Kommunikation und des Sicherheitsapparats in die eigenen Hände zu bekommen. Besondere Empörung seitens der Opposition und der liberalen Presse rief im Mai die Ernennung von Chiara Colosimo zur Präsidentin der parlamentarischen Anti-Mafia Kommission hervor, von der angenommen wird, dass sie mit einem verurteilen Terroristen einer neofaschistischen Gruppe in Verbindung stand.

Betroffen von dem „Richtungswechsel“ sind auch Teile des Kulturbetriebs. Mit dem Trick der gerade verabschiedeten gesetzlichen Herabsetzung des Rentenalters für Museen-, Theater- und Operndirektoren können z.B. die Verträge mit des deutschen Leiters der „Uffizi“ in Florenz und mit der französischen Leiterin des San-Carlo-Theaters in Neapel nicht verlängert werden. Zukünftig müssen ausländische, ohnehin auf EU-Angehörige beschränkte Kandidaten/innen für die Leitstellen in Kulturbetrieben einen italienischen Sprachnachweis erbringen. Die Tatsache, dass gegenwärtig mehr als 10 bedeutende Museen, Opernhäuser und die Ausgrabungen von Pompei von Ausländerinnen geleitet werden, müsse ein Ende haben…

Ohnehin hat der Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida kürzlich vor „ethnischer Auswechselung“ gewarnt, ein anderer Begriff für „Überfremdung“. Er will damit der Vorstellung entgegentreten, der Geburtenrückgang und die Überalterung der italienischen Gesellschaft könne durch Einwanderung ausgeglichen werden.  

 Die bisherige Politik der Meloni-Regierung ist sicherlich kein neuer „Marsch auf Rom“, vergleichbar mit dem vom Oktober 1922 mit dem Mussolini die Machtergreifung einleitete. Es geht den rechten Parteien, insbesondere der „Fratelli d’Italia“, um die Konsolidierung ihres Wahlerfolgs vom September 2022, um die langfristige Absicherung ihres Einflusses auf die Politik, auf die Gesellschaft, auf die Wirtschaft, auf die Medien. Dieser schleichende Prozess erfolgt, bis jetzt, weitgehend ohne direkte Gewaltanwendung und unter der Bemühung, die verfassungsmäßigen und institutionellen Regeln zu beachten, wenn auch deren Flexibilität bis zum Rande und bisweilen ein wenig darüberhinaus ausgeschöpft wird. Es handelt sich um einen strategisch geplanten „Marsch durch die Institutionen“ mit dem Ziel, die italienische Gesellschaft umzuwälzen, um dann, über die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Parteien und Bewegungen in anderen Ländern Europas, den Einfluss auch auf die supranationale Ebene auszudehnen.