"Asyl und Migration in Europa gemeinsam meistern"

Rede

Stiftungsvorstand Dr. Ellen Ueberschär eröffnete in Paris die deutsch-französische Konferenz „Asyl und Migration: Eine Schlüsselfrage für Europa“. Die Kooperation der Heinrich-Böll-Stiftung mit Terre d‘Asile bietet europäischen Kommunen und Zivilgesellschaft erstmalig eine Plattform für einen politischen Strategieaustausch.

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Sehr geehrter Herr Bürgermeister Missika, Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Reker, Sehr geehrter Herr Bürgermeister Darawsha, Sehr geehrter Herr Bürgermeister Careme

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

Wir freuen uns, dass hier heute die wichtigsten zivilgesellschaftlichen Akteur/innen aus Deutschland und Frankreich vertreten sind, die sich im Bereich Asyl, Betreuung von Flüchtlingen und Integration engagieren.

Es ist auch eine besondere Freude und ein wichtiges Zeichen, dass die Oberbürgermeisterin aus Köln, Henriette Reker, Herr Adham Darawsha, stellvertretender Bürgermeister von Palermo, sowie der Bürgermeister aus Grande Synthe, Damien Careme, für diese Konferenz eigens nach Paris gekommen sind.   

Asyl und Migration sind heiß umkämpfte Themen in der deutschen, in der französischen und in der europäischen Debatte. Themen, die ganz offensichtlich das Potenzial haben, die europäische Ordnung ins Wanken zu bringen und zugleich die Liberalität und Humanität der europäischen Idee in Frage zu stellen.

Die Reaktionen aus der Mitte des Kontinents auf den Beitrag des französischen Präsidenten gestern haben es deutlich gemacht - während für die einen Migration noch immer die Mutter aller Probleme ist, sehen viele andere in ihr eine Chance und eine Normalität, die es global und lokal zu gestalten gilt.

Auf europäischer Ebene steckt die Asyl- und Migrationspolitik in einer Sackgasse. Macron hat gestern erneut zu einem Aufbruch gerufen, ist mit konkreten, institutionellen Vorschlägen an die Öffentlichkeit getreten, was zu begrüßen ist, aber aus der Sackgasse noch nicht herausführt.

Die Frage wird immer drängender, wie unsere Gesellschaften und Europa insgesamt einen progressiven, humanitären und geordneten Umgang mit Migrantinnen und Migranten einerseits und Geflüchteten andererseits finden. Ein gesamteuropäischer gesellschaftlicher Konsens ist nicht in Sicht.
Daher tun sich die Nationalstaaten sehr schwer, gemeinsam konstruktive Lösungen im Sinne einer modernen, weltoffenen Migrationspolitik zu finden.

Denn eine progressive Migrationspolitik scheitert im Moment nicht an der EU. Mit den europäischen Institutionen, dem Parlament und der Kommission, wäre sie durchaus möglich. Der Ball liegt beim Rat im Tor, und somit bei den Mitgliedsstaaten.
 

Aber wir wären nicht hier, wenn wir nicht die Gewissheit und die Zuversicht hätten, dass es jenseits der europapolitischen Gesamt-Lösung, an der wir als progressive Kräfte weiter und mit Nachdruck arbeiten, viele Möglichkeiten eines konkreten bürgerschaftlichen Engagements gibt: Immer stärker zeigt sich, dass die Orte Europas, in denen die Menschen tatsächlich ankommen, diejenigen sind, in denen sie Unterstützung erhalten und integriert werden – dort, vor Ort, gibt es nicht nur den Willen, sondern auch die Ideen und die Tatkraft, Migration und Asyl in eine Chance für Europa zu wandeln.  
 

Auf die Städte und Dörfer und die lebendige Zivilgesellschaft in diesen Kommunen kommt es an - sie vernetzen sich, sie stoßen gegenseitig Aktivitäten an, sie sind auf einander angewiesen und sie sind in der Lage, bestehende Blockaden auf Europa-Ebene beherzt zu ignorieren und pragmatisch zu handeln - Unterkunft, Arbeit, Bildung, soziales Zusammenleben - all das sind Bereiche, in denen vor Ort die größte Expertise versammelt ist.
 

Die gute Zusammenarbeit zwischen Städten und zivilgesellschaftlichen Akteur/innen, die sich in der Zeit der Ereignisse im Jahr 2015 rasch entwickelte, war der Schlüssel dafür, dass die Situation in Deutschland 2015 vergleichsweise gut gemeistert werden konnte. Dabei ging es nicht primär um Willkommenseuphorie, sondern um ein anpackendes Arbeiten an und für die Problemlösungskompetenz der kommunalen Ebene, die zum Teil äußerst hohen Belastungsproben ausgesetzt war.

In krassem Widerspruch dazu standen und stehen die kontraproduktiven Instrumentalisierungsversuche der Ereignisse durch rechtspopulistische und rechtsautoritäre Kräfte wie Gauland, Salvini, Orban, le Pen und Co, die unser Europa und ihre jeweiligen nationalen Gesellschaften spalten und Ängste vor angeblicher Überfremdung schüren wollen.

Doch auch die nationalen Regierungen in Frankreich und in Deutschland haben bislang wenig Konstruktives zu bieten und verfolgen im Wesentlichen zwei Strategien:

Zum einen: Das Thema Migration und Asyl möglichst wenig öffentlich zu thematisieren, oder nur, wenn unbedingt nötig – davon werden die Probleme aber nicht geringer. Die damit verbundene Absicht eines „Containments“ rechtspopulistischer Akteure ist bisher nicht aufgegangen und wird auch nicht aufgehen. Die Gewinner einer solche Politik des Nichtthematisierens werden immer die Kräfte des rechten Randes bleiben. Jüngstes Beispiel: Im gerade abgeschlossenen „Vertrag von Aachen“ verlieren Frankreich und Deutschland kein Wort zum Umgang mit Migration und Asylfragen – wie soll Europa hier vorankommen, wenn das wichtige deutsch-französische Tandem den Kopf in den Sand steckt?

Die zweite Strategie setzt nicht nur auf Abschottung, sondern auch auf administrative Abschreckung und legislative Hürden statt auf Integration und Angebote von Anfang an. Das wird aber weder zu humanitärer noch zu geordneter Migration führen. Ganz im Gegenteil- es setzt ein „race to the bottom“ in Gang, bei dem sich die Mitgliedsländer darin überbieten, gegenüber Geflüchteten Härte zu zeigen. Gewinner sind auch hier die rechtsnationalistischen Kräfte und dort, wo sie die Macht übernommen haben, schlägt die Politik der Abschreckung in blanken Hass und Rassismus um.

Dabei kommt es gerade auf unsere beiden Länder – Deutschland und Frankreich - an, um als Lokomotive eine gemeinsame europäische Flüchtlings- und Asylpolitik voranzubringen, die auf der Achtung der Menschenwürde, der Rechtstaatlichkeit und dem individuellen Recht auf Asyl basiert. Keineswegs schließt das Strategien aus, Migration besser zu ordnen und „resettlement“ zu regeln, anstatt eine menschenverachtende Auslese durch Tod im Mittelmeer in Kauf zu nehmen. Doch wir brauchen vor allem und ganz offensichtlich eine Koalition der Willigen, sonst droht eine gefährliche Obstruktion, die die Salvinis und Orbans weiter für sich zu nutzen wissen.
Ihnen dürfen wir aber weder in der konkreten Politik noch in der Debatte das Feld überlassen.

Deshalb sind wir für eine rationale Debatte und eine rationale Politik auf Grundlage unserer gemeinsamen Werte auf Hier brauchen  wir Europa, seine starke Zivilgesellschaft und die europäische Öffentlichkeit: Denn während wir einerseits ein düsteres Bild obstruktiver Europa-Politik zeichnen müssen, ist andererseits eine europäische Zivilgesellschaft aktiv geworden, die eine private  Seenotrettung im Mittelmeer auf die Beine gebracht hat, die rechtliche Unterstützung für die Menschen auf Lesbos und anderen Inseln organisiert und die für sprachliche Integration, für Teilhabe an Bildung, Arbeit und Wohnraum in den europäischen Dörfern, Kommunen und Städten sorgt. Das ist das Europa, unser Europa, auf das wir stolz sein können.
An diese europäische Zivilgesellschaft, an diese Bewegung, an dieses Potenzial richtet sich unsere Konferenz heute:

Deshalb freuen wir uns sehr über die große Resonanz auf unsere Einladung an Sie, an die zivilgesellschaftlichen und kommunalen Akteurinnen und Akteure.

Unser gemeinsames Europa können und dürfen wir nicht allein den nationalen Regierungen überlassen. Ganz im Gegenteil - es gilt, uns zu vernetzen, den Austausch über unterschiedliche Ansätze in der Integrationspolitik zu intensivieren und in einem gemeinsamen Europa gemeinsame Strategien zu entwickeln. Teil dieser Strategie muss es sein, öffentlich vernehmbar den Druck auf die Nationalstaaten zu erhöhen, endlich gangbare Lösungen für eine geordnete und humanitäre Flüchtlings- und Migrationspolitik umzusetzen. Lokales und kommunales Engagement kann die Versäumnisse staatlicher und supranationaler Politik auf Dauer nicht ersetzen. Die Städte sind schon vernetzt, die zivilgesellschaftlichen und wohlfahrtsstaatliche Akteure sind es noch nicht hinreichend.

Deshalb schaffen wir mit dieser Konferenz etwas Neues: wir bringen zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure, Organisationen, Vereine und Verbände aus Deutschland und Frankreich zusammen, ermöglichen den Austausch mit Expertinnen und Experten und führen sie mit den Städten zusammen, die zeigen, dass und wie die Aufnahme von Flüchtlingen und deren Integration gelingen kann und welche Herausforderungen sich dabei stellen.

Asyl und Migration sind nicht die Themen, an denen Europa scheitern muss. Im Gegenteil, sie sind eine Herausforderung, die Europa gemeinsam meistern kann und auch gemeinsam meistern muss. Dafür hat Europa nicht nur materielle, sondern auch historische Ressourcen. Und erlauben Sie mir noch diese Bemerkung, weil auch einige Vertreter und Vertreterinnen christlicher Wohlfahrtsverbände hier anwesend sind: Diejenigen, die am lautesten vom christlichen Abendland schwadronieren, haben den Kern des Christlichen am wenigsten erfasst: Es gibt wenige Themen, die so eindeutig in der Bibel benannt sind wie die Verpflichtung zur Aufnahme von Fremden und zur Sorge um sie. Auch dieses Erbe gilt es, nicht den nationalistischen Kräften zu überlassen, sondern es sich als eine Ressource anzueignen, neben einigen weiteren, für eine produktive, zukunftsfähige, zuversichtliche Erzählung von einem Europa, das durch Migration entstanden ist und durch Migration weiter gedeihen wird.

Diese Konferenz hier und heute in Paris soll ein erster Auftakt sein, der die Zusammenarbeit von zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren vor allem zunächst aus Deutschland und Frankreich stärken und voranbringen soll –  schon jetzt in enger Abstimmung mit weiteren europäischen Akteurinnen, allen voran Italien.  Darauf aufbauend wollen wir als Heinrich-Böll-Stiftung gerne weitere solche Austausch- und Vernetzungsformate unterstützen – woraus perspektivisch auch ein permanentes Forum werden könnte.  

In diesem Sinne freue mich sehr auf eine enge Zusammenarbeit mit France Terre d’Asile in Frankreich, und insbesondere auch mit der Diakonie in Deutschland, deren Präsident Ulrich Lilie ja auch heute hier bei uns ist.
Ebenso freue ich mich nun sehr auf die Debatten und Einsichten, die uns in den nächsten zwei Tagen hier erwarten. Ihnen und uns allen wünsche ich eine erfolgreiche Konferenz.