Nach den Gelbwesten in Frankreich: ein Bürgerkonvent für das Klima

Analyse

Nach der Krise der Gelbwesten, hat sich die französiche Regierung dafür entschieden, mit einer in Frankreich bisher noch nicht dagewesenen Form der deliberativen Demokratie Antworten auf diese, sowie die Klimakrise, zu finden. Was steht mit diesem Bürgerkonvent für das Klima (Convention citoyenne pour le climat) auf dem Spiel?

"Wir haben heute eine SMS von 38948 erhalten, in der wir gefragt wurden, ob wir an dem Bürgerkonvent für das Klima teilnehmen möchten. Ist das eine offizielle Nachricht oder SPAM? " fragt ein Internetnutzer auf Twitter den Rat für Wirtschaft, Soziales und Umwelt (CESE). In den letzten Tagen hat der CESE, die dritte Kammer der Französischen Republik, fast 300.000 Telefonnummern, die per Los gezogen wurden, kontaktiert, um 150 Bürger/innen auszuwählen, die den Bürgerkonvent für das Klima (Convention citoyenne pour le climat) bilden werden -, was zu einigen überraschenden und manchmal auch skeptischen Reaktionen geführt hat. Ein solches Beispiel für eine direkte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern ist für die französische Demokratie bislang beispiellos.

Legitime Instanz oder Betrug?

Nach der Krise der Gelbwesten-Bewegung (Gilets jaunes) und bei einer anhaltend starken Vertrauenskrise gegenüber der Politik in Frankreich, wird die Initiative von manchen mit Skepsis gesehen. Sie kommt jedoch nicht direkt von der Regierung, sondern von einem Kollektiv, das im Januar 2019 gegründet wurde, der Gilets citoyens (Bürger-Westen), die in einem offenen Brief die Einrichtung einer per Los gezogenen Bürgerversammlung als eine Folge der Gelbwesten-Bewegung gefordert haben. Dieser Vorschlag wurde von der Regierung als ein Ergebnis der landesweit für drei Monate durchgeführten Nationalen Debatte (Le Grand Débat) angenommen.

Während die Nationale Debatte im Wesentlichen darauf abzielte, die angespannte Lage im Land etwas zu befrieden und einen Zeitraum des vermeintlichen "Gehörtwerdens" der Bevölkerung durch die Regierung und die politischen Mandatsträger zu inszenieren, soll der Bürgerkonvent nun eine Schlüsselrolle bei der  Festlegung konkreter Maßnahmen spielen, die sowohl sozial gerecht als auch klimawirksam sein sollen. 

Während der Kontext immer noch  zumindest etwas angespannt ist, waren die Französinnen und Franzosen noch nie so sehr um Umwelt- und Klimafragen besorgt (77%  sagen, dass  Klimafragen sie täglich betreffen [1]), und auch die Ergebnisse der Europawahlen zeigten eine starke  Bedeutung des Klima-Themas.  Allerdings erreicht die Regierung von Emmanuel Macron, von der UN als „Champion of the Earth“  auserkoren, die selbst gesteckten Klimaziele nicht (das zeigt etwa das Klima-Energie-Observatorium[2] in seinem jüngsten Bericht für das Jahr 2018 erneut). Um seine Ziele zu erreichen und die Legitimität der von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen zu untermauern, muss dieser Konvent daher in Bezug auf seine Befugnisse, seine Zusammensetzung, seine Funktionsweise und die Unterstützung seitens anderer Akteur/innen ausreichend ausgestattet sein.

Die irische Erfahrung

Die Initiative ist in ihrer Form nicht ganz neu, da mehrere Länder und Regionen bereits Bürgerversammlungen genutzt haben. Dieser Konvent orientiert sich in hohem Maße an den irischen Erfahrungen. Im Jahr 2012 diskutierten 66 durch Los ausgewählte Bürgerinnen und Bürger, repräsentativ entsprechend der irischen Bevölkerung ausgewählt, und 33 gewählte Vertreter aller Parteien über zehn Verfassungsfragen im Rahmen des so genannten Verfassungskonvents. Die Regierung war verpflichtet, auf alle Vorschläge des Konvents zu reagieren. Die Ergebnisse führten zu einem Referendum über die gleichgeschlechtliche Ehe, die zwei Jahre später von der irischen Bevölkerung angenommen wurde. Im Jahr 2016 wurde eine neue "Bürgerversammlung" eingerichtet, die diesmal ausschließlich aus per Los ermittelten Bürgerinnen und Bürgern bestand. 66% der Versammlung sprachen sich für die Legalisierung von Abtreibungen aus, und die Versammlung schlug der Regierung ein Referendum zu dieser Frage vor.  Im Jahr 2018 wurden Abtreibungen in Irland durch dieses Referendum mit 66% Ja-Stimmen legalisiert. Mehrere weitere Bürgerversammlungen sind im Gange oder für 2019 geplant.

150 Bürger/innen, sechs Wochenenden, eine Mission

Die 150 Bürger/innen, Mitglieder des Konvents, werden per Los bestimmt. Zu diesem Zweck werden 300.000 Telefonnummern (85 % Mobilfunk- und 15 % Festnetzanschluss) kontaktiert, um ein Panel von 150 Bürgerinnen und Bürgern zu ermitteln, die die französische Bevölkerung repräsentieren. Die Zusammensetzung des Konvents soll die französische Bevölkerung im Kleinformat widerspiegeln und eine Reihe von Kriterien erfüllen: 52% Frauen, 6 Altersgruppen, aus verschiedenen sozio-professionellen Kategorien, unterschiedlicher geografischer Herkunft, aus Städten, Vororten und aus dem ländlichen Raum. Dieses "Mini-Frankreich" wird zum ersten Mal am 4., 5. und 6. Oktober 2019 im Sitz des Rats für Wirtschaft, Soziales und Umwelt zusammenkommen und dann an fünf weiteren Wochenenden bis zum 26. Januar 2020 dort tagen. Um die Anwesenheit Aller zu gewährleisten, werden alle Reise-, Unterkunfts- und Betreuungskosten vom Staat übernommen. Das Gesamtbudget dafür beläuft sich auf 4 Mio. €.

An diesen sechs Wochenenden werden die Mitglieder des Konvents den ihnen vom Premierminister Edouard Philippe übertragenen Auftrag bearbeiten: "Strukturmaßnahmen vorzuschlagen, um im Geiste der sozialen Gerechtigkeit eine Verringerung der Treibhausgasemissionen um mindestens 40% gegenüber 1990 bis 2030 zu erreichen ". Der Wortlaut dieses Auftrags lässt der Bürgerversammlung auch die Möglichkeit, Maßnahmen vorzuschlagen, mit denen eine stärkere Reduzierung der Treibhausgasemissionen erreicht werden kann: NRO und Klimaexperten sind der Ansicht, dass das Reduktionsziel von 40% nicht ausreichend ist, um die Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen zu erfüllen.

In demselben Schreiben verspricht die Regierung, auf die vom Konvent erarbeiteten Vorschläge öffentlich Stellung zu nehmen und einen Zeitplan für ihre Umsetzung zu nennen. Präsident Macron verpflichtete sich, dafür zu sorgen, dass die Vorschläge des Konvents „ungefiltert entweder einem Referendum, einer Abstimmung im Parlament oder als Regierungsdekret vorgelegt werden. Die Frage der Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen ist entscheidend.  Die politische Wirkung dieses Konvents wird von der Qualität der Vorschläge wie auch von der Frage der Akzeptanz und Legitimität dieses Beteiligungsprozesses abhängen. Entscheidend dafür könnten die folgenden Faktoren sein:

Vier Voraussetzungen für den Erfolg

Loïc Blondiaux, Professor und Experte für Fragen der partizipativen Demokratie, nennt vier zentrale Faktoren für den Erfolg dieses Konvents[3].

Erstens die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit: Um erfolgreich zu sein, muss der Konvent eindeutig unabhängig und nicht durchlässig für den negativen Einfluss von Fake News, verfälschten Nachrichten oder bestimmten Interessengruppen sein. Die Regierung hat sich dafür entschieden, sich nicht direkt an den Debatten zu beteiligen und die vom Konvent festgelegten Leitlinien für seine Funktionsweise und den Inhalt der angesetzten Debatten zu respektieren. Der Begleitausschuss, der gemeinsam von Laurence Tubiana, der treibenden Kraft hinter dem Pariser Klimaabkommen, und Thierry Pech, dem Generaldirektor des Think-Tanks Terra Nova, geleitet wird, wird dem Konvent auch eine Bibliothek von Ressourcen und eine Liste von Expert/innen zur Verfügung stellen. Die Bürgerinnen und Bürger können auf diese Ressourcen zugreifen, um ihre Überlegungen voranzubringen und gemeinsame Vorschläge zu entwickeln. Um möglichen Missbrauch zu vermeiden, wird den Dokumenten, die diese Bibliothek enthält, und den darin enthaltenen Informationen eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Schließlich sind die Garanten - darunter Cyril Dion, Regisseur des Films Tomorrow - dafür verantwortlich, dass die Debatten reibungslos und ohne Störungen von außen verlaufen.

Zweitens muss die Arbeit des Konvents so organisiert sein, dass partizipativen Formen Vorrang eingeräumt wird, die es ermöglichen, durch die Diskussion von Vorschlägen und mehreren Stellungnahmen zu den verschiedenen behandelten Themen, anschließend eine gemeinsame Entscheidung zu fällen. Zu diesem Zweck wird die erste Sitzung der Einführung durch wissenschaftliche Experten in Klimafragen und den Zielen gewidmet sein, die bei der Formulierung von Vorschlägen im Einklang mit den Zielen des Pariser Abkommens zu berücksichtigen sind. Auf dieser gemeinsamen Grundlage können die Bürgerinnen und Bürger des Konvents dann in einem einheitlichen Rahmen diskutieren, der Austausch und die Möglichkeit bieten muss, zu einer gemeinsamen Meinungsbildung zu kommen.

Drittens würde der Konvent scheitern, wenn er sich darauf beschränken würde, hochtechnische Fragen zu diskutieren oder auf bereits diskutierte Maßnahmen einzugehen. Es geht also nicht darum, "die Höhe der Subvention für Heizungsanlagen mit hoher Energieeffizienz" zu definieren: Der Konvent soll politische Vorschläge unterbreiten, die auf Klimafragen eingehen und gleichzeitig die Frage der sozialen Gerechtigkeit behandeln.

Viertens, und nicht zuletzt, um seine Legitimität und die seiner Vorschläge transparent zu machen, müssen der Konvent und seine Arbeit einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Wie es Loïc Blondiaux aussagt, ist es wichtig, dieses "Mini-Frankreich mit Maxi-Frankreich" zu verbinden. Die Bekanntmachung der Arbeit und ihre Verbreitung über die Medien und soziale Netzwerke ist daher eine wesentliche Voraussetzung für ihren Erfolg. Diese Publizität birgt jedoch Risiken, die der Begleitausschuss aufmerksam verfolgen will: übermäßige Mediatisierung bestimmter Mitglieder des Konvents, Gefahr für ihre Sicherheit, Gefahr einer gezielten Lobbyarbeit durch bestimmte Organisationen. Diese Risiken sollen entsprechend auch vermindert werden. Umwelt-NRO‘s, aber auch alle zwischengeschalteten Stellen im weiteren Sinne, und die "organisierte Zivilgesellschaft", die im Wirtschafts-, Sozial und Umweltrat (CESE) repräsentiert sind, werden eine entscheidende Rolle dabei spielen, diesen Konvent zum Konvent der gesamten französischen Bevölkerung zu machen.

Mit einem möglichen Erfolg dieses Bürgerkonvents könnte auch eine weitere wichtige Frage vorangebracht werden: Wie können ein ambitionierter Klimaschutz sowie eine lebendige Demokratie mit mehr Beteiligungsmöglichkeiten gemeinsam vorangebracht werden?

Mit dem Beschluss, diesen Konvent mit der Festlegung immer wieder verschobener Maßnahmen zu betrauen, die es Frankreich ermöglichen könnten, seine Klimaziele zu erreichen, ohne das Ziel der sozialen Gerechtigkeit zu vernachlässigen, sind Macron und seine Regierung eine spannende Wette eingegangen:  dem Versuch einer direkten, demokratischen Beteiligung. Der Bürgerkonvent für das Klima steht vor einer Herausforderung: Kompromisse eingehen zu können und gleichzeitig mit der großen Vielfalt seiner Mitglieder umzugehen. Aber es ist in der Tat die gesamte französische Zivilgesellschaft, die diese Vorschläge aufgreifen und die diesen Konvent unterstützen muss, um tatsächlich ambitioniertere Maßnahmen für Klima und soziale Gerechtigkeit erreichen zu können. Mit einem möglichen Erfolg dieses Bürgerkonvents könnte auch eine weitere wichtige Frage vorangebracht werden: Wie können ein ambitionierter Klimaschutz sowie eine lebendige Demokratie mit mehr Beteiligungsmöglichkeiten gemeinsam vorangebracht werden?

 

[1] « Pour les Français, le climat est l’impératif présent », Libération, 20/09/2019 https://www.liberation.fr/france/2019/09/20/pour-les-francais-le-climat…

[2] Ergebnisse des « Observatoire Climat Énergie » (in Englisch), https://www.observatoire-climat-energie.fr/en/homepage/

[3] Loic Blondiaux, Konferenz der think-tank IDDRI am 17. September 2019, « Participation citoyenne et transition écologique : enjeux et défis en Allemagne et en France », https://www.iddri.org/fr/publications-et-evenements/conference/particip…