Die Verschwörungstheorien um den Hedgefonds-Milliardär und Philanthropen George Soros wurden von den Spindoctors des ungarischen Staatschefs Viktor Orbán zu rein politischen Zwecken verbreitet. Eine derartige Vorgehensweise ist nichts Außergewöhnliches, aber in Soros Geburtsland kamen die Verleumdungsbotschaften besonders gut an.
Von György Folk, Voxeurop
Milliardär jüdischer Herkunft, der liberale Interessen und demokratische Werte unterstützt – Elemente seines Lebenslaufs, die George Soros zum perfekten Sündenbock machen, dem man unzählige soziale und politische Probleme in der Welt unterschieben kann.
Aber wie kam es dazu, dass Soros zum Gegenstand von 500.000 negativen Tweets täglich wurde? Warum beschuldigt man ihn, die Antifa- und Black Lives Matter-Bewegungen zu finanzieren und mit Hillary Clinton und Bill Gates ein gemeinsames Ziel zu verfolgen: Aus Wählen Zombies zu machen, indem ihnen „Mikrochips eingeimpft werden“?
Zwischen der kommunistischen Ära und der aktuellen Politik ist vieles geschehen. Noch heute wird Soros in Ungarn „beschuldigt, mit seinem Soros-Plan gegen das Christentum zu kämpfen“. Obwohl die Verleumdungskampagne gegen ihn in den letzten beiden Jahren abgeebbt ist, taucht Soros wieder auf: in der jüngsten Ausgabe einer „Volksbefragung“ – ein Fragebogen für ungarische Bürger, der eine demokratische Anhörung der Öffentlichkeit vorgaukeln soll.
Die Wurzeln der Verschwörungstheorie um George Soros reichen weit in die Vergangenheit – noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs – zurück. Seine Geschichte des ungarischen Auswanderers, der sich in den USA ein Vermögen aufbaute, sein jüdischer Familienhintergrund und seine von Demokratie und Freiheit geprägte Weltanschauung machten ihn zum perfekten Ziel.
Soros wurde aufgrund seines jahrzehntelangen Engagements für gewaltfreie, demokratische Bewegungen und seines Einflusses auf den Niedergang des Kommunismus in der Sowjetunion und in Osteuropa stigmatisiert – schon lange, bevor Desinformation und Fake News weltweite Phänomene wurden.
Bereits vor 1989 irritierte Soros Moskau und dessen autoritäre Satellitenstaaten in Osteuropa, auf dem Balkan und in Zentralasien, indem er offen demokratische Bewegungen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Aufpassergruppen und politische Dissidenten unterstützte.
Eine wesentliche Ursache für den Hass auf Soros ist eine Schilderung, wie er reich wurde. Britische Staatsangehörige werden sofort erwähnen, dass er durch einen Leerverkauf von Britischen Pfund der Bank of England schadete. Am sogenannten Schwarzen Mittwoch (16. September 1992) eskalierten Spekulation und Marktmechanismen gleichzeitig und zwangen London, das Britische Pfund aus dem Europäischen Wechselkurssystem zu nehmen.
Letztendlich ging das Pfund Sterling allerdings gestärkt aus der Krise hervor, als sich die britische Volkswirtschaft erholte, nachdem die Inflation unter Kontrolle gebracht und die Zinsen gesenkt waren. Soros verdiente mit seinem Investmentfonds 1 Mrd. USD an der Entscheidung der britischen Regierung, was ihm seinen Ruf als erfolgreichster Währungsspekulant der Welt einbrachte. Vergessen wir nicht, dass Soros vor und nach dem Leerverkauf von Pfund Sterling mit seiner Soros Fund Management LLC ein äußerst erfolgreicher Fondsmanager war, der außerordentlich hohe Gewinne für die Anleger erwirtschaftete.
Nachdem sich Soros einen Ruf als aggressiver Investor gemacht hatte, wurde er als bedeutender Philanthrop bekannt. Durch seine großzügige Unterstützung liberaler Anliegen und von Nichtregierungsorganisationen, die sich für Demokratie einsetzen, zog er zunehmend die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich.
Das philanthropische Engagement von Soros begann 1979, als er in Südafrika seine erste Open Society Foundation gründete, um Studentengruppen im Kampf gegen die Apartheid zu helfen. Ab 1984 begann Soros in Ungarn und anderen Satellitenstaaten der Sowjetunion, demokratische Oppositionsbewegungen zu unterstützen, indem er Stipendien für Auslandsstudien an Dissidenten vergab. Von einem solchen Stipendium profitierte auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, der 1989 ein Stipendium für das Studium der Politikwissenschaft am britischen Pembroke College in Oxford erhielt und später zu einem der wichtigsten Widersacher Soros wurde.
Soros finanzierte nicht nur demokratische Bewegungen von China bis Südamerika, sondern gründete auch die Central European University, die kürzlich im Namen der „Bekämpfung des Liberalismus“ aus Budapest verbannt wurde. In weiteren Initiativen unterstützte er unter anderem frühkindliche Erziehung, Roma-Minderheiten, Frauen- und LGBT+-Rechtsgruppen, Drogenpolitik auf der Basis der Schadensreduzierung und die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die Finanzierung dieser Anliegen durch Beträge in Höhe von mehreren Milliarden US-Dollar machte George Soros zum offensichtlichen Ziel für verschiedene autoritäre Regierungen und Machthaber.
„Staatsfeind Nr. 1“
Obwohl seit Anfang der 1990er Jahre Verschwörungstheorien über Soros im Umlauf sind, sind sich Desinformationsexperten einig, dass das „heutige Image George Soros“ auf Arthur Finkelstein und George Birnbaum, politische Berater des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, zurückgeht. Das Duo, das schon seit 2008 für Viktor Orbán und dessen Regierung arbeitet, riet Orbán zu einer Verleumdungskampagne gegen Soros, in der dieser als der „Drahtzieher“ dargestellt werden sollte, der den Feinden Ungarns – vor allem „an Bedeutung gewinnenden islamischen und säkularen Kräften“ – hilft.
Birnbaum selbst gab in einem Interview im Schweizer Das Magazin zu, dass sie in Soros den „perfekten Feind“ sahen. Orbáns Fidesz-Regierung setzte die Strategie in die Praxis um, indem sie Soros in einem Artikel einer regierungsfreundlichen Zeitung bezichtigte, er hätte ungarischen Anti- Orbán-Gruppen seit der (offiziellen) Schließung seiner NGO im Jahr 2008 mehr als eine halbe Milliarde US-Dollar zukommen lassen.
Die staatlich finanzierte Kampagne der ungarischen Regierung gegen den sogenannten „Soros-Plan“ eskalierte in Drangsalierung durch Polizei und Justizsystem. Es kam zu Verleumdungsaktionen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen, die von Soros finanziell unterstützt wurden. Orbán sprach sogar von „internationalem Kapital“ und machte antisemitische Anspielungen. Später beschuldigte man Soros, er wolle versuchen, „die EU mit illegalen Einwanderern zu überfluten“.
2017 waren überall in Ungarn Plakate mit einem lächelnden Soros und dem Slogan: „Lassen wir nicht zu, dass Soros zuletzt lacht” zu sehen. Einem häufig zitierten Artikel zufolge („The Unbelievable Story Of The Plot Against George Soros“) erreichte die Kampagne von Finkelstein und Birnbaum bei der überwiegenden Mehrheit der ungarischen Bevölkerung ihr Ziel und half Orban sowohl 2014 als auch 2018, die Parlamentswahlen zu gewinnen. Der große Erfolg der Verleumdung steigerte die Dämonisierung von Soros weltweit – unter anderem in Russland, Polen, den USA und Italien.
Rückblickend scheint der Schlüssel für den Erfolg der Strategie von Finkelstein und Birnbaum darin zu liegen, dass sie auf einer Geschichte basierte und nicht problembezogen war. Die Kampagne konnte sich so zu jedem beliebigen Thema immer auf dieselbe Erzählung stützen – ein sorgfältig konstruiertes Märchen, dessen Grundlage und Vokabular von sozialen Fragen und der Meinung der Öffentlichkeit zu diesen abgeleitet waren. Orban konnte daher – je nach seinen politischen Bedürfnissen und Interessen – im Zusammenhang mit nahezu jedem beliebigen Thema den „Soros-Plan“ einbringen.
Das Image Soros als Ungeheuer wurde mit Hilfe von Websites wie Breitbart und Infowars, die ihn als „Globalisten“ etikettierten, verbreitet. Die republikanische US-Politikerin Marjorie Taylor Greene bezeichnete George Soros wiederholt als „Volksfeind“, während Trump-Anwalt Rudy Guiliani einmal der Presse mitteilte, Soros „beabsichtigt, aus einem kranken Grund, der auf seinen kranken Hintergrund zurückzuführen ist, die Regierung zu zerstören.“ Dieser Angriff auf Soros führte gemeinsam mit unzähligen anderen – oft antisemitischen – Attacken zu den unglaublichsten falschen Anschuldigungen.
Unter anderem warf man ihm vor, Demonstranten zu bezahlen oder deren Beförderung in großen Gruppen zu finanzieren und in der Nähe von Demonstrationen stapelweise Backsteine verstecken zu lassen. 2018 beschuldigte ein rumänischer TV-Sender Soros, Hunde zu bezahlen, die zu Demonstrationen gegen die Regierung mitgebracht werden. Ein Gerücht aus der jüngeren Zeit unterstellt ihm, Covid-19-Impfkampagnen zu finanzieren, bei denen Menschen Mikrochips eingeimpft werden, über die er sie später manipulieren kann.Laut Matthew Lyons, Forscher mit Schwerpunkt populistische und rechtsextreme Ideologie, stehen die am weitesten verbreiteten Anschuldigungen und Geschichten um Soros im Einklang mit einer langen Tradition antisemitischer Mythen und Stereotypen.
Gegenüber The Guardian erklärte Lyons: „Seit mindestens tausend Jahren zählt zu den zentralen Themen im Zusammenhang mit Antisemitismus die Idee, dass Juden eine böse, extrem einflussreiche Gruppe bilden, die hinter den Kulissen agiert.” Wer Soros als „Globalisten“ qualifiziert, spricht über ihn, wie man schon früher in Europa über Juden sprach – in diesem Fall sind das zynischerweise zwei israelische Spindoctors.
Übersetzung von: Angela Neumann