Das politische Italien ist nach rechts gewandert. Die Tatsache zeigte sich bereits im Ergebnis der Parlamentswahlen Ende September letzten Jahres und hat sich in den Regionalwahlen im Latium und der Lombardei am 12./13. Februar bestätigt und noch offenkundiger gemacht.
Die Regionalwahlen im Latium und der Lombardei – der Sieg der Stummen
Der Begriff „rechts“, kurzum rechts und nicht „Mitte-rechts“, vor nicht langer Zeit noch fast ein Unwort, ist nicht nur voll rehabilitiert, sondern wird von den Rechten selbst mit Stolz und Überzeugung zur Bestimmung der eigenen Position verwandt. Nach und nach geht auch die Sprache der Medien dazu über, von „rechts“ und „links“ zu reden und auf das abschwächende Feigenblatt „Mitte-rechts“ und „Mitte-links“ zu verzichten, wobei es auch kleinere Parteien gibt, die sich selbst „Mitte“ oder „Ditter Pol“ nennen.
Der gewaltige Erfolg der Rechtsparteien in den jüngsten Regionalwahlen, vor allem der rechtesten unter ihnen, der „Fratelli d´Italia“ (Brüder Italiens) unter der Regierungschefin Giorgia Meloni, kam nicht unerwartet, überstieg aber noch die Voraussagen und Meinungsumfragen.
Das Ergebnis ist allerdings unter dem Vorbehalt der äußerst geringen Wahlbeteiligung zu sehen. Rund 60% der rund 13 Millionen Stimmberechtigten hat sich nicht an den Wahlen beteiligt. Damit ist der seit Jahren zu beobachtende Trend zur fortschreitenden Wahlenthaltung auf ein bislang nicht dagewesenes Höchstniveau gewachsen. Betroffen sind nicht nur die als weniger wichtig und interessant angesehenen Kommunal-und Regionalwahlen, sondern auch diejenigen auf nationaler Ebene. So hatten schon die Parlamentswahlen im letzten September mit 63% der abgegebenen Stimmen die geringste Beteiligung in der italienischen Nachkriegsgeschichte markiert. Natürlich wird in allen Medien, von rechts bis links, erneut über die Gründe der ansteigenden „Politikverdrossenheit“ diskutiert und immer dieselben Rezepte werden vorgeschlagen, wie man diesem Trend gegensteuern könne. Aber wie zuvor, ist diese Diskussion nach wenigen Tagen erschöpft und es wird zur Tagesordnung übergegangen – bis zum nächsten Wahldebakel.
Schadet die Wahlenthaltung eher der Linken oder ist ihre Wirkung transversal, mehr oder weniger gleichwertig auf alle Parteien verteilt? Emblematisch für die Antwort darauf ist die Situation in der Stadt Rom, Hauptstadt nicht nur der Republik, sondern auch von Latium, nach der Lombardei die zweitgrößte und zweitwirtschaftsstarke Region. Hier hatten bei den bei Kommunalwahlen im Oktober 2021 noch 60% der Römer*innen ihre Stimme für den Oberbürgermeister Roberto Gualtieri, Partito Democratico (PD), abgegeben, bei einer Wahlbeteiligung von 48%, schon erheblich weniger als in den vorherigen Kommunalwahlen 2016 (57%) und in den Regionalwahlen 2018 (63%). Die jetzigen Regionalwahlen haben in Rom nur eine Beteiligung von 33% gesehen, deutlich weniger als im Latium insgesamt (37%), und das Ergebnis war sowohl für die PD wie für die 5-Sterne-Bewegung katastrophal. Die Partei des OB hat in allen 16 Stadtbezirken die Mehrheit an die Fratelli d´Italia verloren, selbst in den seit immer von der Linken regierten Bezirken der Innenstadt.
Rund 60% der rund 13 Millionen Stimmberechtigten hat sich nicht an den Wahlen beteiligt. Damit ist der seit Jahren zu beobachtende Trend zur fortschreitenden Wahlenthaltung auf ein bislang nicht dagewesenes Höchstniveau gewachsen.
Das Schattendasein Gualtieris im römischen Kapitol, dem Sitz der Stadtregierung, hat sicherlich viele vormalige PD-Wähler*innen enttàuscht. Es erscheint zumindest für die Stadt Rom eindeutig, dass die Wahlenthaltung in erster Linie der PD, aber auch der 5-Sterne-Bewegung, die heute eher grosso modo dem progressiven Flügel zuzurechnen ist, geschadet hat.
Anders ist die Lage in Mailand, der wohl weltoffensten und liberalsten Stadt Italiens. Hier war die Wahlbeteiligung mit 42% höher als in Rom, wenn auch 30% geringer als in vorherigen Regionalwahlen in der Lombardei in 2018. In Mailand hat sich jetzt die PD mit 25% der Stimmen als stärkste Partei bestätigt, gefolgt von Fratelli d´Italia (24%). Auch die „Allianz Verdi (Grüne) und Sinistra“ (Linke) hat mit 4,6% deutlich besser abgeschnitten als anderswo. Die Zahlen für Mailand stehen in schroffem Gegensatz zu der „Peripherie“, d.h. der Region insgesamt. Hier wurde der von der Koalition der Rechtsparteien aufgestellte Regionalpräsident Attilio Fontana (Lega) mit fast 55% im Amt bestätigt.
Traditionell hat es in der Lombardei stets eine deutliche Schere gegeben zwischen rechter Regionalregierung, vormals mit der Lega als stärkste Partei, und der von den progressiven Kräften beherrschten Stadtregierung in Mailand. Der in vielen westlichen Demokratien seit langem bestehende Unterschied in der Wählerorientierung zwischen Metropolen und ihren Stadtzentren einerseits, und dem „Hinterland“ andererseits ist in der Lombardei erneut akzentuiert.
Das Wahlergebnis in der Lombardei ist gleichwohl erstaunlich. Da trat ein Mann als Sieger hervor, der im Jahr 2020 die politische Verantwortung für die außerordentlich große Zahl von Covid-19- Opfern in der Region hatte. Die Bilder aus den Krankenhäusern, Altersheimen, Friedhöfen gingen damals um die Welt. Bergamo, in der Nähe von Mailand gelegen, wurde zum Symbol. Seit langer Zeit hatte die für das Gesundheitswesen zuständige traditionell rechte Regionalregierung, in den letzten 10 Jahren unter der Lega, die Privatisierung der Krankenversorgung betrieben, auf Kosten der öffentlichen Einrichtungen. Die Lega hat später eine unterschwellige „No-Vax“ Politik verfolgt. Im jüngsten Wahlkampf, weniger als 3 Jahre später, unterstrich die Rechts-Presse, Fontana habe aber doch als erster eine Schutzmaske getragen, als es noch gar nicht Pflicht war…
Gleichwohl hatte sich die Koalition aus Fratelli d´Italia, Lega und Berlusconis Forza Italia auf Fontana als Kandidaten für den Lombardei-Präsidenten geeinigt, obschon der die jetzige Minderheitspartei Lega vertritt, die mit 16,5% der Stimmen weit hinter Fratelli d´Italia liegt und gegenüber 2018 mehr als die Hälfte der Stimmen verloren hat.
Im Latium hat nun, nach 10 Jahren Regionalregierung der PD, in Koalition mit der 5-Sterne-Bewegung, die Rechtskoalition und ihr Kandidat Francesco Rocca mit Abstand die meisten Stimmen bekommen (54%), bei einer Wahlbeteiligung von nur 37%. An diesem Ergebnis hätte auch ein Zusammengehen aller Mitte-Links-Parteien nichts geändert. Die PD erreichte immerhin den Platz als zweitstärkste Partei, mit weitem Abstand zu der 5-Sterne-Bewegung.