Brücken in die Festung – Legale Zugänge in die EU

UE et Barbelés
  1. Geschlossene Grenzen, offene Gräben

In den frühen 90iger Jahren des letzten Jahrhunderts kam der Begriff „Festung Europa“bin Umlauf, um die restriktive Asyl- und Einwanderungspolitik der EU-Mitgliedsstaaten zu bezeichnen. In einem engeren Sinne sollte das Bild der Festung das Zusammenwirken von gemeinsamer restriktiver EU-Visapolitik, verschärften Grenzkontrollen und Sanktionen gegen Beförderungsunternehmen, die die Einreisepapiere nicht ausreichend kontrollieren, widerspiegeln. Heute benötigen die Bewohner*innen aus 102 Ländern ein Einreisevisum für die EU, darunter ganz Afrika, die Länder des Nahen Ostens mit der einzigen Ausnahme Israels, zudem Zentralasien sowie viele ostasiatische und lateinamerikanische Länder. In der Liste der verschiedenen Gründe für die Ausstellung eines Visums sind „Asyl“ oder „internationaler Rechtsschutz“ nicht enthalten. Im Gegenteil, die Konsulate der EU-Staaten sind angewiesen, jeden Visumsantrag daraufhin zu überprüfen, ob die „Gefahr“ eines Asylantrags an der Grenze oder nach der Einreise besteht, und ob sich hinter dem Motiv „Familienbesuch“ nicht die Absicht einer Arbeitsaufnahme in einem EU-Land verbirgt.

„Festung Europa“ war vor 30 Jahren noch ein allegorischer Begriff und es erschien undenkbar, dass er sich in wirklichen Mauern, Zäunen und Gräben manifestieren würde. Heute sind über 2000 Kilometer der Außengrenzen durch solche Einrichtungen „geschützt“, etwa 15 % der gesamten Länge der Landgrenzen. 2014 waren es nur 315 Kilometer[1]

Und heute haben die EU und einige Mitgliedsstaaten mit praktisch allen Mittelmeer-Anrainerländern in Nordafrika und dem Nahen Osten Abkommen geschlossen und viele Milliarden Euros investiert, um irreguläre Abfahrten aus diesen Ländern zu bekämpfen[2]

Die Festung ist errichtet und wird weiter ausgebaut werden. Es erscheint nicht realistisch, diese Entwicklung zurückschrauben oder eindämmen zu können. Aber zu jeder Festung gibt es Brücken, um hineinzugelangen. Es stellt sich die Frage, wohl eine der dringendsten Fragen der EU-Migrationspolitik, wie diese Brücken aussehen, wie sie funktionieren und wer über sie legal und geschützt in europäische Länder einreisen kann. 

  1. Visafreie Einreise in die EU – die Modelle Ukraine und Venezuela

Staaten sind mit dem Dilemma konfrontiert, auf der einen Seite die Einreise in ihr Gebiet wegen ökonomischer und politischer Vorteile zu erleichtern, auf der anderen Seite die Mobilität aus Gründen von Sicherheit und Bevölkerungspolitik einzuschränken und die Kontrollen zu verschärfen. Infolgedessen werden die Bewohner bestimmter Länder bevorteilt und deren Einreise zur Arbeitsaufnahme sogar aktiv befördert, wie in der „Gastarbeiter“-Politik der 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, oder gegenwärtig im Hinblick auf hochqualifizierte Arbeitnehmer*innen. Gleichzeitig wird die Einreise aus anderen, vor allem ärmeren Ländern, oder von „unerwünschten“ Migranten- und Flüchtlingsgruppen unterbunden oder erschwert. Eric Neumayer hat in einer, nicht auf die EU beschränkten Studie nachgewiesen, dass je ärmer, undemokratischer und je mehr von aktuellen oder potenziellen militärischen Konflikten ausgesetzt die Länder sind, desto eher sind sie von restriktiven Visaregelungen betroffen. Andererseits, je mehr Handels- und Finanzbeziehungen zu einem Land bestehen, je mehr kulturelle Gemeinsamkeiten existieren oder Touristenströme zu erwarten sind, desto offener ist ihnen gegenüber die Einreisepolitik[3].

Von dieser Regel bestehen aber Ausnahmen, wie z.B. im Fall von Venezuela, seit 2016 vom Visazwang befreit, oder der Ukraine, seit 2017, die beide in den letzten Jahren zu den wichtigsten Herkunftsländern von Geflüchteten in der EU zählen.    

Geflüchtete aus den genannten, von der Visapflicht befreiten Ländern können innerhalb von 90 Tagen nach der Einreise in das Schengen-Gebiet das Land, in dem sie einen Rechtsschutzantrag stellen wollen, selbst wählen. Da sie legal eingereist sind, finden die Dublin-Regelungen über die Zuständigkeit des Ersteinreiselandes keine Anwendung. Daniel Thym spricht von der überraschenden de facto Wiedereinführung des „free choice Modells“ für Asylbewerber[4]. Obgleich die Zahlen der in die EU-Länder Geflüchteten aus der Ukraine, 4,4 Millionen, weit höher liegen als diejenigen während der „Flüchtlingskrise“ von 2015,  als insgesamt 1,3 Millionen Asylanträge in der EU gestellt wurden, hat sich die öffentliche und politische Meinung nicht in vergleichbarer Weise erregt. 

Eine Ausweitung der Zahl der Länder, aus denen eine visafreie Einreise in die EU möglich ist, könnte einen wesentlichen Beitrag zur Entspannung der gegenwärtigen Asyl- und Migrationssituation darstellen. Eine solche Maßnahme würde 

  • die Zahl der Opfer im Mittelmeer und auf anderen Migrationsrouten senken
  • das Dublin-System weitgehend überflüssig machen
  • den Menschen-Schmugglern zumindest einen Teil des „Marktes“ wegnehmen
  • die Debatte über irreguläre Einreisen entschärfen
  • dem Legalitätsprinzip in der Migrationspolitik neue Bedeutung verschaffen. 

Der Befürchtung eines „Massenzustroms“ von Asylbewerbern und Migranten infolge visafreier Einreise sind empirische Erkenntnisse entgegenzuhalten. Die global bei weitem größte Zahl der Geflüchteten, laut UNHCR 67%[5], verbleibt in der Nachbarregion des Herkunftslandes und hat weder Interesse noch Möglichkeit zur Weiterwanderung. Aufschlussreich ist der Fall der Venezolaner: 6 Millionen sind in den letzten Jahren in die Nachbarländer Kolumbien, Peru, Brasilien und Ecuador geflüchtet. Trotz Visafreiheit ist die Zahl der Venezolaner, die in der EU Schutz gesucht haben, demgegenüber relativ gering: 73.000 oder 8% aller Asylbewerber in 2024, wenn auch mit relativem Anstieg in den ersten Monaten 2025[6]. Außerdem ist die überwiegende Mehrzahl von ihnen in Spanien geblieben, das Land in Europa, zu dem die größte kulturelle und linguistische Affinität besteht, also ohne von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, legal in andere EU-Länder weiterzureisen. Es ist auch daran zu erinnern, dass die aus Syrien Geflüchteten nach Ausbruch des Bürgerkriegs in 2011 für mehrere Jahre ganz überwiegend in den Anrainerländern Türkei, Libanon und Jordanien verblieben und erst nach der drastischen Kürzung internationaler humanitärer Hilfe in diesen Ländern in größerer Zahl nach Westeuropa gekommen sind. Es wäre an der Zeit für die EU, eine eingehende Abwägung vorzunehmen, in Bezug auf eine schrittweise Aufhebung des Visazwangs.   

  1. Resettlement – nur ein neuer Rahmen für ein altes Bild?

 Resettlement ist, nach der Definition des UNHCR, der freiwillige, sichere und regulierte Transfer schutzbedürftiger Flüchtlinge von ihrem Erstaufnahmeland in ein Drittland, das sie als Flüchtlinge aufnimmt und ihnen dauerhaften Aufenthalt gewährt. Resettlement ist eine langfristige Lösung, die vor allem für die schutzbedürftigsten Flüchtlinge gedacht ist, deren Leben, Freiheit, Sicherheit oder Grundrechte im Aufnahmeland gefährdet sind. Resettlement ist schon in den Statuten des UNHCR von 1950 als die dritte Möglichkeit für die dauerhafte Lösung des Problems der Flüchtlinge, wenn die anderen beiden Optionen, nämlich freiwillige Rückkehr ins Herkunftsland und Integration in dem Asylland, nicht anwendbar sind. Traditionell waren die USA, Kanada und Australien die wesentlichen Aufnahmeländer und in Europa, mit erheblich geringeren Zahlen, nur die skandinavischen Länder. In der EU bewegten sich die Resettlement-Plätze bis 2015 auf einem Niveau von weniger als 5000 im Jahr. Danach, infolge der “Flüchtlingskrise” und dem EU-Abkommen mit der Türkei von 2016, stiegen die Zahlen konstant bis 27.000 in 2019, um dann zurückzufallen auf etwa 14.000 pro Jahr in 2023 und 2025, wobei zwei Länder, Deutschland und Frankreich, einen Anteil von 60% hatten. Als einer der ersten Maßnahmen der neuen US-Regierung wurde das US-Resettlement-Programm, unter der Biden-Regierung erheblich angehoben, radikal gekürzt. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge Filippo Grandi befürchtet, dass die globalen Resettlement-Plätze, in 2024 auf einem Höchststand von fast 190.000, in 2025 den größten Rückgang der letzten 20 Jahre erleben werden, bei einem geschätzten Gesamtbedarf von 2,5 Millionen. 

Die EU hat im Mai 2024, als Teil des Gesetzgebungspakets des “Neuen Pakts” über Asyl- und Migrationspolitik, eine Rahmenrichtlinie für Resettlement und humanitäre Aufnahme von Flüchtlingen erlassen[7]. Die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen hat in der Debatte um den neuen Pakt wiederholt die Wichtigkeit “komplementärer Zugangswege” für Geflüchtete und Migranten in die EU unterstrichen.  Für die EU sollen Resettlement und humanitäre Aufnahme in erster Linie dazu dienen, legale Einreisemöglichkeiten zu schaffen.

Laut der Rahmenrichtlinie ist Resettlement eine freiwillige Maßnahme der Mitgliedsstaaten. Zwar sollen in einem zweijährigen Programm quantitative Richtwerte festgesetzt werden, aber kein Staat hat eine rechtliche Verpflichtung, an dem Programm teilzunehmen. Immerhin garantiert die EU finanzielle Anreize: für jeden freiwillig aufgenommenen Geflüchteten erhalten die Staaten einen Beitrag von 10.000 Euro pro Person. Die, in der Regel vom UNHCR oder in Zusammenarbeit mit ihm für das Programm ausgewählten, Flüchtlinge reisen legal in das EU-Land ein, das Plätze zur Verfügung gestellt hat und erhalten „automatisch“ einen dauerhaften Aufenthaltstitel, ohne ein erneutes Asylverfahren durchlaufen zu müssen, und sind zu einer Familienzusammenführung berechtigt. Bei der in den Erstaufnahmeländern durchgeführten Auswahl sollen vor allem besonders schutzbedürftige Personen berücksichtigt werden, ohne das Kriterium der späteren Integrationschancen in Betracht zu ziehen.

Resettlement ist ohne Zweifel ein wichtiger Mechanismus für die geschützte Einreise und Aufnahme von Flüchtlingen, der in den letzten 10 Jahren in der EU einen bemerkenswerten Aufschwung erlebt und jetzt einen rechtlichen Rahmen erhalten hat. Solange das Volumen sich aber auf einer Stufenleiter von etwa 2-3% aller spontan einreisenden Asylbewerber bewegt, ist diese „Brücke“ zu eng, um wirklich eine Alternative zur irregulären Ankunft darzustellen.

Humanitäre Aufnahme – die Zivilgesellschaft als Vorläufer

2016 haben nichtstaatliche, überwiegend den katholischen und evangelischen Kirchen verbundene, Einrichtungen in Italien einen „humanitären Korridor“ entwickelt, um einigen Kontingenten von Geflüchteten eine legale Einreise aus Erstaufnahmeländern im Nahen Osten und in Afrika zu ermöglichen. Unter der Zusage, dass die Kosten der Reise, der Aufnahme und der Integration ausschließlich privat finanziert werden, sind mit dem Außen- und dem Innenministerium Abkommen über Sicherheitsüberprüfung und Visa-Ausstellungen bei den entsprechenden italienischen Konsulaten geschlossen worden. Der Schengener Visakodex erlaubt, „in außerordentlichen Fällen“ die Vergabe von humanitären Visa, die nur für das ausstellende Land Gültigkeit haben, also im Unterschied zu den regulären Schengen-Visa keine Weiterreise in andere EU-Länder gestatten. 

Das Modell, das eine positive Resonanz in den Medien und in der öffentlichen Meinung gefunden hat, wurde auch in Frankreich und in Belgien erprobt. Insgesamt sind 8.400 Geflüchtete aufgenommen worden, die Mehrzahl in Italien. In 2025 wurden auch Geflüchtete aus Afghanistan sowie Palästinenser aus Gaza in Italien aufgenommen. Die „humanitären Korridore“ markieren einen Weg der Zusammenarbeit öffentlicher und privater Einrichtungen in der Flüchtlingsaufnahme, die es verdiente, erheblich ausgeweitet zu werden, sowohl bezüglich der Anzahl der beteiligten EU-Länder als auch der Zahl der bereitgestellten Plätze.

  1. Community sponsorship, aus Kanada importiert      

Der Gedanke ist einfach: der Staat legt bestimmte Quoten für das Resettlement oder die humanitäre Aufnahme fest, genehmigt aber darüber hinaus die Einreise von Geflüchteten, die von der Zivilgesellschaft gesponsert werden. Es können communities im weiteren Sinne sein, Nachbarschaftskollektive, religiöse Gemeinden sowie, in einigen Fällen, auch ansässige Familienangehörige, die aus Solidarität und humanitären Gründen für eine festgelegte Zeit die Kosten der Aufnahme übernehmen und die Geflüchteten auf dem Weg der Integration begleiten und unterstützen. Die humanitären Korridore stellen eine Form von community sponsorships dar. Nicht nur in Kanada, wo das Modell vor vielen Jahren entstand und erprobt wurde, sondern später auch in Australien, Neuseeland und einigen Ländern Südamerikas sind in den letzten Jahren verschiedene Ausgestaltungen von community sponsorships entwickelt worden[8]. Darüber soll nicht nur einer bestimmten Zahl von Geflüchteten die Möglichkeit regulärer Einreise eingeräumt werden, sondern in einem strategischen Sinn sollen die Staaten angeregt werden, sich ihrerseits stärker für die legalen Einreisewege zu engagieren. 

  1. Asylanträge bei Botschaften

Schon vor 20 Jahren hatte die EU-Kommission eine umfangreiche Studie zur Machbarkeit von Botschaftsverfahren unter dem Namen Protected Entry Procedures (PEP) in Auftrag gegeben. Der von Gregor Noll vorgelegte Text[9] hat zwar Eingang in die politische Debatte, vor allem auch im Europäischen Parlament, gefunden, ist aber in keiner späteren Mitteilung und schon gar nicht in den 5-Jahres- Programmen der EU-Kommission erwähnt worden. Mit dem PEP soll Geflüchteten die Möglichkeit einer Asylantragstellung bei einer diplomatischen Vertretung des angestrebten Asyllandes gegeben werden. Nach einer Anhörung des Betroffenen, die heute online durchgeführt werden können durch die nationale Asylbehörde und summarischer Vorprüfung des Antrags soll dann, bei positivem Ergebnis, ein Einreisevisum ausgestellt worden, um das eigentliche Asylverfahren in dem vom Asylbewerber bestimmten Land durchzuführen. Im Fall einer Ablehnung soll eine Berufung an das zuständige Gericht vorgesehen werden. In einigen Staaten wie der Schweiz und Spanien ist das Botschaftsverfahren erprobt, dann aber eingestellt worden, vor allem mit der Begründung, dass ein solche Modell europaweit und nicht nur von einzelnen Staaten getragen werden müsse. Immerhin hat ein Gericht in Rom im August 2025 die italienische Botschaft in Tel Aviv angewiesen, für eine Familie aus Gaza ein humanitäres Visum auszustellen[10]. Die Debatte um die Botschaftsverfahren, bei denen es anders als beim Resettlement und humanitärer Aufnahme keine festen Quoten gibt, sollte neu belebt werden und in die EU-Strategie Eingang finden.  

  1. Erweiterte Familienzusammenführung 

Es ist aus einer Reihe von Untersuchungen bekannt, dass viele Geflüchtete und Migranten irregulär einreisen, um bei Angehörigen in der EU zu leben, also in erster Linie nicht aus Schutz- oder Arbeitsgründen. Die EU-Richtlinie zur Familienzusammenführung geht von einem engen, die Realität in vielen Herkunftsländern nicht widerspiegelnden Familienbegriff aus: bis auf wenige Ausnahmen sind nur Ehegatten und unverheiratete minderjährige Kinder eingeschlossen. Zudem sind die Verfahren langwierig und die erforderlichen Papiere, vor allem bei Geflüchteten, häufig nicht verfügbar. Wer z.B. einen Bruder oder eine Schwester hat, der/die seit langem in einem EU-Land ansässig ist, hat keine Chance für eine legale Einreise. Ein Weg, die Zahl der irregulären Einreisen zu verringern, wäre eine deutliche Ausweitung des Familienbegriffs, eine Vereinfachung der Verfahren und ausreichend Personal zur schnellen Überprüfung der sozio-ökonomischen Lage des Antragstellers in dem EU-Land, um sicherzustellen, dass Angehörige nach der Einreise nicht auf soziale Hilfe angewiesen sind. Hier gibt es einen Zusammenhang mit dem sponsorship-Modell: es wären nicht communities, die die Kosten übernehmen, sondern die ansässige Familie. 

Nicht nur „Gastarbeiter“ – die Notwendigkeit einer neuen Einwanderungspolitik 

Das komplexe Thema der Zuwanderung aus ökonomischen Gründen soll hier nur kurz angeschnitten werden. Es darf als gesichert gelten, dass die Formel: je restriktiver die Einwanderungspolitik ist, desto mehr Menschen werden versuchen, sich über den Asylantrag einen Aufenthaltstitel zu verschaffen, heute mehr denn je Gültigkeit hat. Angesichts des europaweit beklagten Mangels an Arbeitskräften sind die Chancen, auch nach irregulärer Einwanderung oder nach Überschreiten der Visumsdauer eine Beschäftigung zu finden, besonders groß. Bei anhaltendem Geburtenrückgang und Überalterung der Gesellschaft wird diese Tendenz, unabhängig von der Konjunktur, vermutlich andauern. Die Beschränkung legaler Einreise auf nur hochqualifizierte Arbeitnehmer erscheint nicht der Realität der Arbeitsmärkte zu entsprechen. Ein, leider nur für wenige Jahre, zu Beginn des Jahrhunderts in Italien probiertes Modell der Ausstellung von Visa zum Zweck der, zeitlich begrenzten, Suche einer Beschäftigung sollte erneut in die Diskussion gebracht werden. Zumal in dem wachsenden Bereich der Personenfürsorge ist der persönliche Kontakt zwischen Arbeitgeber und-nehmer erforderlich, also die Anwesenheit des Migranten. Auch hier könnte eine zeitlich befristete Sponsorisierung, z.B. auch Seiten von Arbeitgeberverbänden oder Gewerkschaften, das Risiko für die Sozialhaushalte mindern. 

  1. Legale Einreise – alle profitieren davon       

Mit Ausnahme der Visabefreiung für die Bevölkerung bestimmter Länder, haben alle hier vorgestellten „Brücken“ für die Staaten den Vorteil

■ dass Geflüchtete und Migranten vor der Einreise auf mögliche Sicherheits- und Gesundheitsrisiken überprüft werden können;

■ dass deren persönliche Daten vor der Einreise den zuständigen Behörden des Aufnahmelandes bekannt sind; 

■ dass schon vor der Einreise der zuständige Mitgliedsstaat festgelegt ist;

■ dass Asylverfahren an den Außengrenzen und der, nach der neuen Asylverfahrensverordnung, damit verbundenen Freiheitsberaubung, überflüssig sind;

■ dass das Volumen der Zuwanderung aus Gründen von Asylsuche, Beschäftigung oder Familienzusammenführung vor der Einreise bekannt und damit planbar ist; 

■ dass die Aufnahme von Geflüchteten zeitlich und quantitativ vorbereitet werden kann.

Die mit dem „Neuen Pakt“ angestrebte Verbesserung von Asyl- und Migrationsmanagement[11] kann nur erreicht werden, wenn die Wege legaler Einreise in der Weise verbreitert werden, dass sie insgesamt eine realistische Alternative zu irregulärer Zuwanderung darstellen. 


[1] Europäisches Parlament, Briefing, Walls and Fences at EU-Borders, EPRS Bri(2022)733692_EN.pdf

[2] Für eine Auflistung und Analyse dieser Abkommen s. C. Hein, Maginot Line Around Europe? Assessing the Impact of EU- Agreements with MENA countries on Migration Flows to Europe, 2025, https://mp.luiss.it/archives/maginot-line-around-europeassessing-the-im…

[3]  E. Niemayer, Unequal access to foreign spaces: how States use visa restrictions to regulate mobility in a globalized world; London School of Economics, Research online, 2006 

 

[4] D. Thym, Temporary Protection for Ukrainians: the Unexpected Renaissance of „Free Choice“, in: EU Immigration and Asylum Policy, 7 March 2022, https://eumigrationlawblog.eu/temporary-protection-for-ukrainians-the-u…

[5] https://www.unhcr.org/global-trendsZahlen von Ende 2024.

[6] Im ersten Halbjahr 2025 stellen Venezolaner die größte Gruppe der Asylbewerber, seitdem die Zahl der aus Syrien geflüchteten stark zu zurückgegangen ist. Alle Daten aus: https://euaa.europa.eu/latest-asylum-trends

[7] Richtlinie EU 2024/1350 v. 14. Mai 2024

[8] Ende 2025 wird eine umfangreiche Veröffentlichung von Forschern aus vielen verschiedenen Ländern, koordiniert von der Universität Viterbo, unter dem Titel „Towards a European Model of Community Sponsorship for Migrants and Refugees: The Legal Perspective“ erscheinen, in der die einzelnen international gemachten Erfahrungen im Hinblick auf die Übertragbarkeit auf die EU-Staaten untersucht werden. 

[11] EU - Richtlinie 2024/1351 v. 14. Mai 2024