Benedetta Scuderi, seit Juni 2024 Europaabgeordnete der Grünen. Die ausgebildete Juristin trat 2019 der Partei „Europa Verde” bei und war Mitbegründerin der Jugendorganisation dieser Partei. Seit 2022 ist sie Co-Sprecherin der Föderation der Jungen Grünen Europas und wurde bei den letzten Europawahlen auf der Liste der Grünen/Linken (AVS) ins Europäische Parlament gewählt, wo sie Mitglied der Ausschüsse für Frauenrechte und Gleichstellung der Geschlechter sowie für Industrie, Forschung und Energie ist.
Benedetta Scuderi ist Abgeordnete im Europäischen Parlament in der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz (Greens/EFA). 34 Jahre alt, Juristin mit Master in Energie und Nachhaltigkeit, ist Scuderi seit 2019 Mitglied in “Europa Verde” und Mitbegründerin der Jugendorganisation dieser Partei. Seit 2022 ist sie Co-Sprecherin der Föderation der Jungen Europäischen Grünen und wurde 2024 als Kandidatin der Allianz Grüne/Linke (AVS) in das Europäische Parlament gewählt, wo sie den Ausschüssen für die Rechte der Frauen und Gleichstellung der Geschlechter sowie für Industrie, Forschung und Energie angehört. Sie ist Mitglied der Parlamentsdelegation für die Beziehungen mit der Volksrepublik China. Im Oktober 2025 war sie eine der 4 italienischen Parlamentarier*innen, die an der Global Sumud Flotilla für Gaza teilgenommen haben und, nach der völkerrechtswidrigen Kaperung der Schiffe in internationalen Gewässern in der Nähe der Küste von Gaza, vom israelischen Militär festgenommen wurden. Das Gespräch wurde am 6. November 2025 online geführt, am Tag nach der Wahl von Zohran Mamdani zum Oberbürgermeister von New York.
Christopher Hein: Was können die Grünen in Europa von Zohran Mamdani lernen?
Benedetta Scuderi: “Ja, die Wahl Mamdanis ist für uns Quelle von Inspiration, vor allem die Weise, in der der Wahlkampf geführt wurde. Wir können von der Radikalität seines Programms und seiner Forderungen lernen. Wenn man gewinnen will, darf man sich, angesichts der Polarisierung der Diskussion, nicht auf das Mittelfeld beschränken, man muss die wirklichen Probleme der Menschen lösen. Die Rechtsparteien erzeugen und erfinden falsche Probleme, mit denen sie sich dann stark machen. Mamdanis Art, Politik zu machen und in einfacher, klarer, mutiger Sprache zu kommunizieren, sollte für uns ein Vorbild sein. Es ist wahr, dass er Umwelt- und Klimafragen nicht in den Vordergrund gestellt hat, Fragen, die in der gegenwärtigen Welt schwierig zu vermitteln sind. Aber wenn er, zum Beispiel, den öffentlichen Nahverkehr verstärken und Busfahrten gratis machen will, dann bedeutet das nicht nur eine wirtschaftliche Erleichterung für die Bevölkerung, sondern hat auch positive Auswirkungen auf die Umwelt. Vielleicht täten auch wir besser daran, den öffentlichen Verkehr umfassend zu verstärken, statt nur den Gebrauch des Autos von oben herab einzuschränken. Man muss die sozialen und die ökologischen Dimensionen zusammensehen, in ihrer Wechselwirkung, aber ausgehend, wie Mamdani es gemacht hat, von den alltäglichen sozialen Problemen der Menschen”.
Hein: Der Rat der Europäischen Union hat sein Programm zur Senkung der Treibhausgasemissionen um 90% bis zum Jahr 2040, gegenüber den Werten von 1990 beschlossen. Ist das ein Sieg der grünen Bewegung?
Scuderi: Das Target von 90% ist sicherlich ein kleiner Sieg, aber insgesamt ist der Beschluss unbefriedigend. Die Möglichkeit, bis zu 5% von dem Target durch außereuropäische Emissionszertifikate auszugleichen, macht das Erreichen der Klimaziele schwieriger. Das ist umso bedauernswerter angesichts der COP30 in Belem, zu der die EU nicht mit einem mutigen und einheitlichen Programm und schon gar nicht mit einem eigenen Klimagesetz beitragen wird”. Hein: Welche Erwartungen haben die Grünen an die COP30?
Scuderi “Ich fürchte, es wird ein Desaster. Die USA nehmen gar nicht erst teil. Europa, mit seinen ganz überwiegend rechten und rechtsextremen, den Klimafragen feindlich gegenüberstehenden Regierungen tritt schwach an, und selbst Brasilien unter Lula kann sich nicht rühmen, eine wirklich ambitionierte Politik gegen die Zerstörung der Tropenwälder zu verfolgen. Weltweit ist die Anti-Klima Politik der Rechten eine reale Gefahr für die Zukunft. Im Europaparlament beobachten wir ein zunehmendes Desinteresse an Klimafragen, die sind praktisch ein Tabu. Die meisten Abgeordneten haben den Kampf gegen Klimafragen ausgerufen. Und wenn überhaupt eine Debatte um die industrielle Transition stattfindet, geht es immer nur um den Ausstieg aus der Kohle als Energiequelle. Immerhin das – aber weiterreichende Strategien werden ausgeblendet.”
Hein: „Die beiden Parteien der AVS[1] gehören im Europäischen Parlament zwei verschiedenen Fraktionen an, die Grünen bei der Greens/EFA, die Linke bei der Left. Bereitet das Schwierigkeiten, und wäre daran zu denken, die beiden Fraktionen zu vereinigen?“
Scuderi: “Die Bildung einer einheitlichen Fraktion halte ich für schwierig, denn die jeweiligen Parteien haben verschiedene Geschichten und sind verschieden in Bezug auf die Einstellung zur Politik überhaupt. Aber bei den Abstimmungen ziehen die beiden Fraktionen normalerweise an dem gleichen Strang. Für uns ist diese “Kohabitation” kein Problem. Sicherlich, zu einigen Themen wie der militärischen Unterstützung der Ukraine, zur Aufrüstung oder auch zur Präsidentschaft der EU-Kommission und der Kommission überhaupt bestehen unterschiedliche Ansichten, auch innerhalb der beiden Fraktionen. Das betrifft nicht allein uns Italiener*innen, sondern auch die Parteien einiger anderer Länder.
Es ist wahr, dass wir es in Italien 2022 geschafft haben, eine Allianz zwischen Grünen und Linken zu bilden, trotz unterschiedlicher politischer Traditionen. Das war möglich, weil wir genügend gemeinsame Schnittpunkte haben, zum Beispiel in der Friedenspolitik, in der Verteidigung der Bürgerrechte…Es gab auch personelle Überschneidungen, und eine schon vor 2022 gemachte Erfahrung. Die Bildung einer Allianz ist leichter auf der nationalen als auf der europäischen Ebene, wo so viele Parteien unter ein Dach zu bringen wären.”
Hein: “Könnte die Allianz Grüne-Linke, trotz ihrer italienischen Besonderheit, ein Modell für andere EU-Länder sein?”
Scuderi: “Ja, es gibt ja ähnliche Beispiele, wie in Frankreich die Nupes bzw. die „Neue Volks Front“[2] oder in Spanien die Sumar[3]. Ich meine, eine Allianz zwischen Grünen und Linken hat am ehesten in den südlichen Ländern Europas eine Zukunft”...
Hein: „…, die Zukunft, diejenige, die Italien beschäftigt, in Vorschau auf das Jahr 2027, in dem die Parlamentswahlen anstehen. Giorgia Meloni und ihr Rechts-Bündnis sind doch nur besiegbar, wenn eine breite Front aller jetzt in der Opposition stehenden Parteien zustande kommt.“
Scuderi: „Das ist gewiss. Das jetzige Wahlsystem lässt gar keine andere Wahl. Eine umfassende Koalition mit uns vom AVS, mit der PD, mit der 5-Sterne Bewegung und wohl auch mit Matteo Renzis Italia Viva ist möglich. Mit „Azione“ von Carlo Calenda ist es schwieriger, angesichts der Weise, wie Calenda die Rechten unterstützt. Wir brauchen eine Koalition, die auf einem gemeinsamen Programm für eine bestimmte Anzahl von Themen basiert, eine thematische Allianz, so, wie es die Rechts-Parteien gemacht haben: jeder Koalitionspartner bringt einen Reformvorschlag ein, der ihm besonders wichtig ist. Diese Reformen müssen die anderen Partner akzeptieren, sofern sie mit einem gemeinsamen Werte-Konsens übereinstimmen. Da muss jede Seite etwas zurückstecken, zu Kompromissen bereit sein. Das kann schmerzhaft sein, aber es gibt keinen anderen Weg, wenn wir nicht wollen, dass Giorgia Meloni nach 2027 weitere 5 Jahre regiert. Es stimmt, zu den Waffen für die Ukraine und zur Aufrüstung Europas gibt es verschiedene Positionen, auch die AVS gegenüber der PD. Im Europäischen Parlament steht aber auch die PD der Aufrüstung kritisch gegenüber, wenn auch nicht auf so radikale Weise wie wir. Und jedenfalls haben wir ein gemeinsames Ziel: Frieden in der Ukraine, Frieden in Europa, auch wenn für den Weg dahin verschiedene Meinungen bestehen können.
Insgesamt bin ich optimistisch, dass es in Italien zu einem „Campo largo“ kommen kann. Wir haben keine andere Wahl, wenn wir eine progressive Regierung anstreben“.
Hein: „Benedetta, wie sehen Sie rückblickend Ihre Teilnahme an der Global Sumud Flotilla Ende September für Gaza?“
Scuderi: „Für mich war es eine sehr bedeutsame Erfahrung, die mich auch noch in der Zukunft begleiten wird, eine persönliche Bereicherung. Ich glaube, dass diese Aktion in die Geschichte des internationalen Aktivismus eingehen wird. Es gab eine Mobilisierung, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht gesehen haben. Es gab diese beiden sich gegenseitig beeinflussenden Bewegungen, die internationale Flottilla, mit hunderten von Menschen auf vielen kleinen Schiffen, und gleichzeitig, nicht nur in Italien, Millionen von Menschen, die auf die Straße gingen für das Ende des brutalen Wahnsinns in Gaza und die Befreiung eines Staates Palästina. Das wäre ohne den Bezug auf die Fahrt der Flotilla bis dicht an die Gaza-Küste nicht denkbar gewesen, und für uns auf den Schiffen war es eine unglaubliche Ermutigung, als wir die Nachrichten aus hunderten von europäischen Städten erhielten, in denen unsere gemeinsame Sache auf die Plätze gebracht wurde. Da gab es viele, die noch nie auf einer Demonstration gewesen sind und die jetzt durch die Nachrichten aus Gaza emotional betroffen wurden, aber das Gefühl einer ohnmächtigen Wut hatten und meinten, dass sich sowieso nie etwas ändern wird. Die wurden über die Flotilla-Aktion aktiviert und setzten die Ohnmacht in Hoffnung um. Ich meine, das geht über die Palästina-Frage hinaus auch auf andere Bereiche: Perspektiven aufzuzeigen, und über gemeinschaftliches Handeln bewusst zu machen, dass Alternativen, auch etwa zu der sozialen Misere, möglich sind. Und natürlich muss die Mobilisierung für die Palästinenser weitergehen. Angesichts von über tausend Toten seit der Verkündung der ersten Phase des Waffenstillstands und angesichts der zunehmenden Gewalt i Westjordanland kann man nicht wirklich von einer Waffenruhe reden.”
Hein: “Ich möchte schließlich noch über ein Thema reden, das mir besonders am Herzen liegt: die Flüchtlings- und Migrationspolitik in Italien und in Europa. Mamdani hat in New York einen großen Zulauf von Wählerinnen und Wählern mit “Migrationshintergrund” bekommen, und er und seine Frau sind ja auch selbst Eingewanderte. Aber Migrationsfragen standen in keiner Weise im Vordergrund seiner Kampagne. Im Programm der AVS gibt es sehr dezidierte Äußerungen zu Flüchtlingen und Migranten sowie zu dem “Neuen Pakt” der EU – aber welchen Stellenwert nehmen diese Themen für euch ein? Ist es besser, nicht darüber zu reden, weil damit keine Wahlstimmen zu machen sind?”
Scuderi: “Nein, natürlich müssen wir darüber reden, aber wir dürfen uns nicht immer nur auf die Kritik der von den Rechten vorangetriebenen Politiken beschränken. Wir müssen positiver an diese Themen herangehen, müssen den Befürchtungen in der Bevölkerung gegenübertreten. Der Arbeitsmarkt sieht ja so aus, dass wir in Zukunft wahrscheinlich die Migranten darum bitten werden, zu uns zu kommen und hier zu arbeiten. Wir selbst aber haben nicht wirklich ausgearbeitete Gegenvorschläge zur jetzigen Rechtslage, wir haben z.B. in Italien keinen eigenen Entwurf für ein neues Ausländergesetz, zur Überwindung des Bossi-Fini-Gesetzes[4]. In jedem Fall dürfen wir diesen Themen in unseren Wahlkämpfen nicht so viel Gewicht geben, wie wir es häufig bisher getan haben, und wir dürfen nicht versuchen, den Rechtsparteien hinterherzulaufen, die die Migrations- und Asylpolitik instrumentalisieren. Es gibt andere soziale Themen, die die Menschen in der Alltäglichkeit beschäftigen: die Wohnungslage, die schwere Krise der Gesundheitsversorgung, die Umweltzerstörung…. Wir müssen in unseren Kampagnen mehr darauf hören, was die Wähler und Wählerinnen wirklich interessiert.”
Hein: “Mamdani kann aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht Präsident der Vereinigten Staaten werden, weil er dort nicht geboren ist. Aber Sie, Benedetta, sind ja in Italien geboren und könnten also sehr gut Präsidentin des Ministerrats in Italien werden, wenn Sie wollten...! Vielen Dank für dieses Gespräch!”
Die in diesem Artikel geäußerten Meinungen spiegeln nicht unbedingt die der Heinrich-Böll-Stiftung wider.
[2] Nouvelle Union Populaire Écologique et Sociale, gegründet 2022, in 2024 hat sie sich angesichts der neuen Parlamentswahlen Nouveau Front Populaire angeschlossen.
[3] 2022 gegründete Vereinigung von 20 nationalen und regionalen Parteien
[4] Das von der damaligen Berlusconi-Regierung unter den Namen der Generalsekretäre der Lega Nord (Umberto Bossi) und der Alleanza Nazionale, den Vorläufer von Melonis Fratelli d’Italia (Gianfranco Fini) in 1991 verabschiedete und bis heute, mit Abänderungen gültige Ausländergesetz hat wesentliche Reformen der früheren Mitte-Links-Gesetzgebung zurückgenommen und allgemein zu einer Verschärfung ausländerrechtlicher Regeln beigetragen.