Die Grünen in Italien: ein Neustart

Analyse

In Italien wurden Natur- und Umweltschutz sowie Klimaschutz lange als „Luxus“ betrachtet und diese Themen haben es bis heute in allen Parteien auf nationaler Ebene schwer. Die kandidierende grüne Partei, Europa Verde – Verdi bringt sich daher mit Blick auf die Parlamentswahlen am 25. September neu in Stellung.

Zweig mit wachsenden grünen Blättern

Warum sich die Grünen in Italien bisher schwertun

Gegründet wurde die erste landesweite grüne Partei in Italien in Form eines Zusammenschlusses aller grünen Listen in Italien als Federazione delle Liste Verdi im Jahr 1986. Bei den für die neue Partei ersten europäischen Wahlen im Jahr 1989 erreichte sie ihr bestes Ergebnis mit einem Stimmenanteil von knapp 3,8 Prozent und war daraufhin mit drei Mandaten im Europäischen Parlament vertreten. Umweltschutz und Klimapolitik wurden auf nationaler Ebene in Italien jedoch lange als „Luxus“ betrachtet und es galt der Konsens, nichts dürfe den Fortschritt und die Wirtschaft behindern. Als 1994 in Italien erstmals Wahlen nach dem gemischten Mehrheitswahlrecht durchgeführt wurden, waren die Grünen noch zu schwach, um alleine zu bestehen. Sie schlossen sich daher in der Linkskoalition mit den Progressiven, der Alleanza dei Progressisti, zusammen und konnten schließlich mit einem Stimmenanteil von 2,7 Prozent elf Abgeordnete und sieben Senator*innen stellen. Die Federazione dei Verdi besetzte anschließend unter linken Regierungen mit ihrem Vorsitzenden Alfonso Pecoraro Scanio in den Jahren 2000 und 2001 das Landwirtschaftsministerium und von 2006 bis 2008 den Posten des Umweltministers.

Seit 2008 jedoch sind die Grünen auf nationaler Ebene im italienischen Parlament nicht mehr vertreten. Dies mag unter anderem eng damit zusammenhängen, dass sich die Partei – nachdem sie zwischen 1990 und 2005 konkrete Ergebnisse, beispielsweise im Rahmen der Verabschiedung des Gesetzes über die Nationalparks, erzielen konnte – zunehmend mit dem Vorwurf konfrontiert sah, sich zu sehr an die Positionen der Linken anzugleichen, anstatt eine Alternative zu den Progressiven und Sozialisten aufzuzeigen. Darüber hinaus fehlte den italienischen Grünen lange Zeit eine Führungspersönlichkeit, die in der Lage war, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gezielt auf Umweltthemen zu lenken. Überhaupt sah sich die Partei damals dem Vorwurf gegenüber, ein echtes ökologisches Gewissen und somit eine echte Sensibilität für eine nachhaltige Entwicklung, die auf die Zukunft und nicht vorrangig auf die Vergangenheit ausgerichtet war, vermissen zu lassen. Daher entschieden sich viele Wähler*innen einerseits für die Wahlenthaltung oder anderseits für die Wahl der 2009 gegründeten 5-Sterne-Bewegung, die in ihren Anfängen ebenfalls auf ökologische Themen setzte. Die italienischen Grünen hatten es auch in den letzten Jahren schwer, eine eigene politische Autonomie zu entwickeln. Bei den Europawahlen 2019 blieben sie hinter den Erwartungen zurück, während grüne Parteien in anderen EU-Mitgliedstaaten signifikante Erfolge erzielen konnten.

Natur- und Umweltschutz sowie Klimaschutz haben es bis heute in allen italienischen Parteien auf nationaler Ebene schwer. Italiener*innen, die sich ehrenamtlich für die Umwelt und in diesem Sinne für grundlegende Systemänderungen einsetzen, und somit zu den potenziellen Wähler*innen der Grünen zählen, tendieren deshalb dazu, sich vorwiegend lokal zu organisieren –  ein Potential, das die Grünen mit ihrer Neuaufstellung nun verstärkt erreichen wollen.

 

In welcher Form sind die Grünen bei den italienischen Parlamentswahlen präsent?

Die im Rahmen der italienischen Parlamentswahlen am 25. September 2022 kandidierende „neue“ grüne Partei, Europa Verde – Verdi wurde am 10. Juli 2021 durch die Fusion der Federazione dei Verdi mit der linken Partei Possibile unter Mitwirkung von Umweltverbänden gegründet.

In ihrem Programm formulieren die Grünen „12 Prioritäten für den Wandel in Europa“. Dazu zählen die Bekämpfung des Klimawandels durch den schrittweisen Ausstieg aus fossilen Energieträgern und die Förderung der Energieeffizienz, um 100 Prozent erneuerbare Energien zu erreichen sowie der Schutz der Parks und der biologischen Vielfalt. Hinzu addieren sich sowohl Investitionen in die grüne Wirtschaft, Forschung und Innovation als auch die Gewährleistung eines angemessenen Mindesteinkommens in den Mitgliedsländern der Europäischen Union. Europa Verde betont zudem die Wahrung von Gerechtigkeit, Grundrechten, Transparenz und Bekämpfung von Korruption, die Verteidigung des Asylrechts und die Schaffung legaler und sicherer Kanäle für die Migration, ebenso wie den Ausbau des Schienenverkehrs als Alternative zum Flugverkehr in Europa. Dabei nicht zu kurz kommen sollen ebenfalls der Schutz der Gesundheit der Bürger*innen, der Luft und des Wassers und die Vermeidung von Plastikmüll, die Förderung lokaler Lebensmittel ohne Pestizide und die Gewährleistung des freien Zugangs zu Bildung, bezahlten Praktika und angemessenen Arbeitsplätzen für junge Menschen. Darüber hinaus setzt sich die Partei für Steuergerechtigkeit und die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter sowie die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ein. Eine weitere Priorität stellt außerdem das Stoppen von Waffenexporten in Lagerbestände und Kriegsländer und die Förderung von Frieden und Entwicklung dar.

Im Rahmen der vorgezogenen politischen Wahlen haben Europa Verde und die linke Partei Sinistra Italiana beschlossen, ein Bündnis einzugehen und als rot-grüne Liste Alleanza Verdi e Sinistra anzutreten. Die Liste verfolgt dabei ein doppeltes Ziel: darauf hinzuarbeiten, sowohl die Klima- als auch die Sozialkrise in Italien zu überwinden und sich dafür einzusetzen, dass die italienischen Rechten aus den Wahlen nicht als Sieger*innen hervorgehen. Hinsichtlich der Bekämpfung des Klimawandels unterstreicht das Bündnis insbesondere die Notwendigkeit, einen außerordentlichen Plan für erneuerbare Energien und Energieeffizienz in Italien zu aktivieren und die Bürokratie zu beseitigen, die die Inbetriebnahme von Anlagen für erneuerbare Energien verhindert, die wiederum von der Regierung, den Regionen und den Provinzen blockiert werden. Was die nachhaltige Mobilität betrifft, so liegt der Schlüssel für die Alleanza Verdi e Sinistra in der Erhöhung der Investitionen in den öffentlichen Verkehr, um einen europäischen Standard des Schienennetzes zu erreichen, sowie in der Förderung von Elektroautos und im Ausbau der Fahrradverbindungen.

Besonders mit Blick auf das Vorhaben, den rechten Kandidat*innen eine größtmögliche Zahl von Stimmen abzuringen, schloss sich die Alleanza Verdi e Sinistra zuletzt mit dem Partito Democratico sowie den Parteien +Europa und Impegno civico zur Coalizione centro-sinistra, der Mitte-Links-Koalition, zusammen.

 

Wer sind die Kandidat*innen? Eine Auswahl.

Eleonora Evi ist seit 2021 Ko-Sprecherin von Europa Verde – Verdi und sitzt für die Fraktion der Grünen/EFA im Europäischen Parlament – nachdem sie 2020 beschloss die italienische 5-Sterne-Bewegung aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über den Europäischen Sicherheitsmechanismus und die Gemeinsame Agrarpolitik zu verlassen. Sie ist dort unter anderem Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Bei den vorgezogenen Wahlen im September wurde sie auf der Liste der Grünen und des Linksbündnisses als Hauptkandidatin im Wahlkreis Lombardei und als Zweitkandidatin in den Wahlkreisen Emilia Romagna und Lombardei für die Abgeordnetenkammer nominiert.

Angelo Bonelli ist ebenfalls Ko-Sprecher von Europa Verde – Verdi. Er wurde im Jahr 2005 zum Minister für Umwelt und Zusammenarbeit der Region Latium ernannt – ein Amt, von dem er nach seiner Wahl in die italienische Camera dei deputati im Jahr 2006 zurücktrat. Bis 2008 war er Mitglied der Verkehrskommission und Vorsitzender der Grünen im italienischen Abgeordnetenhaus. Im Rahmen der Wahlen im September wird Bonelli in mehreren Wahlkreisen für die Abgeordnetenkammer kandidieren.

Aboubakar Soumahoro wurde offiziell von der Liste, die von der Alleanza Verdi e Sinistra aufgestellt wurde, als Kandidat von EuropaVerde – Verdi für einen Sitz im Parlament nominiert. Er wird im Wahlkreis Modena kandidieren sowie als Vorsitzender von Alleanza Verdi e Sinistra in den Regionen Emilia Romagna, Lombardei, Apulien und Venetien. Soumahoro setzt sich insbesondere für migrantische Landarbeitende ein und prangert den in der transalpinen politischen Klasse weiter vorherrschenden Rassismus an.

Ilaria Cucchi ist wie Soumahoro von der Alleanza Verdi e Sinistra für die Parlamentswahlen aufgestellt, jedoch als Kandidatin der Linken. Sie wird im Wahlkreis Florenz für die Mitte-Links-Partei für den Senat kandidieren sowie als Spitzenkandidatin von Alleanza Verdi e Sinistra sowohl in Kampanien und Latium, als auch in der Lombardei und Apulien. Besondere Schwerpunkte möchte sie dabei vor allem bezüglich der Achtung der Rechte im Bereich der Justiz und der Gesundheitsfürsorge setzen.

 

Was sagen die Umfragen?

Eine Umfrage von Ipsos vom 7. September 2022 zeigte, dass die Alleanza Verdi e Sinistra voraussichtlich mit etwa 3,4 Prozent der abgegebenen Stimmen rechnen kann, die übergeordnete Coalizione centro-sinistra kommt bei dieser Erhebung auf knapp über 27 Prozent.

Der rechte Zusammenschluss der Fratelli d’Italia, Forza Italia und Lega unter Giorgia Meloni, Silvio Berlusconi und Matteo Salvini bringt es auf 45,4 Prozent der Stimmen. Die Umfrage zeigt jedoch auch, dass noch 38,3 Prozent der Italiener*innen mit Blick auf ihre Wahlentscheidung durchaus unentschlossen sind.