Häufig werden wirtschaftliche Argumente herangezogen, um den Status quo der Produktion und des Einsatzes von Pestiziden in der Landwirtschaft in der Europäischen Union zu legitimieren. Berücksichtigt man hierbei jedoch alle mit Pestiziden verbundenen Auswirkungen, ist die Bilanz alles andere als positiv, was sowohl die wirtschaftliche Rationalität dieses Sektors als auch die Art und Weise, wie unsere Staaten die Frage der Ernährungssouveränität angehen, in Frage stellt.
Synthetische Pestizide, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts vermarktet werden, sind neben synthetischen Düngemitteln, „verbessertem“ Saatgut und Landmaschinen eine der vier Säulen des vorherrschenden agroindustriellen Modells. Seit Beginn ihrer Vermarktung spielen sie in unseren agrarwirtschaftlichen Systemen eine immer wichtigere Rolle: In den letzten 20 Jahren hat sich der Weltmarkt für Pestizide verdoppelt und erreichte im Jahr 2020 einen Umsatz von 53 Milliarden Euro. Die Europäische Union gehört sowohl zu den größten Verbrauchern als auch zu den größten Exporteuren auf internationaler Ebene.
Dieses nachhaltige Wachstum, das mit dem Wachstum des agroindustriellen Modells verbunden ist, konnte die sozialen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Probleme, auf die es eine Antwort geben sollte, bei weitem nicht lösen. Zwar hat sich die weltweite Agrarproduktion seit den 1950er Jahren mehr als verdoppelt, doch die landwirtschaftlichen Erträge sind mittlerweile auf einem Höchststand angelangt, und in vielen Gebieten mit Sonderkulturen beginnen sie sogar zu sinken. Moderne, pestizidintensive Produktionssysteme haben zu Resistenzen und zur Degradation von Boden und Biodiversität geführt und zur Verschärfung des Klimawandels beigetragen.
Dieselbe kritische Feststellung gilt für die Ernährungssicherheit, die regelmäßig von Pestizidbefürwortern angeführt wird: Die landwirtschaftliche Produktion könnte heute das 1,5 fache der Weltbevölkerung ernähren. Dennoch sind weltweit immer noch mehr als 800 Millionen Menschen, überwiegend Landwirte, unterernährt. Die wirtschaftliche Entwicklung kommt letztendlich nicht allen zugute: Die Lebensmittelindustrie und die großen Einzelhandelsketten profitieren am meisten von diesem Modell, zum Nachteil einer Mehrheit der Verbraucher und Erzeuger. Der Preis für Lebensmittel ist seit den 1960er Jahren um das Fünffache gestiegen (in heutiger Währung), während sich die Preise für die wichtigen Agrarrohstoffe halbiert haben und der Anteil des Wertes, der den Landwirten zufällt, kontinuierlich gesunken ist. Im selben Zeitraum hat die Dynamik der Intensivierung und Vergrößerung von Bauernhöfen, die von der öffentlichen Politik unter dem Druck des globalen Wettbewerbs gefördert wurde, zur Vernichtung von Millionen von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft geführt.
Abgesehen davon, dass die gegebenen Versprechen nicht eingehalten wurden, hat der intensive Einsatz von Pestiziden in vielen Teilen der Welt nachweislich auch zahlreiche Auswirkungen. Immer mehr Arbeiten weisen auf die Rolle von Pestiziden beim Rückgang von Insekten- und Vogelpopulationen und der Artenvielfalt insgesamt hin, was letztlich die Bereitstellung von Ökosystemdienstleistungen, die für die Landwirtschaft unerlässlich sind, gefährdet. Die Folgen für die menschliche Gesundheit werden von Jahr zu Jahr besser dokumentiert und anerkannt. Das gilt nicht nur für Europa, sondern auch für die Länder des Südens, wo sie sich aufgrund unzureichender Regelungen zum Schutz der Bevölkerung vor den giftigsten Substanzen als noch gravierender erweisen.
Dennoch werden Pestizide weiterhin eingesetzt und die wenigen Verbote – z. B. in Europa Neonicotinoide – sind Gegenstand von Infragestellungen und intensiven Debatten, die von den Akteuren der Branche durch ebenso intensive wie kostspielige Lobbykampagnen angeheizt werden (etwa 10 Millionen Euro pro Jahr für den europäischen Markt). Eines der immer wiederkehrenden Argumente zugunsten von Pestiziden ist die sozioökonomische Bedeutung des Sektors: Dank ihrer Einnahmen schaffen Pestizidhersteller Arbeitsplätze; die Reduzierung oder Einstellung ihrer Aktivitäten wäre gleichbedeutend mit einer Wirtschaftskrise, was wiederum eine Kettenreaktion in den betroffenen Regionen und Ländern nach sich ziehen würde. Diese Rechtfertigung, die die Akteure des Sektors und einige Politiker verwenden, bildet seit Jahren die gläserne Decke, an die der Wille zur Veränderung des Agrarsystems stößt.
In diesem Zusammenhang kann die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit des Pestizidsektors über einen Kosten-Nutzen-Ansatz untersucht werden, wobei auf der einen Seite die Gewinne stehen, die private Akteure mit synthetischen Pestiziden erzielen, und auf der anderen Seite die tatsächlichen Kosten, die durch den Einsatz von Pestiziden entstehen und von der Gesellschaft getragen werden: öffentliche Ausgaben aufgrund der negativen Auswirkungen dieser Produkte und die von der Industrie wahrgenommene öffentliche Unterstützung. Im Jahr 2017 beliefen sich die direkt von der Industrie erzielten Gewinne allein auf dem französischen Markt auf rund 200 Millionen Euro (900 Millionen Euro auf europäischer Ebene).
Im selben Jahr wurden die verschiedenen, direkt auf Pestizide zurückzuführenden Kosten – öffentliche Ausgaben für die Reinigung von Wasser und die Behandlung von durch Pestizide verursachten Berufskrankheiten, die Kosten für das Funktionieren der europäischen Pestizidvorschriften und die finanzielle Unterstützung des Pestizidsektors durch die öffentliche Hand – mindestens auf 372 Millionen Euro für Frankreich (2,3 Milliarden Euro für Europa) geschätzt, womit sie etwa doppelt so hoch wären wie die Gewinne. Dieses Ergebnis zeigt, dass der Pestizidsektor derzeit ohne die öffentliche Unterstützung und die kollektive Übernahme der von ihm verursachten negativen Auswirkungen keinesfalls rentabel sein könnte.
Abgesehen von dieser negativen wirtschaftlichen Bilanz stellen die laufenden Entwicklungen des pestizidbasierten agroindustriellen Systems seine Fähigkeit, die Ernährungssouveränität der Bürgerinnen und Bürger in den kommenden Jahren zu verbessern, stark in Frage. Derzeit halten vier Unternehmen – Bayer, BASF, Syngenta/ChemChina und Corteva – fast 3/4 des Pestizidmarktes und fast 60 % des Marktes für landwirtschaftliches Saatgut. Mit Ausnahme von Syngenta/ChemChina, das sich im Besitz des chinesischen Staates befindet, gehören alle diese Unternehmen zum Teil denselben US-amerikanischen Investmentfonds: Blackrock, Vanguard, State Street, Capital Group und Fidelity, die im übrigen zwischen 10 und 30 % des Kapitals der weltweit führenden Lebensmittelkonzerne wie Unilever, Nestlé und Coca-Cola halten.
Die Steuerung unserer Agrar- und Lebensmittelindustrie liegt somit in den Händen einiger weniger privater Akteure, deren oberstes Ziel kurzfristige finanzielle Rentabilität ist. Zu diesem Zweck erfinden sich die führenden Pestizidhersteller über die „digitale Landwirtschaft“ neu: neue Instrumente zur Datensammlung (Sensoren, Drohnen, Satelliten ...), Robotisierung und Gentechnik. Neben den Umweltauswirkungen, die mit einem hohen Verbrauch an nicht erneuerbaren Ressourcen verbunden sind, verstärkt dieses aufstrebende Modell die Abhängigkeit der Landwirte von der Agrarindustrie, während ihre Widerstandsfähigkeit eher von der Verbesserung ihrer Autonomie abhängt, um mit neuen Situationen umgehen zu können. Letztendlich verbirgt sich hinter den Versprechungen einer dritten landwirtschaftlichen Revolution durch die Digitalisierung eine weniger glanzvolle Realität: Die Rentabilität des Sektors stützt sich zum Teil immer noch auf den Verkauf von Pestiziden in Schwellenländern, die in Europa aufgrund ihrer Toxizität verboten sind, aber wahrscheinlich rentabler sind.
Im Vergleich zum pestizidintensiven Modell, das seit Jahrzehnten von der konstanten Unterstützung der öffentlichen Hand profitiert, konnten die agrarökologischen und diversifizierten Modelle ihre größere Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit unter Beweis stellen. Zwar sind auch für den Übergang Investitionen erforderlich, aber in geringerem Maße, und vor allem sind sie nachhaltiger. So würde beispielsweise das Ziel der „Farm to Fork“-Strategie der Europäischen Union, die Zahl der Bio-Bauernhöfe bis 2030 zu verdreifachen, laut dem französischen nationalen Forschungsinstitut für Landwirtschaft, Lebensmittelwesen und Umwelt INRAE jährlich 1,85 Milliarden Euro kosten – weniger als die Kosten, die der Gesellschaft jedes Jahr durch Pestizide entstehen.
Die Staaten müssen jetzt ihrer Verantwortung gerecht werden und sich zwischen einem teuren, umweltschädlichen Modell, das sich in den Händen einiger weniger Akteure konzentriert, deren Entscheidungszentren außerhalb Europas liegen, und einem nachhaltigen agrarökologischen Modell, das von den Bürgern und Landwirten verteidigt wird, entscheiden – mit Blick auf die Ernährungssouveränität der EU und im weiteren Sinne, des Planeten.
Quellen:
S.56 und S.57: „Plus d’un million de citoyens appellent à la sortie des pesticides“, Pollinis, https://bit.ly/3oH3eNL; „Pesticides Out“, European Coordination Via Campesina, https://bit.ly/41P92DX; „Analyse de la création de valeur et des coûts cachés des produits phytosanitaires de synthèse“, BASIC, https://bit.ly/41QX5Nq ; Pesticides, un système qui nous est cher, BASIC, https://vu.fr/uJiR.