Keine Pestizide mehr: Eine neue Herausforderung für den Weinbau

Pestizidatlas

Die Abhängigkeit des Weinbaus von Pflanzenschutzmitteln geht auf mehrere ab Mitte des 19. Jahrhunderts eingeschleppte Krankheitserreger und Schädlinge zurück, gegen die es auch heute noch kein endgültiges Gegenmittel gibt. Der Bio-Weinbau ist zwar stark auf dem Vormarsch, aber vor dem endgültigen Verzicht auf Pestizide sind noch einige Hürden zu überwinden.

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Ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurden zahlreiche Schädlinge und Pflanzenkrankheiten aus Nordamerika nach Europa eingeschleppt, die den Weinbau dort fast zum Erliegen brachten – darunter der Mehltau (1845), die Reblaus (1863), der falsche Mehltau (1878) und die Schwarzfäule (1885). Diese Epidemien führten zu schweren Ernteausfällen, so musste zum Beispiel ein Großteil der von der Reblaus befallenen Weinstöcke gerodet werden. Dank des wissenschaftlichen Fortschritts konnten damals die Auslöser der Krankheiten gefunden und erste Bekämpfungsmethoden entwickelt werden. Pflanzenschutzmittel wie Schwefel oder Kupfer, aber auch „genetische“ Methoden wie die Veredelung traditioneller Sorten auf gegen die Reblaus resistenten Unterlagen wurden entdeckt und verbreitet. In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts kamen dann synthetische Pflanzenschutzmittel auf, die wirksamer, selektiver und einfacher anzuwenden waren. Zusammen mit der parallel weiterentwickelten Mechanisierung brachte die Einführung der Pestizide in dieser Zeit eine Vereinfachung des Weinbaus.

Zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts rückten die schädlichen Auswirkungen von Pestiziden in den Vordergrund. Integrierte Schutzkonzepte wurden entwickelt und immer mehr gesetzliche Regelungen zur Verringerung des Pestizideinsatzes verabschiedet. Sie spiegeln die in der Bevölkerung immer lauter werdenden Forderungen nach möglichst wenig Pestiziden im Weinbau wider. Sichtbar umgesetzt werden diese Forderungen durch die immer größeren Mengen an Weinen mit Öko-Label, wie dem Siegel für ökologische Landwirtschaft und anderen Kennzeichen mit Vorschriften, die weniger Pestizide zulassen. Trotz dieser Entwicklung ist der Schutz der Weinberge noch immer stark von synthetischen, mineralischen (wie Schwefel und Kupfer) oder natürlichen Pflanzenschutzmitteln abhängig.

Heute kann man anhand des Anwendungshäufigkeitsindex (AHI) feststellen, wie viele Pestizide eingesetzt wurden. Der Index steht für die Anzahl der Anwendungen mit der zulässigen Dosis während einer Anbauperiode. Der durchschnittliche AHI liegt im französischen Weinbau bei 12,4 (2019), 80 % davon sind Fungizide, vor allem zur Bekämpfung von Meltau und falschem Mehltau. Diese Durchschnittswerte verschleiern allerdings die deutlichen Unterschiede zwischen den Weinanbaugebieten, in denen das Klima Krankheiten mehr oder weniger begünstigt. Selbst innerhalb der Weinanbaugebiete unterscheidet sich die Nutzung je nach Produktionszielen und vorhandenen Ressourcen. Aber allein anhand des Durchschnittswerts wird bereits deutlich, dass Wein vor allem hinsichtlich der Fungizide in Frankreich zu den am stärksten belasteten Kulturen gehört. Da bestimmte Pestizide nachweislich die menschliche Gesundheit schädigen, fordern Bürgerinnen und Bürger, dass man sie über die Sicherheitsmaßnahmen beim Pestizideinsatz in der Nachbarschaft informiert, dass die Mindestabstände zwischen Einsatzgebieten und Wohnbebauung erhöht werden, und dass in diesen Bereichen die Verwendung bestimmter Pestizide sogar verboten wird.

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Wein ist noch immer eine Kultur, in der große Mengen Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen – vor allem Fungizide. Allerdings ist die Situation je nach Anbaugebiet sehr unterschiedlich.

Bei der Kontrolle von Krankheiten oder Schädlingen an Weinstöcken kann man zur Verringerung des Pestizideinsatzes auf viele andere Maßnahmen zurückgreifen. So gibt es zum Beispiel Modelle zur Risikoabschätzung und Entscheidungshilfen, mit denen im Weinbau die Anzahl und die Dosierung der Maßnahmen an die bestehenden Risiken angepasst werden können. Zudem kann man die Anfälligkeit der Kulturen für bestimmte Schädlinge und Krankheiten durch gezielte Maßnahmen verringern und so die Gefahr für Epidemien reduzieren. Biologische Pflanzenschutzmittel, die keine bekannten negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt haben (Mikroorganismen, natürliche Biozide, Substanzen, die die natürlichen Abwehrkräfte der Pflanzen stärken, Pheromone…) können Pestizide teilweise ersetzen. Ökologisch sinnvolle Infrastrukturen in der Landwirtschaft, sowohl an einzelnen Parzellen als auch im Rahmen der allgemeinen Landschaftsgestaltung (Hecken, Bodendecker, naturbelassene Bereiche) fördern die funktionale Biodiversität zur Regulierung von Schädlingen. Auch die Pflanzung weniger empfindlicher oder resistenterer Sorten ist eine Möglichkeit. Durch mechanisches Jäten des Unkrauts und eine Mulchschicht lässt sich der Einsatz von Herbiziden vermeiden.

Wie wirksam diese Methoden sind, zeigen die Ergebnisse des DEPHY-Netzwerks, einer wichtigen Aktionsgruppe im Ecophyto-Programm. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk aus Gruppen von Landwirten, die jeweils von einer diplomierten Fachkraft begleitet werden und sich verpflichten, den Pestizideinsatz zu verringern. Dabei wurde einerseits ein Rückgang der Pestizide und andererseits eine Stärkung bestimmter Tendenzen beobachtet: es wird mehr biologischer Pflanzenschutz eingesetzt, in vielen (auch konventionellen) Betrieben werden keine Herbizide mehr verwendet, der Einsatz der giftigsten gesundheitsschädlichen Produkte ging sehr stark zurück, und mehr Betriebe sind auf ökologische Landwirtschaft umgestiegen.

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Eindeutige Ergebnisse: Die Weinbaubetriebe im Dephy-Netzwerk haben den Einsatz von Pestiziden, vor allem der giftigsten Stoffe, innerhalb weniger Jahre reduziert.

Eine Möglichkeit, auf synthetische Pflanzenschutzmittel zu verzichten, ist der ökologische Weinbau. Der ist stark auf dem Vormarsch – innerhalb von fünf Jahren hat sich die ökologisch bewirtschaftete Anbaufläche in Frankreich verdoppelt und allein im Jahr 2021 um 20 % zugenommen. Aktuell werden 20 % der französischen Weinberge ökologisch bewirtschaftet (gegenüber nur 10,3 % der landwirtschaftlichen Flächen insgesamt) und ihr Anteil steigt jährlich um 10 %. Allerdings sprechen zahlreiche Umstände gegen einen völligen Verzicht auf Pestizide. Vor allem gibt es zahlreiche technische Hindernisse bei der Bekämpfung gewisser Krankheiten oder Schädlinge, die eine Gefahr für den Ertrag, die Qualität des Weins oder gar den Fortbestand der Rebstöcke darstellen. So steht beispielsweise für die Bekämpfung des falschen Mehltaus derzeit keine in jeder Situation ausreichend wirksame Alternative zur Verfügung. Auch gegen die goldgelbe Vergilbung („flavescence dorée“), eine Rebkrankheit, die durch ein Phytoplasma (ein Mikroorganismus, der im Pflanzensaft zirkuliert) ausgelöst und von einer Zikade übertragen wird, sind kollektive Insektizidbehandlungen zwingend vorgeschrieben.

Zudem gibt es wirtschaftlich-technische Probleme: die allgemeine Einführung von Herbizid-Alternativen ist wegen der zusätzlichen Kosten, des höheren Bedarfs an qualifizierten Arbeitskräften und der Anpassungsschwierigkeiten in einigen Weinbergen komplex. Schließlich unterliegt der französische Weinbau, der zu einem großen Teil unter Qualitätssiegeln arbeitet, bestimmten Auflagen, die sich auf die Sortenauswahl, die Art der Bewirtschaftung und die Erträge auswirken. So sind krankheitsbedingte Ernteausfälle aus wirtschaftlicher Sicht kaum hinnehmbar. Einige alternative Methoden wie zum Beispiel neue Sorten können den Geschmack des Weins verändern und sind nicht immer mit diesen Auflagen und den Erwartungen der Verbraucher vereinbar.

Eine einheitliche Alternative, mit der sich kurzfristig sämtliche Pestizide im Weinbau ersetzen ließen, gibt es nicht. Der Umgang mit Krankheiten und Schädlingen wird komplexer und die Weinbaubetriebe müssen die unterschiedlichen Methoden mit ihren jeweiligen Wirkungen kombinieren. Dabei werden je nach Region, Bewirtschaftungsmethode und Nutzung unterschiedliche Kombinationen zum Einsatz kommen. Aber der Pestizideinsatz ist bereits deutlich zurückgegangen. Um vollständig auf Pestizide verzichten zu können, sind jedoch Innovationen in den Produktionssystemen und tiefgreifende Veränderungen in der gesamten Wertschöpfungskette erforderlich. Dabei ist nicht nur die Forschung gefordert, sondern alle an der Wertschöpfungskette Beteiligten – von den Weinbaubetrieben bis zu den Verbrauchenden.

 

Quellen :

S.60 : Agence Bio https://bit.ly/3V26CyY ; Agreste, Zahlen und Daten Dezember 2021, Nr. 19, Enquête pratique culturale en Viticulture 2019 – IFT et nombre de traitement, https://bit.ly/41F5FiD ; S.61 : Cellule d’Animation Nationale DEPHY Ecophyto 2023. Synthèse nationale des données DEPHY FERME Viticulture sur la période 2017-2020. 62p https://bit.ly/40CNRmZ.