Seit 15 Jahren werden in Frankreich immer neue Pläne verabschiedet, die den Pestizideinsatz verringern sollen. Herausgekommen ist dabei nichts, und die Ziele werden noch immer weit verfehlt. Dabei sind die wichtigsten Stellschrauben bekannt und dokumentiert, aber auf jede Ankündigung, dass eine Substanz eingeschränkt oder verboten werden soll, folgen Druck und wütende Reaktionen.
Im Anschluss an den Umweltgipfel „Grenelle de l’Environnement“ legte Frankreich im so genannten „Ecophyto“-Plan ein ambitioniertes Ziel fest: bis 2018 sollte der Einsatz von Pestiziden halbiert werden. Der Plan enthielt auch das Verbot bestimmter Produkte, die als besonders gefährlich für Gesundheit und Umwelt eingestuft werden, oder die Erstellung eines Überwachungssystems zur besseren Information über die Auswirkungen von Pestiziden auf die Gesundheit der Bevölkerung. Nach Neuwahlen erstellte die neue Regierung 2015 im Rahmen des Gesetzes für die Zukunft der Landwirtschaft, der Ernährung und der Forstwirtschaft den Plan Ecophyto II. Darin wird das Ziel bestätigt, den Einsatz von Pestiziden zu halbieren — allerdings erst bis 2025 — und er sieht vor, den Kommunen die Verwendung von Pestiziden ab 2017 nach und nach zu verbieten. Dieser Plan wurde 2018 nach dem Branchentreffen der Lebensmittelindustrie „états généraux de l’alimentation“ ergänzt und dabei vor allem ein Ende der Glyphosat-Nutzung für die wichtigsten Anwendungsfälle bis 2020 und für alle Anwendungsfälle bis spätestens 2022 eingeführt – dieser Zeitplan wurde allerdings in der Zwischenzeit verschoben.
Unabhängig von den Kennzahlen, an denen man den Erfolg der Ecophyto-Pläne misst, ist das Ergebnis stets dasselbe: Die 2008 festgelegten und inzwischen zwei Mal bestätigten Ziele wurden nicht erreicht. Schlimmer noch: Der Einsatz von Pestiziden ist nicht zurückgegangen, sondern zwischen 2000-2011 und 2016-2018 sogar um 25 % gestiegen. Auch wenn die neuesten, im November 2022 veröffentlichten Zahlen des Landwirtschaftsministeriums für die Jahre 2020 und 2021 einen Rückgang vermelden, ist Frankreich weit davon entfernt, seinen Rückstand gegenüber dem selbst gesteckten Ziel aufzuholen. Der „Nodu“ (nombre de doses unités = Anzahl der Einzeldosen), eine Kennzahl zur Erfolgsmessung, die mit allen am Ecophyto-Prozess beteiligten Parteien ausgearbeitet wurde, ist heute genauso hoch wie vor zehn Jahren. Im Verhältnis zur landwirtschaftlich genutzten Fläche werden in Frankreich mehr Pestizide eingesetzt als im europäischen Durchschnitt.
Laut den Forschenden des Nationalen Forschungsinstituts für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt (INRAE) war das Scheitern des Ecophyto-Plans vorhersehbar, denn der Plan konzentriert sich allein auf die Praktiken in der Landwirtschaft und bei der landwirtschaftlichen Beratung. Dabei wurden die weiteren Auswirkungen der bestehenden und bei allen Beteiligten etablierten wirtschaftlichen und technischen Strategien ignoriert.
Diese Strategien fördern weiterhin landwirtschaftliche Systeme, in denen Pestizide eine zentrale Rolle spielen. Sie sind technisch und in ihren Beziehungen untereinander so stark verzahnt und um ein Netzwerk von beteiligten Parteien, Normen und Praktiken herum aufgebaut, dass sie sich gegenseitig aufrechterhalten. Berücksichtigt man diese systemischen Beziehungen der verschiedenen Interessengruppen untereinander nicht, kann man keine bedeutenden Veränderungen anstoßen.
Um die gesetzten Ziele zu erreichen, müssen vor allem die Finanzmittel umfassend neu ausgerichtet werden, um die landwirtschaftlichen Betriebe beim ökologischen Wandel zu unterstützen. Eine im Jahr 2021 von der „Fondation pour la Nature et l’Homme“ (Stiftung für die Natur und den Menschen) veröffentlichte Studie wies auf einen eklatanten Mangel an öffentlichen Geldern hin, die direkt in die Verringerung des Pestizideinsatzes fließen. Der mit 71 Millionen Euro jährlich ausgestattete Ecophyto-Plan erscheint damit wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Insgesamt stehen zu wenig Mittel zur Verfügung, um eine wirkliche Trendwende herbeizuführen und die gesetzten Reduktionsziele zu erreichen.
Dennoch wurde Frankreich mehrfach eine Vorreiterrolle beim Verbot bestimmter Produkte zugeschrieben. Im Jahr 2016 beschloss die Nationalversammlung das vollständige Verbot von fünf Neonicotinoiden ab Juli 2020, 2017 formulierte Emmanuel Macron die Verpflichtung, innerhalb von drei Jahren aus der Verwendung von Glyphosat auszusteigen (diese Ankündigung hat er inzwischen zurückgenommen). An diesen in die öffentliche Debatte eingebrachten Vorschlägen gab es jedoch einige Kritik: vor allem verschlechtern diese Maßnahmen die Wettbewerbsposition der französischen Landwirtschaft gegenüber anderen europäischen Ländern. So wies zum Beispiel ein im September 2022 veröffentlichter Bericht des Senats zur „Wettbewerbsfähigkeit französischer Bauernhöfe“ auf Unterschiede im Zugang zu Pestiziden zwischen Frankreich und Polen hin.
In der Debatte um Vorschriften, die strenger sind als von der EU vorgegeben, wurde im März 2023 in der Nationalversammlung ein Entschließungsantrag zur Bekämpfung der „Übererfüllung von Umsetzungsvorschriften“ in der Landwirtschaft eingereicht. Diese Wahrnehmung wird allerdings durch eine von der Vereinigung „Générations Futures“ erstellte Rangliste der 27 EU-Staaten widerlegt, in der diese nach der Anzahl der dort zugelassenen Wirkstoffe (von 453 in Europa erlaubten) angeordnet sind. Mit 291 zugelassenen Pestiziden liegt Frankreich auf dem dritten Platz – eine Benachteiligung der französischen Landwirtschaft im Vergleich zu anderen EU-Ländern ist also zumindest fraglich.
Das Zieldatum des Plans Ecophyto II+ rückt näher und für 2030 ist ein neuer Ecophyto-Plan vorgesehen. Das Ziel, den Pestizideinsatz um 50 % zu reduzieren, wurde nicht erneut bestätigt, obwohl es in Frankreich seit 2008 einer der wichtigsten Richtwerte war. Die Regierung hat angekündigt, dass man sich künftig, außer bei einer Gefährdung der öffentlichen Gesundheit, nur noch im europäischen Rahmen bewegen werde. Ende März 2023 bat dann das französische Landwirtschaftsministerium die ANSES (französische Behörde für Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz und Arbeitsschutz), sie möge ihr Verbot von S-Metolachlor neu bewerten. Rückstände dieses Herbizids, das vor allem in Monokulturen von Mais, Soja oder Sonnenblumen eingesetzt wird, wurden im französischen Grundwasser in Konzentrationen gefunden, die weit über den EU-Normen liegen. Zudem steht die Substanz laut der Europäischen Chemikalienagentur seit Juni 2022 im Verdacht, krebserregend zu sein. Eine Entscheidung der Europäischen Kommission in diesem Punkt wird nicht vor Ende 2024 erwartet.
Im Jahr 2021 haben also 3,4 Millionen Franzosen mit Rückständen von S-Metolachlor versetztes und daher nicht den Vorschriften entsprechendes Wasser getrunken. Daher ist dieses Vorgehen in mehrerlei Hinsicht beunruhigend: Wie – und wie ambitioniert – wird die französische Regierung ihre Politik in Bezug auf Pestizide in den kommenden Jahren fortführen? Es scheint darauf hinauszulaufen, dass die Politik Entscheidungen an sich zieht, die bisher anhand wissenschaftlicher Fakten von unabhängigen Agenturen und Instituten getroffen wurden.
Quellen:
S.54: frz. Landwirtschaftsministerium, November 2022, Indicateur de vente des produits phytopharmaceutiques, https://bit.ly/41xAB4d ; S.55 oben: Générations futures, März 2023, La FNSEA et l’autorisation des pesticides : Lobbying et grosses ficelles, https://bit.ly/3otvkMr ; S.55 unten: Think Tank der Fondation Nicolas Hulot, Februar 2021, Réduction des pesticides en France : pourquoi un tel échec ? https://bit.ly/41ygNhm ; Le plan Ecophyto de réduction d’usage des pesticides en France : décryptage d’un échec et raisons d’espérer - L. Guichard et al., veröffentlicht durch EDP Sciences 2017 https://bit.ly/2PV35Bb ; Plan Ecophyto II+ - https://bit.ly/43SAwKd ; Compétitivité de la Ferme France – Informationsbericht von MM. Laurent DUPLOMB, Pierre LOUAULT und Serge MÉRILLOU, im Namen des Ausschusses für wirtschaftliche Angelegenheiten im französischen Senat, https://bit.ly/3HbPaCt.