Italienische Gastarbeiter*innen in Deutschland - „Sowohl als auch- Die Zweite Generation“. Folge 2/3

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Also für mich war Italien immer das Besondere, Italien was ich mir vorgestellt habe, was hier großgeworden ist, was Italien kennt aus den Sommerferien bei den Großeltern, wo natürlich im Sommer alles wunderschön ist. Die Sonne, die Wärme, die Herzlichkeit, das Familienessen, ganz viele Leute um einen herum. Und das hatte ich immer in mir, diese Italinitá, so wie ich sie mir vorgestellt habe. Und wie ich sie natürlich auch in Deutschland gelebt habe. Natürlich bin ich auch hier italienisch großgeworden. Meine Eltern haben immer mit mir italienisch gesprochen, italienisch wurde gegessen. 

Host (Emily) Das war Claudia Davino- eine Radiojournalistin des WDR aus Köln über ihre italienische Identität. Claudia ist Ende der Siebzigerjahre als Tochter süditalienischer Gastarbeiter in Nordrhein Westphalen geboren. Zuhause wurde italienisch gesprochen- aber die Schule, der Freundeskreis und später das Studium waren deutsch. Sie ist also eine typische Repräsentantin der sogenannten zweiten Generation. Anlässlich des 70 jährigen Jubiläums des ersten Anwerbeabkommens von Gastarbeiterm nach Deutschland im Dezember 1955, sprechen wir über die erste und die zweite Generation- und über die italienische Popkultur in Deutschland.

Wie ihr schon im ersten Teil unseres Böll-Podcast-Dreiteilers zu den Gastarbeitern erfahren habt, ist die italienische Community zahlenmäßig nach der türkischen und polnischen, die drittgrößte in Deutschland. Schätzungen zufolge leben ca. 850 tausend italienischstämmige Menschen in Deutschland. Etwas weniger als die Hälfte davon ist hier geboren- stellt also die zweite Generation, um die es heute gehen soll: Wie sind aus Italienern und Italienerinnen Deutsche geworden? In welchen Gruppen und Organisationen haben sie sich getroffen und treffen sich heute? In welchen Medien arbeiten sie? Und sind sie immer noch unsichtbaren Barrieren ausgesetzt, oder haben sie sich eigentlich ziemlich gut integriert? Darüber spreche wir mit einer Demographin, einer Journalistin, einer Sprachenlehrerin und einer neu Zugezogenen Literaturwissenschaftlerin. Und darüber spreche ich mit Lukasz Tomaszewski. Er hat diese Folge recherchiert: Ciao Lukasz!

Lukasz: Ciao Emily: bevor wir diese Episode starten, möchte ich dir erzählen, warum mir das Thema persönlich sehr am Herzen liegt. 

Emily: Ich bin gespannt…

Lukasz: Ich habe viele Freunde in Italien und fahre jedes Jahr mehrmals hin. Zufällig hat es sich so ergeben, dass ich meine italienische Home-Base im Süd-apulischen Salento aufgebaut habe. Und dort werde ich regelmäßig im Supermarkt oder auf der Straße auf Deutsch angesprochen. Anders als am Gardasee oder der Toskana gibt es hier aber keinen deutschen Tourismus. Du ahnst es: Die Menschen, die sich mit einem Züricher, Münchener oder Kölner Dialekt an mich wenden, sind zurückgekehrte Gastarbeiter. Aus dem ländlichen und armen Apulien kamen sie in die industriellen Ballungsräume der Schweiz und Westdeutschlands und sind nach 20 oder 30 Jahren in nach Italien zurückgekehrt. Und als wir im Team diesen Podcast entwickelt haben, sagte unser italienische Referent: „Das wäre doch auch spannend ihre Stimmen zu hören“. Ende Oktober habe ich also im kleinen Dorf Cutrofiano den 83 jährigen Buchhalter Antonio Lagna getroffen. 

OT1 Antonio Lagna
Ich heiße Antonio Lagna, und ich wohne im Salento- Süd-Apulien.

Antonio hat zunächst 1962 ein Jahr lang in Frankfurt am Main in einer Kunststofffabrik gearbeitet- und dann 1968-1981 in Düsseldorf und Köln. Und zwar in der italienischen Außenhandelskammer. 

Emily: Das heißt er ist seit 44 Jahren schon wieder in Italien…

Lukasz: Ja, aber die Zeit in Deutschland hat ihn geprägt. 

OT2 Antonio Lagna
Meine Arbeit war italienische und deutsche Firmen zusammenzubringen. Wir hatten ein Center, wo wir mindestens 30 Ausstellungen gemacht haben. Fast wie eine kleine Messe. Und wir haben für Weine, für alle italienischen Produkte um in den deutschen Markt anzuführen. Damals waren wir viele Italiener, fast sechshundert tausend. Viele sind zurückgekommen, aber viele sind dageblieben. Meine erste Frau hatte eine Tante da. Und vier Cousinen. Die sind alle in der Nähe von Düsseldorf, ich Hahn. 

Lukasz: 1981 wurde Antonio dann nach Bari versetzt und hat genau denselben Job weitergemacht- mit dem Unterschied, dass er fortan deutschen Unternehmen geholfen hat auf dem italienischen Markt Fuß zu fassen. Wir sprechen von einer Zeit in der Italien und die BRD extrem starke Handelspartner waren. 

OT3 Antonio Lagna
Wir waren die erste Exporteur Italien nach Deutschland und das Gegenteil. Damals waren sehr starke Verhältnisse. Wir hatten damals sechs Büros in Deutschland. Heute gibt es nur eins in Berlin. Es war besser damals. Davon bin ich fest überzeugt. Die jungen Leute denken etwas anders. Die sind nicht wie wir damals. Ich bin ein Sohn von dem Zweiten Weltkrieg. Ich bin 42 geboren und wir hatten andere Gedanken. 

Emily: Was meint Antonio damit?

Lukasz: Er meint damit das Mindset der Nachkriegsgeneration, das starke Verlangen sich aus der Armut herauszukämpfen. Das haben wir schon in unserer ersten Podcastfolge gehört. Damals herrschte unter den Gastarbeitern ein Credo: Wir gehen für ein paar Jahre nach Deutschland, verdienen Geld, leben sparsam und vom Ersparten bauen wir ein Haus in der Heimat. Und genau das haben hunderttausende gemacht. 

Mir hat neulich ein junger Mann im Salento gesagt: Ich bleibe hier. Als mein Vater in der Schweiz gearbeitet hat, konnte er sich dort und hier ein Haus bauen- wenn ich heute in die Schweiz gehe, dann kann ich mir weder dort noch hier eines leisten. Das ist anders heute- und später werden wir auch noch auf die Perspektiven einer jungen Italienerin in Berlin schauen. Aber ich möchte noch einen kurzen Moment im Salento bleiben. Denn eines vergessen wir oft, wenn wir über die Gastarbeitergeneration sprechen. Was haben eigentlich die Menschen gemacht, die geblieben sind? Für den Bauzeichner Luigi Congedo- heute 76- ist ab den Sechzigerjahren ein komplett neuer Markt entstanden. 

 

OT4 Luigi Congedo
Nach ein paar Jahren sind sie aus der Schweiz mit einem schönen Auto zurückgekommen. Dort haben sie es kaum benutzt, sie kauften es nur um Zuhause ihren relativen Reichtum zu demonstrieren. Und dann haben sie angefangen hier zu investieren und bauten sich ein Haus. Ich habe 1966 angefangen zu arbeiten. In den Siebzigern war die Hochphase dieser totalen Emigration, dieser Menschen die kamen, um zu investieren. Ich habe also von Anfang an sehr gut verdient, weil es einen richtigen Boom bei der Auftragslage gab. Es gab so viel Arbeit, dass ich nach zwei Jahren die Uni geschmissen habe, weil es sehr befriedigende Arbeit gab. Man verdiente gut. Und das Leben hat mir im Ergebnis Recht gegeben. 

Lukasz:Luigi hat in seiner Karriere hunderte von Häusern für Gastarbeiter gezeichnet. Später haben seine beiden Söhne das Geschäft übernommen. 

Emily: Emigration und Arbeitskraft wird natürlich gerne wirtschaftlich verhandelt und gemessen. Und es ist ja erstaunlich zu hören wie die italienischen Gastarbeiter in ihren armen Herkunftsregionen zum Wirtschaftswachstum beitrugen. Aber was hat das sozial bedeutet? 

Lukasz: Guter Punkt. Und auch meine Überleitung zur zweiten Generation in Deutschland. Denn viele der ersten Generation sind zurückgekehrt. Aber wenn die Kinder ein gewisses Alter erreicht hatten, dann war das nicht einfach! Hören wir nochmal Luigis Beobachtungen.

OT5 Luigo Congedo
Wenn nur der Ehemann, der Vater, das Familienoberhaupt ging. Dann blieb die Mutter mit den Kindern. Wenn beide Elternteile gingen, dann blieben die Kinder bei den Großeltern. Achtzig Prozent unserer Emigranten sind zurückgekehrt. Wenn sie mit der ganzen Familie und den Kindern gegangen sind, dann haben sich die Kinder meistens integriert. Wenn du mit einem Zehnjährigen gehst und zehn Jahre bleibst, dann ist klar: Er findet eine Freundin und passt sich an. Und dann ist es schwer zurückzukommen. Manche haben dort studiert. Die Eltern sind dann meistens trotzdem irgendwann zurückgekehrt in der Hoffnung, dass auch die Kinder folgen. Aber die meisten Kinder kommen nicht mehr zurück.

Lukasz: Und so haben wir unseren Podcast über die zweite Generation der italienischen Einwanderer in Deutschland aus einer anderen Perspektive gestartet: Aber ab jetzt beamen wir uns nach Deutschland und bleiben auch hier! 

Eins dieser vielen italienischstämmigen Kinder in Deutschland ist Claudia Davino. Wir haben ihre Stimme ganz am Anfang gehört. Ihre Eltern kommen aus der Gegend von Neapel- In der Anfangsphase haben sie die erste Tochter bei der Nonna- der Oma- gelassen, später nachgeholt. Die zweite Tochter Claudia ist schon hier geboren. 

OT 6 Claudia Davino
Ciao, ich bin Claudia Davino, Journalistin, lebe in Köln und bin Kind von Gastarbeitern. Meine Eltern, für die war von vornherein klar, dass sie sich hier eine Zukunft aufbauen wollen. Vor allem für meinen Vater, während für meine Mama etwas emotionaler die Bindung nach Italien war. Für meine Vater war klar, er möchte sich hier eine Zukunft aufbauen und hier bleiben, weil das das Land war, wo er bessere Zukunftsaussichten hatte. Aber für die war eigentlich klar: Das ist mein Land. 

Claudias Eltern haben hart malocht. Ihr Vater soll gesagt haben: „Ja, die Sonne des Südens ist schön, aber man kann sie nicht essen“. Und weil klar war, dass sie in Deutschland bleiben wollen, haben sie Claudia auch italienische Sprache und Kultur mitgeben wollen, damit sie es nicht verliert….

Emily: Wir haben Claudia ja schon ganz am Anfang über ihre Italianitá- also ihre Identität- sprechen hören. Das klang etwas romantisierend- vielleicht so, wie sich Migrantenkinder die Heimat der Eltern vorstellen, sie für wenige Wochen im Jahr im Sommer am Meer erleben. Aber sie sprach da ja auch von der italienischen Kultur, die die Familie in Deutschland gepflegt hat. Italienisches Essen, die Sprache: Wie sah das genau aus bei ihr?

Lukasz: Man kann sagen sie hatte Glück, denn in Nordrhein Westphalen haben sich die Gastarbeiter eine eigene Infrastruktur aufgebaut!

OT7 Claudia Davino
Die Leute wollten mehr erfahren. Ich musste in der Schule Tarantella tanzen zum Beispiel (lacht)- ok das ist auch etwas beschränkt auf eine Art, aber irgendwie war das auch Teil unsere Kultur zu verbreiten in der deutschen Schule. Und irgendwie wollte ich dann wissen: Wie ist die denn wirklich diese Italianitá? Auch über die Sprache: Ich bin immer zum muttersprachlichen Ergänzungsunterricht gegangen, also zusätzlich zum deutschen Unterricht bin ich zur italienischen Schule gegangen. Das war meinen Eltern auch total wichtig, dass ich da auch Hochitalienisch lerne. 

OT8 Edith Pichler
Ja das war so damals diese Siebzigerjahre, das war schon die Zeit wo sich die Italiener etabliert haben. Im Sinne, dass sie beschlossen haben hier zu bleiben. 

Die Stimme von Edith Pichler haben viele wahrscheinlich aus unserer ersten Folge wiedererkannt. Die Sozialwissenschaftlerin ist eine der besten Expert*innen für die Geschichte und Gegenwart italienischer Migration nach Deutschland. 

Dann kam es zu Familienzusammenführungen, dann kamen die Kinder und dann wurden die ersten Elternvereine gegründet. Und die sind sehr wichtig, weil bis vor kurzem die italienischen Schüler sehr schlechte Ergebnisse in den Schulen hatten. 

Aber muttersprachlichen Ergänzungsunterricht und Elternvereine waren natürlich nicht die einzigen Organisationsformen der sich konsolidierenden italienischen Community. Die Fachliteratur spricht hier von starken Netzwerken wie zum Beispiel Kontakt zu den italienischen Institutionen wie der Botschaft, den Konsulaten, der Katholischen Kirche, den Gewerkschaften und politischen Parteien. Interessant ist, dass sich die Organisationen und Vereine unterteilen lassen in solche, die sich im Umfeld der katholischen Kirche bewegten, und jene, die die Kommunistische Partei als Referenzpunkt hatten. Im Großen und Ganzen wurde in Deutschland der in Italien existierende politische Rahmen reproduziert- nochmal Edith Pichler dazu:

OT9 Edith Pichler
Damals war es so als Ausländer, dass die Parteien nicht so tätig werden durften und so haben sie zum Beispiel Organisationen gegründet, wie zum Beispiel Rinascita, die kommunistische Partei, die Sozialistische Partei. Und es waren alle italienischen Parteien hier vertreten, man widerspiegelt hier die italienische Realität. Dann sind die Regionalorganisationen tätig geworden. Die Trentiner in der Welt, die Sizilianer. Sie haben dann auch folkloristische Organisationen gegründet, wo Tarantella gespielt wurde und so weiter. Dann gab es natürlich die Sozialdienste der Gewerkschaften und natürlich die katholische Kirche. War auch die erste, die hier war. 

Lukasz: Also ziemlich viele Strukturen, ein kleines Netz hat sich da herausgebildet mit Verbindungen zur alten Heimat aber auch der Religion. Und von den Tarantella-Gruppen hat Claudia auch schon erzählt. 

Emily: Und in diesem Netz ist die zweite Generation aufgewachsen. Wie sah es denn mit den deutschen Parteien aus? Wie haben die denn die deutsch-Italiener aufgenommen?

Lukasz: Es gab mehrere Faktoren, warum die zweite Generation nicht so gut angedockt hat bei den deutschen Parteien. Erstens waren die italienischen Parteien bis zur Wende bei den deutsch-Italienern ziemlich dominant. Und dann hat das bei der Eingliederung auch nicht so gut geklappt, erklärt Pichler.

OT10 Edith Pichler
Die Gewerkschaften waren die ersten die es den Migranten ermöglichten das passive wie das aktive Wahlrecht zu bekommen. Bei den deutschen Parteien war es etwas später, wie gesagt, weil wir ständig mit den italienischen Parteien zu tun hatten. Und das hat dann zugenommen als wir das kommunale Wahlrecht bekommen haben als EU-Bürger. Dann hat man vielleicht angefangen sich mehr zu interessieren, auch weil manche Parteien damals italienische Kandidaten aufgestellt haben. Auch auf sehr guten Plätzen. Aber dann, als sie gemerkt haben, dass nur 10 Prozent der Italiener zu Wahlen hingehen (lacht), haben sie gesagt: Na, dann nehmen wir lieber die Griechen. Die sind mehr aktiv u.s.w. Aber es ist jetzt besonders bei der Zweiten Generation, dass viel mehr Menschen aktiv sind in den deutschen Parteien. Aber, wie gesagt, es ist nicht so stark dieses Engagement und wir haben nur vier Abgeordnete im Parlament, die italienischstämmig sind. 

Emily: Interessante Herleitung- aber immerhin es gibt sie: Kannst du ein paar Namen nennen?

Lukasz: Das ist zum Beispiel Luigi Pantisano von der LINKEN oder Sarah Nanni von den Grünen. Man muss hier aber klar sagen, dass es nicht ein rein italienisches Problem ist. Denn im aktuellen Bundestag haben nur 11,6% der Abgeordneten einen Migrationshintergrund. In der Bevölkerung sind es fast 30%!

Emily: Wenn es schon nicht so viele italienischstämmige Menschen in der deutschen Politik gibt. Wie sieht es denn mit den Medien aus? 

Lukasz: Ich glaube alle medienaffinen Menschen kennen den ZEIT-Chefredakteur Giovanni Di Lorenzo- obwohl er ja schon aufs Rentenalter zugeht, ist er eigentlich auch Zweite Generation. Allerdings hat er Akademikereltern, die sich in Stockholm kennengelernt haben. Mutter Deutsche, Vater Italiener. Und Di Lorenzo hat schon in der Deutschen Medienlandschaft sehr viel dazu beigetragen einmal ein zeitgemäßes Italienbild zu vermitteln, aber auch über die Diskriminierung von Menschen mit Migrationsgeschichte zu berichten. Genauso prominent ist natürlich Tagesthemen-Sprecher Ingo Zamperoni, der ja auch schon Dokus über die italienische Politik und Gesellschaft gedreht hat. Auch er stammt aus einer deutsch-italienischen Ehe, ist Mitte der 70er in Wiesbaden geboren. 

Emily: Und dann gibt es neben Print und Fernsehen natürlich auch noch das Radio….

Lukasz: Radio Colonia vom WDR oder auch Radio Monaco vom BR. Das waren die täglichen Sendungen in der Muttersprache für die italienische Community. Und es gibt sie immer noch, heißen bloß anders. COSMO in Italiano. Hier arbeitet übrigens auch Claudia Davino. Sie moderiert auf Deutsch und Italienisch. Und diese Sendung „Radio Colonia“, das war für sie als Jugendliche eine krasse Institution. Und deswegen ist sie überhaupt Journalistin geworden!

OT11 Claudia Davino
Ich wollte dieses Italien in Deutschland fühlen, und dafür war Radio Colonia- wie die Sendung damals hieß- ein mega-Anhaltspunkt. Ich habe es immer gehört, meine Eltern haben es immer gehört, eine Institution. Und ich wollte da hin. Ich wollte auch Teil dieser Italianitá sein, schließlich war es ja der Radiosender, der auch mich angesprochen hat. Natürlich meine Eltern die hierhergekommen sind und sich hier orientieren mussten, aber für mich: Es gab eine Musiksendung, die fand ich total ansprechend. Das war so genau mein Ding. Und ist es immer noch nach wie vor!

Lukasz: Edith Pichler hat uns nochmal die Bedeutung der Sendungen in der Muttersprache bestätigt.

OT12 Edith Pichler
Das hatte schon eine Bedeutung. Und immer noch gibt es jetzt Radio Colonia, COSMO. Aber sie hat zu kämpfen, weil da wird gespart und da hat man auch vor ein paar Monaten Unterschriften gesammelt. Dass Cosmo Italia bleibt. Weil man denkt, die Italiener sind seit 70 Jahren hier, sind integriert, aber da kommen immer neue Italiener. Und die können vielleicht Deutsch nicht so gut und das ist für sie wieder wichtig. 

Lukasz: Heute laufen die Sendungen natürlich als Podcast on demand. 

Emily: Wie haben sich denn die Themen der Sendung verändert? 

Lukasz: Das ist eigentlich ganz spannend, weil so viel anders als vor 40 Jahren sind die Themen nicht, die da besprochen werden. Die Zielgruppe ist jetzt weiter gestreut. Sie richtet sich an die hier Großgewordenen. Aber eben auch an die Neuankömmlinge, die sogenannten Cervelli in Fuga. Nochmal Claudia Cavino:

OT13 Claudia Davino
Die Themen der Sendung sind jetzt noch mehr Italien-Deutschland im Zusammenleben. Es ist Deutschland verstehen aus italienischer Sicht. Denn natürlich ist uns klar, dass unheimlich viele italienische Nachzügler und immer noch ganz viele italienische Menschen in Deutschland leben. Also Menschen der ersten Generation, aber auch neue kommen, die berühmten Cervelli in Fuga, also die Leute, die in Italien keine Zukunft sehen. Auf hohem Niveau, aber eigentlich ähnlich wie damals meinen Gastarbeiter-Eltern und die auch Deutschland verstehen müssen in der Tiefe. Vor allem auch politisch. Auch sich zu orientieren, aber auch das Zusammenleben. Ein Mix aus dem was damals auch schon wichtig war: Wo ist meine Sozialversicherung, welche Rechte habe ich überhaupt als arbeitender Mensch, und heutzutage ist es auch noch mal ein anderes Niveau, aber trotzdem sich orientieren in dieser Gesellschaft. Und vielleicht auch was es heißt zurückzugehen nach Italien. 

Lukasz: Übrigens, wenn Claudia im Tagesprogramm auf Deutsch moderiert, dann streut sie immer wieder eine italienische Perspektive rein- erzählt vom neuen Aufregerthema in Italien, was gerade auf Social Media Viral geht, was ihr beim letzen Besuch passiert ist . Also: Sie bringt Italien auf die Landkarte in der hiesigen Medienlandschaft. Übrigens ziemlich sympathisch und locker. 

Emily: Ok, aber da sind wir an einem interessanten Punkt: Anerkennung versus Diskriminierung, oder Rassismuserfahrung. Wie sieht es damit aus in der Zweiten Generation? 

Lukasz: Ich kann dir selbst als Kind polnischer Einwanderer sagen: Je weniger man dir deine nichtdeutsche Herkunft ansieht und je weniger Akzent du hast, desto weniger wirst du diskriminiert. Klingt hart- ist aber so. Darum ist die zweite Generation am weniger betroffen. Dazu kommt noch eine romantisierendes Label „Bella Italia“. Claudia beschreibt das so:

OT14 Claudia Davino
…während mein Vater das Wort „Gastarbeiter“, was ich hier so selbstverständlich benutze, ihn genervt hat und er das eigentlich auch total verletzend fand, weil das hieß: Ach ja, du gehst ja sowieso wieder weg…in dem Sinne wie meine Eltern habe ich kein Rassismus erlebt, ich erlebe ihn immer nur, wenn meine Eltern dabei sind und in ihrem Akzent reden. Aber gut, bei mir sieht man es nicht, bei mir hört man es nicht. Also in dem Sinne ist meine Italianitá immer auch gefeiert worden. Ich habe gemerkt die Leute wollen mehr davon erfahren. Die Entwicklung zu denen, die jetzt kommen, ich glaube die sind noch viel mehr mit diesem verklärten Bild vieler Menschen in Deutschland über Italien, und begegnen einem eher in Klischees. Das höre ich oft: „Ach ja, Italien und Mafia, oder Italien und immer zu spät kommen, Italien und temperamentvoll. Also das wird einem sofort attribuiert und das ist naja….keine richtige Rassismuserfahrung, aber das was einen total nervt. Und dieses Süßliche, wenn man deutsch spricht mit italienischem Akzent, das sind viele auf der höchsten Ebene arbeiten: Ärzte …., die sagen: Ah, ok. Italienischer Akzent: Mal gucken was sie wirklich kann. Als müsste man sich doppelt beweisen. 

Lukasz: Ich finde das super-interessant, was Claudia erzählt. Bei der Recherche habe ich nämlich von mehreren Personen gehört, dass sie sich mit einem italienischen Akzent in Deutschland nicht ernst genommen fühlen. Eine von ihnen ist die 29 jährige Literaturwissenschaftlerin Marta Magnolfi. Sprache ist für sie und ihre Expat-Freunde eh ein Thema. Marta kommt aus Mailand, hat in Paris, Bogotá und London studiert. Nach Berlin kam sie wegen eines guten Jobangebots bei einem großen Audiobook-Verlag. Sie ist das typische Beispiel der sogenannten Cervelli in Fuga. 

OT15 Marta Magnolfi
Ich bin Marta, komme aus Mailand und bin vor etwas mehr als zwei Jahren wegen der Arbeit nach Berlin gezogen. Ich habe nie geplant nach Berlin zu ziehen. Meine drei Fremdsprachen hätten mich in andere europäische Hauptstädte bringen können und ich spreche kein Deutsch. Ich habe nicht einmal aktiv in Berlin gesucht, aber das Angebot kam zu mir. Ich war vorher schon oft nach Berlin gekommen, weil zu Studienzeiten mehrere Freundinnen hier Erasmus gemacht haben. Ich habe sie regelmäßig besucht und kannte schon die Szene. Und das Jobangebot war gut. Also habe ich nicht lange nachgedacht und habe zugesagt. 

Lukasz: Marta und ihre Freunde kommen von der ganzen Welt und sind für eine bestimmte Zeit nach Berlin gekommen. Meistens arbeiten sie in internationalen Unternehmen oder Startups. Deutsch lernen, lohnt für viele einfach nicht. 

OT16 Marta
Weniger als 20 Prozent der Mitarbeiter waren Deutsche. Man arbeitet auf Englisch und die meisten Mitarbeiter sprechen kein Deutsch. Du kommst dir wie in einer Blase vor, weil auch alle Hinweisschilder im Gebäude und in den Büros auf Englisch sind. Und die meisten Deutschen hier sprechen- verglichen mit Italien- auch ein sehr gutes Englisch- zum Beispiel in diesem Viertel (Neukölln), wo wir gerade sind, wo ich und die meisten meiner Freunde leben. Hier sind die meisten Plakate auf Englisch, in den Bars sind die Menus auf Englisch. Die Motivation deutsch zu lernen ist also gering. Jetzt mache ich einen Sprachkurs und versuche mich in dieser Hinsicht anzupassen. Aber es ist auch eine schwierige Sprache. Und wenn du nur für eine Zeit bleibst, dann lohnt es sich kaum.

Emily: Wow, das ist mal echt eine Ansage, aber auch irgendwie verständlich wenn alles auf Englisch ist, dann ist der Druck auch nicht so hoch. Wobei das sicher auch eine Besonderheit in Berlin ist. Ist es denn so, dass wir in dieser jungen Generation der dreißigjährigen Akadamiker schon von einer neuen Welle der Migration sprechen können?

Lukasz: Laut der Soziologin und Migrationsexpertin Edith Pichler ist das so!

OT17 Edith Pichler
Wenn man sich die Daten anschaut, dann sind das nur ein Drittel der Italiener, die nach Deutschland kommen, haben einen Uni-Abschluss. Aber es kann sein, dass dieses Drittel vorwiegend nach Berlin kommt. Wahrscheinlich ein Ingenieur geht nach München oder nach Stuttgart, und wer Kommunikationswissenschaften studiert hat, kommt nach Berlin. Das ist verschieden. Aber es gibt eine neue Erwerbsmigration, weil in Italien die Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen ist sehr hoch. Und im Unterschied zu damals, zu der ersten Generation: Diese sind vorwiegend im Dienstleistungssektor beschäftigt. Und das bedeutet auch dann, dass sie nicht so geschützt sind wie die erste Generation durch die Gewerkschaften usw. Es scheint, dass hier fast ein neues Dienstleistungsproletariat entsteht. Aber einige spielen die gleiche Rolle in der Wirtschaft, wie die Gastarbeiter damals. 

Lukasz: Marta bestätigt das übrigens. Sie sagt: Ja, der ökonomische Faktor spielt auf jeden Fall eine Rolle. Hier verdient man besser als ein Berufseinsteiger in Italien. Aber im Unterschied zu damals ist die Flexibilität höher. Viele sagen: Wenn es mir hier nicht gelingt, oder nicht mehr gefällt, dann gehe ich halt woanders hin. Heute sind die Dreißigjährigen viel öfter kinderlose Singles als vor 30-40 Jahren. Sie müssen gar keine Langzeitplanung betreiben. Diese soziale Mobilität hat übrigens auch viel mit der ausgebauten Infrastruktur in Europa zu tun. Anna Quaroni kennt noch die Zeiten, als das ganz anders war. 

OT18 Anna Quaroni
Ich bin Anna Quaroni, ich bin gebürtige Mailänderin, ich bin jetzt 58 Jahre alt und von Beruf bin ich Italienisch-Dozentin, hauptsächlich im Auswärtigen Amt. 

Anna ist 1987 als Germanistikstudentin aus Mailand nach West Berlin gezogen. Sie ist nur ein Jahr geblieben: Denn es war kalt und grau und die Stadt war geteilt. Sie ist zurück gegangen ins moderne und boomende Mailand und wenig später ist ihr damaliger Mann nachgezogen. Sie haben fast 20 Jahre lang in Italien gelebt, beide Kinder sind dort geboren. Doch 2008 waren die beruflichen Perspektiven in Deutschland besser. Also sind sie wieder nach Berlin gezogen. 

OT19 Anna Quaroni
Ich finde das ist auch alles viel einfacher geworden. Ich bin groß geworden mit Italien und Deutschland und Grenzen und anderer Währung und die Reise war immer teuer und lang. Aber heutzutage ist das alles viel näher und es geht viel schneller. Und das gibt mir auch die Möglichkeit die Verbindung aufrecht zu erhalten oder zu pflegen. Für mich persönlich ist es so, dass ich diese Identität ein wenig verloren habe. Es liegt auch daran, dass ich seit fast 20 Jahren keine Familienangehörige mehr habe in Italien. Das ist für viele auch diese Hauptverbindung: Ich muss nach Italien, weil ich die Familie besuchen muss. Für mich ist es eigentlich nur ein Vergnügen, ein Aperitif mit Freunden.

Emily: Jetzt sind wir am Ende dieser Folge wieder bei der Identität gelandet. Der Italianitá! Würdest du sagen: Die spielt heute nicht mehr so eine große Rolle bei in Deutschland lebenden Italienerinnen und Italiener? Einfach dadurch, dass deine Gesprächspartnerinnen immer nach Italien reisen können, wenn sie wollen? Und heißt das auch, dass es keine wirkliche italienische Community in Deutschland gibt?

Lukasz: Die Antworten fallen total unterschiedlich aus: Fangen wir mit der Soziologin Edith Pichler an!

OT20 Edith Pichler
Das gibt immer noch eine Art Community: das ist nicht mehr so eine Diaspora, aber das hängt auch von Region zu Region. Zum Beispiel in Berlin haben wir eine ganz andere Migration erlebt. Da sind nicht die typischen Gastarbeiter gekommen. Also, die nennen ich die Rebellen oder die Postmodernen. Also, die häufig ein gutes kulturelles Kapital hatten und natürlich ganz andere Initiativen gegründet haben, die mehr kulturell waren, zum Beispiel. Man könnte sagen: Auf der einen Seite sind wir verschmolzen, eingeschmolzen, sind zusammengekommen. Auf der anderen Seite gibt es immer noch eine Art Community.

Emily: Und wie sieht diese Community aus- zum Beispiel in Berlin?

Lukasz: Naja, ich habe Marta extra gebeten, dass wir uns an einem typischen Ort der jungen italienischen Community treffen. Und sie hat mich in eine Bar in der Neuköllner Lenaustraße bestellt. 

OT21 Marta 
Wir sind im Oblomov, einer Bar im Reuterkiez. Eine Art italienische Kneipe. Hier gibt es viele Events: italienische Standup-Commedy, Bücherpräsentationen- auch Konzerte von independent-Musikern. Die Besitzer sind auch Italiener. Spezielle italienische Drinks. Es hat eine Art Heimatgefühl. Fast alle unsere Tischnachbarn sind Italiener, und in diesem Viertel ist die italienische Dichte auch relativ hoch. Man hört italienisch auf der Straße und zweihundert Meter weiter ist das Barettino- eine weitere italienische Bar. 

Marta hat mir erzählt, dass sie sich nur in Italien so richtig Zuhause fühlt. Und kulturell näher in Ländern wie Spanien und Frankreich. Sie sagt aber auch, dass es mit der Sprache zu tun hat. Die meisten ihrer Friends sind- wie sie- Expats. Und ihre Deutschen Freunde haben oft lange Zeit im Ausland gelebt. 

Auch Anna trifft sich gerne mit ihren italienischen Freunden in einem Restaurant, in dem sie mit dem Besitzer auf italienisch sprechen kann. Aber dieses Heimatgefühl, eine italienische Identität, empfindet sie nicht mehr so stark:

OT22 Anna
Also meine Kinder waren in einer bilingualen Schule. Sie sprechen also sehr gut italienisch. Also es gibt eine Verbindung. Sie reisen gerne dahin, aber ich glaube die Identität…also ich bin Italiener! Das ist…eher schwach. Also ich habe das auch nicht unterstützt, im Sinne, dass für mich eher eine europäische Identität jetzt wichtiger ist. Also jetzt zu vermitteln: Ah, du bist Italiener, du bist in Italien geboren und musst das und das denken und das ist Italien! Und dieses Konzept von Nationalismus oder von Heimat, es ist in dieser Generation auch nicht mehr präsent. Und ich finde es auch gut so. 

Emily: Und was sagt die Gastarbeiter-Tochter aus Köln? Journalistin Claudia Davino?

Lukasz: Ich habe mit ihr darüber gesprochen, dass die Zweite Generation ja immer damit gestraft ist, dass sie in der Heimat der Eltern die Fremden sind und in ihrem Geburtsland-also Deutschland- irgendwie auch. Gibt´s natürlich auch unter Polen und Türken und allen anderen. Und der einzige Weg um aus diesem Dilemma rauszukommen, ist es, sich einer Umdeutung, eines neuen Narrativs zu bedienen. Das was Anna gerade angedeutet hat, die europäische Identität- Wir sind nicht: Weder noch, sondern sowohl als auch! 

OT23 Claudia
Wenn ich in den Urlaub fahre in mein Dorf, dann hat mich schon immer genervt, dass die Leute sagen: Ah, da kommen die Touristen. Weil, ich habe mich nie als Touristin verstanden, sondern als Italienerin, die in Deutschland lebt. Und dann gab´s so Wörter wie i forestieri. Die Außerhalb lebenden…wie die Fremden. Ich hatte einmal so einen Clou-Moment, wo mir eine deutsche Freundin, mit der ich in Italien war, gesagt hat: Ej, sobald du in Italien bist, fährst du anders Auto und sprichst du anders. Mag sein, dass das dann vielleicht so der Switch ist, den ich gar nicht merke. Und das Zurückkommen ist dann auch, es sind kleine Momenten wo man denkt: Ach ja, jetzt bin ich wieder in dem anderen Land angekommen. Ja, wir sind „sowohl als auch“ würde ich total unterstreichen. Weil das ist Teil unserer DNA. Und ich glaube das Geheimnis ist, das auch so anzuerkennen- früher hat man das immer verglichen und gesagt: Da ist es schöner oder hier ist es nicht so schön. Und ich glaube das ist das Ding was sich in unseren Köpfen erstmal festsetzen muss, dass es „sowohl als auch“ ist. Und das ist ja auch das Schöne!

Lukasz: Ja, frag vier Leute und du kriegst vier unterschiedliche Antworten! Aber alle haben ihre Berechtigung. 

Emily: In der Frage gibt es kein richtig oder falsch…

Lukasz: Nee, nur „sowohl als auch“- dazwischen! Schön ist ja zu hören, dass Europa langsam aber stetig zusammenwächst, und durch diese binationalen Identitäten wird es immer normaler beides zu sein. 

Emily: Lukasz: Danke für deine zweite Folge zum Podcast über die zweite Einwanderer-Generation der Italiener in Deutschland. An dieser Stelle nochmal die Hörempfehlung der ersten Folge zur ersten Generation: Wie alles angefangen hat vor 70 Jahren! Und natürlich auch Folge Drei: Da geht es um den Input der italienischen Popkultur in Deutschland. 

Lukasz: Kann ich nur bestätigen. Unbedingt hören- und wenn ihr schon dabei seid, dann abonniert auch gerne unseren Kanal! Ihr findet Böll-Podcast auf allen gängigen Streamingkanälen- lasst gerne ein paar Sterne da, wenn es euch gefallen hat. Bei Feedback schickt uns ne Mail an podcast@boell.de

Das ist eine Produktion des Audiokollektivs. Wir sind: Lukasz Tomaszewski und…

Emily: Emily Thomey

Lukasz: Ciao a tutti!

Emily: Ci sentiamo ragazzi!