Russlandbeziehungen belasten rechte Koalition auf der Suche nach "Normalisierung" - Unentschlossene als derzeit größte politische Kraft in Italien

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Die italienischen Wahlen sind in drei Tagen, das Rechtbündnis liegt in den Umfragen weiterhin vorne. Dennoch gibt es erste Unstimmigkeiten zwischen den rechten Parteien vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine. Die Enthaltungen und die Unentschiedenen können (noch) eine wichtige Rolle spielen, jedoch ist keine republikanische Front in Sicht.

EU-Flagge und Italienische Flage auf einem Balkon in Bellagio

Die Rechts-Parteien: Gegen Putin, wenn es denn sein muss, erstmal

Vor nicht langer Zeit zeigte sich Matteo Salvini, Generalsekretär der „Lega“, gern öffentlich mit einem T-Shirt, auf dem der  Kopf von Putin abgebildet war. Vor nicht langer Zeit umarmte Silvio Berlusconi, Gründer und Chef von „Forza Italia“, seinen Duzfreund Putin in dessen Datscha. Vor nicht langer Zeit sagte Giorgia Meloni, Führerin der „Fratelli d'Italia“ (FdI): „Wir schauen mit Interesse auf das Russland Putins und auf das Indien Modis. Eine Koordinierung ist nötig, um zu wissen, dass wir nicht allein stehen und dass andere unsere Ideen teilen“[1].

Das alles ist heute, im italienischen Wahlkampf, nicht mehr „politically correct“ und könnte Wähler*innen verscheuchen. Darum befiehlt Meloni jetzt ihrer Parteibasis, unter Androhung von „sofortigen Konsequenzen“, ganz schnell umzudenken. „Die Entscheidung Russlands, die Ukraine anzugreifen, zwingt uns zur Übernahme von Verantwortung, der eine patriotische Kraft wie die unsrige nicht ausweichen kann. Angesichts eines militärischen Angriffs auf den Westen, jenseits aller Diskussion um Verantwortlichkeiten, ist es erforderlich, uns mit unseren Alliierten kurzzuschließen“[2]. Berlusconi erklärt sich „enttäuscht“ von seinem vormaligen Kameraden Putin und bietet sich als Vermittler zwischen der EU und Russland an[3].

Furore hat in diesen Tagen ein Interview der Zeitung „Repubblica“ mit der ehemaligen Vertrauten und Beraterin von Trump Julia Friedländer gemacht, in dem von ihr als sicher hingestellt wird, dass Salvini finanzielle Unterstützung von Russland erhalten habe und weiterhin erhalte. Salvini bestreitet das und kündigt rechtliche Schritte an. Der Außenminister Di Maio aber fordert die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission zur Aufdeckung ausländischer Finanzierungen von italienischen Parteien.

Tatsache ist, dass die „Lega“ im Jahr 2018 eine formelle vierjährige Übereinkunft mit der Putin-Partei „Einiges Russland“ eingegangen ist, die im März 2022, inmitten des Ukraine-Kriegs, stillschweigend verlängert wurde. Salvini hat sich noch kürzlich gegen die über Russland verhängten Sanktionen geäußert und militärische Hilfe Italiens an die Ukraine abgelehnt.

Aber eine offen russlandfreundliche Politik kommt derzeit bei den Wähler*innen nicht gut an. Das erfordert von den Parteien, die aus ihrer ideologischen Nähe zu Putin keinen Hehl gemacht haben, eine rasche Kehrtwendung. Viele Beobachter meinen, dass die vorsichtiger gewordenen Äußerungen nur ein taktisches Wahlmanöver darstellen, das nur vorübergehend die Zustimmung zu Putins nationalistischer, autoritärer und undemokratischer Politik zu überdecken versucht.

Wer ist der/die Rechteste im ganzen Land?

In der Außen- und Europapolitik tut sich die Wahl-Koalition der Rechts-Parteien insgesamt schwer. Im Europäischen Parlament (EP) gehören die drei Koalitionspartner drei verschiedenen Fraktionen an. Die „FdI“ ist Teil der Fraktion der Konservativen und Reformer (EKR), zusammen mit der polnischen „Recht und Gerechtigkeit“-Partei von Jaroslaw Kaczynski, mit der neo-francistischen spanischen „Vox“, der deutschen Liberal-Konservativen Reformer“ und des niederländischen „Forum für Demokratie“[4].

Die „Lega“ ist die stärkste Gruppe in der europäischen Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID), gebildet u.a. aus der Alternative für Deutschland (AfD) und dem „Rassemblement National“ von Marine Le Pen. Salvini aber möchte schon seit einiger Zeit eine neue rechts-konservative Fraktion aufbauen, eventuell zusammen mi Victor OrbánsFidesz“, die 2021 aus der Europäischen Volkspartei (EVP) gezwungenermaßen ausgestiegen ist.

Berlusconis „Forza Italia“, gehört, zusammen mit der CDU/CSU, im Europäischen Parlament der EVP Fraktion an. Die Partei, die sich selbst als Formation der „Mitte“ ansieht, hat jetzt sogar den Namen „Partito Popolare Europeo“ in ihr Logo für die Wahlen aufgenommen. Die EVP Fraktion wäre aber vermutlich nicht begeistert, wenn sich eine ihrer Mitgliedsparteien an einer Regierung zusammen mit den noch bis gestern euro-skeptischen Partnern „Lega“ und „FdI“ beteiligen würde. Ein Ausschluss aus der Fraktion, nach dem Vorbild der ungarischen „Fidesz“, erscheint nicht ausgeschlossen[5].

Die Zersplitterung der rechten Wahl-Koalition Italiens im Europäischen Parlament bringt natürlich Widersprüche und Verwirrungen mit sich. Meloni, traditionell in weitgehender Übereinstimmung mit und Bewunderin von Victor Orbán, dessen Vertreter im EP noch einmal am 14. September anlässlich der Debatte um die Rede von Von der Leyen über den Stand der Union die Sanktionen gegen Russland in Frage gestellt haben, geht jetzt eher zusammen mit dem polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki in der Orientierung zu Russland und dem Ukraine-Krieg. Sie hat sich aber im Juli in Spanien bei einer Versammlung der „Vox“ feiern lassen.

Salvini befürchtet, dass die ganz neue Putin-feindliche Position Melonis und überhaupt ihr Bemühen, sich als zukünftige Staatsfrau gemäßigt zu gerieren, die „Lega“ und ihn selbst zu weit in die rechtsradikale Ecke stellen und damit noch mehr den Schwund seiner Partei in der Wählergunst befördern könne.

Am 15. September haben die Fraktionen ID und EKR geschlossen, also einschließlich der „FdI“ und der „Lega“, gegen die mit großer Mehrheit verabschiedete Resolution des Europäischen Parlaments gestimmt, in der festgestellt wird, dass Ungarn unter der Regierung Orbáns zu „einem hybriden System der Wahlautokratie“ verkommen ist und dem Land damit praktisch der Status einer parlamentarischen Demokratie abgesprochen wird. Berlusconi  hat sich sofort von dieser Haltung seiner Koalitionspartner, die der Position der EVP entgegenläuft, distanziert.  

Über Russlands Versuche, die italienischen Wahlen – wie einst die amerikanischen – mit allen kommunikativen, geheimdienstlichen und finanziellen Mitteln zu beeinflussen, wird in diesen Wochen vor den Wahlen viel gesprochen. Jenseits aller kurzfristigen Wahlkampfrhetorik erhoffe sich Russland, so wird gesagt, eine Bresche in die relativ einheitliche Haltung der EU zur Ukraine-Krise, zu Sanktionen und Militärhilfen und längerfristig geopolitischen Strategie zu schlagen. Angesichts der ideologischen Nähe von Parteien wie der „FdI“ und der „Lega“ ist nicht ausgeschlossen, dass dieses Kalkül im Falle eines Wahlsiegs der Rechten Erfolg haben könnte.

Das Wahlprogramm der Rechts-Koalition in 15 Punkten behandelt Außenpolitik an letzter Stelle und bemüht sich, mögliche Konfliktfelder innerhalb der Koalition auszublenden. Die Außen-und Europapolitik soll sich „auf den Schutz der nationalen Interessen und der Verteidigung des Vaterlands“ konzentrieren. „Unterstützung“ für die Ukraine wird angekündigt, ohne die Frage militärischer Hilfe zu behandeln. Jede diplomatische Initiative zur Beendigung des Krieges soll unterstützt werden.

 

Die Unentschiedenen – die große Unbekannte              

Angesichts der Umfrageergebnisse haben Enrico Letta, Sekretär der „Demokratischen Partei“ (PD) und seine Wahl-Koalition „Demokratisches und Fortschrittliches Italien“ ihr Wahlziel erheblich heruntergehängt: in jedem Fall vermeiden, dass die Rechts-Koalition im zukünftigen Parlament eine Zweidrittel-Mehrheit bekommt, mit der sie tiefgreifende Verfassungsänderungen ohne Volksabstimmung durchbringen könnte. Es handelt sich in erster Linie um die, vor allem von Meloni propagierten Plan der Transformation des italienischen politischen Systems in eine Präsidialrepublik, mit direkter Wahl des Staatspräsidenten, in etwa nach französischem Vorbild. Ausschlaggebend wird die Entscheidung der sich bislang in den Umfragen als „unentschieden“ oder „weiß noch nicht“ erklärenden Befragten sein, immerhin 26%, die „stärkste Partei“.

Die Beteiligung an den Parlamentswahlen ist seit 16 Jahren unentwegt zurückgegangen: waren es 2006 noch fast 84% der Wahlberechtigten und über 80% im Jahr 2008, wurde der Schwund 2013, mit 75%, besonders deutlich, um dann nochmals bei den letzten Wahlen 2018 auf 72,9% zu sinken. Trotz der besonderen Bedeutung der Wahlen vom 25. September könnte sich dieser Trend fortsetzen. Bei den Wahlen 2018 hatten noch viele „Politikverdrossene“ die „5-Sterne-Bewegung“ gewählt, die sich als Nicht-Partei, anti-institutionell und innovativ aufgestellt hatte und damit eine Alternative zum Nicht-Wählengehen darstellte und sogar als stärkste Formation aus den Wahlen hervorging. Nach dreimaliger Regierungsbeteiligung der Bewegung in diesen letzten Jahren ist der Nimbus der „5-Sterne-Bewegung“ als bürgernahe, den staatlichen Einrichtungen skeptisch gegenüberstehende Alternative verlorengegangen. Nach den letzten Umfragen kommt sie, trotz Anstiegs in den letzten Wochen, auf knapp 14%, weit weniger als die Hälfte der Stimmen in 2018. Die größte Zahl der Nicht-Wähler*innen wird bei den Jung- und Erstmals-Wähler*innen vermutet, die in Bezug auf ihre Gesamteinstellung eher dem Mitte-Links-Feld zuzurechnen sind, aber bei denen die Politikablehnung besonders groß ist. „Unsere Probleme werden bei denen da oben sowieso nicht wahrgenommen“.

Am letzten Wochenende befand ich mich in einer Bar in einer toskanischen Kleinstadt, die traditionell links wählt. Das einzige Thema unter den Gästen: wie können wir die nächste Strom- und Gasrechnung bezahlen? Was wird im Winter? Und sie erzählen, wie viele Klein- und Kleinstbetriebe in der Umgebung im Laufe des letzten Monats geschlossen haben, aufgegeben. Auch wer nicht gerade im Konkurs steht, sieht keinen Sinn mehr, weiterzumachen, dann lieber eine Art von Bürgergeld beantragen. Auf den Gesichtern habe ich nicht so sehr Wut auf irgendetwas oder irgendwen gesehen, sondern einfach Verzweiflung. Die einhellige Meinung ist, dass jenseits aller Unterscheidungen zwischen  „Rechts“ oder „Links“, die Politik auf ihre Probleme keine Antwort geben kann.

Die Mobilisierung der „Unentschiedenen“, ihnen eine konkrete, realistische Hoffnung in einem festen Zeitrahmen zu vermitteln und darüber ein Vertrauen in die Politik zurückzugeben, wäre theoretisch die einzige Chance, in den wenigen Tagen bis zu den Wahlen das Ruder noch herumzureißen.

Ja, wenn…  Die letzten Umfrageergebnisse

Laut Gesetz dürfen in den letzten 15 Tagen vor den Wahlen keine Umfrageergebnisse mehr bekanntgegeben werden. Die letzten veröffentlichten Umfragen[6] geben für die drei Parteien der Rechts- Koalition 44,3% der Stimmen, mit der „FdI“ als stärkste Partei (24,6%). Die „Lega“ ist mit 12% noch weiter zurückgefallen, hingegen hat „Forza Italia“  mit 7,7% etwas aufgeholt, dicht gefolgt von der sich als „Dritter Pol“ vorstellenden Koalition zwischen Calendas „Azione“ und Renzis „ItaliaViva“ (6,8%). Die „PD“ wird mit 22,4% als zweitstärkste Partei quotiert. Sie würde mit ihren Koalitionspartnern „Europa Verde“ und „Sinistra Italiana“ („Italienische Linke“) (3,4%), sowie Emma Boninos „+ Europa“ (2,2%) auf insgesamt auf 28% der Stimmen kommen. Wenn man dem Mitte-Links“-Block die „5-Sterne Bewegung“, geführt von Giuseppe Conte, dazuschlägt, sowie den „Dritten Pol“, ergäbe das insgesamt 48,6%, also theoretisch mehr als die Rechts-Koalition. Aber nur theoretisch. Denn da weder die „5-Sterne Bewegung“ noch der „Dritte Block“ mit der „PD“ koaliert sind, also sich in den Wahlbezirken getrennt aufstellen, ist bei diesen Umfrageergebnissen auf Grund der Komponente des Mehrheitswahlrechts im Wahlgesetz eine Parlamentsmehrheit von Meloni, Salvini und Berlusconi in beiden Kammern ausgemacht. Wenn sich alle Formationen des Mitte- Links-Feldes, die klarerweise in Opposition zu den Rechten stehen, trotz aller kleinen oder großen Unterschiede und unter Überspringung von Eifersüchteleien zusammengerauft und möglicherweise Mario Draghi, der eine Zustimmung von 76% der Bevölkerung genießt, als Kandidat für den Premierminister benannt hätten, dann wäre vielleicht Italien und Europa eine Regierung von Giorgia Meloni, Matteo Salvini und Silvio Berlusconi erspart geblieben. Ja, wenn…        

 

[1] Zitiert aus der Wochenzeitschrift „Espresso“, 11. September 2022

[2] Ebenda, S. 31

[3] „Repubblica“, 8. September 2022 

[4] Die 3 Europarlamentarier des Forums sind nach den Europawahlen von 2019 aus der Partei ausgetreten und vertreten jetzt die „JA21“ Partei.

[5] Siehe den Beitrag von EURAKTIV, 18. August 2022

[6] Demos-Institut, veröffentlicht in der „Repubblica“, 9.September 2022